Arnsberg. Ein 20-jähriger Kurde und seine Tante kämpfen um seine Rückkehr nach Deutschland. Der Vorwurf: Arnsberg habe seine Abschiebung rechtswidrig vorgenommen.

Er habe nicht einmal seine Papiere, so sagt seine Tante, die anonym bleiben möchte. Sein türkischer Ausweis liege noch bei der Ausländerbehörde in Arnsberg. Sie spricht von ihrem Neffen, ein kurdischer Geflüchteter aus der Türkei. „Er ist im Oktober 2022 nach Deutschland gekommen“, sagt sie. „Er war erst in Essen, dann in Ratingen und zuletzt hier in Arnsberg, lebte in einer Asylunterkunft.“

Der junge Mann habe in einem für ihn sicheren Land leben wollen - sei nach Deutschland geflohen, weil einer seiner Brüder auch hier Asyl bekommen habe und ein Großteil der Familie bereits hier lebe. Ende des vergangenen Jahres wurde er in die Türkei abgeschoben - zu Unrecht, wie seine Tante findet. Sie wandte sich an Sebastian Rose vom Verein „Komitee für Grundrechte und Demokratie“, der in der Vorgehensweise ebenfalls eine Rechtswidrigkeit sieht.

Kurdischer Geflüchteter aus Arnsberg abgeschoben

„Im Dezember 2024 hat die Stadt Arnsberg einen 20-jährigen kurdischen Geflüchteten rechtswidrig in die Türkei abgeschoben“, sagt Sebastian Rose, der das Projekt „Abschiebungsreporting NRW“ für den Verein ausfüllt. Demnach sei die Abschiebung trotz eines Gerichtsbeschlusses des Verwaltungsgerichts Arnsberg erfolgt, der gegenüber der Stadt Arnsberg anordnete, dass am gleichen Tag keine Abschiebung des Mannes in die Türkei erfolgen durfte.

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„Der Geflüchtete war zu dieser Zeit jedoch schon zur Abschiebung abgeholt worden und befand sich bereits am Flughafen Köln/Bonn“, so Rose weiter. „Der Abflug war aber noch nicht erfolgt - die Abschiebung wurde weder abgebrochen, noch wurde der Mann sofort wieder nach NRW zurückgeholt.“ Der erste Asylbescheid des Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) sei zwar negativ beschieden, über einen am 2. Dezember gestellten sogenannten Asylfolgeantrag des Mannes jedoch zu dem Zeitpunkt noch nicht entschieden gewesen. „Statt den Mann spätestens bei der Ankunft wieder in ein Flugzeug zurück zu setzen, musste er den Flughafen verlassen - seitdem muss er sich in der Türkei verstecken“, so Rose.

In der Türkei habe er noch seine Eltern und jüngere Geschwister, so die Tante des abgeschobenen Kurden. „Ohne Ausweis geht in der Türkei gar nichts“, sagt sie. „Wenn man ohne Ausweis erwischt wird, wird man festgenommen. Aber er hat Angst davor, einen Ausweis zu beantragen. Wer weiß, ob er dort nicht von den Behörden festgenommen wird?“

Stadt Arnsberg: „Flugzeug war bereits auf dem Flugfeld“

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe den Asylantrag dieser Person im Jahr 2023 abgelehnt, teilt die Stadt Arnsberg auf Nachfrage mit. „Auch ein an das Land gerichteter Härtefallantrag im November 2024 hatte keine Aufenthaltsgewährung in Härtefällen zur Folge“, so Ramona Eifert, Stadtsprecherin.

Ramona Eifert, Sprecherin der Stadt Arnsberg

„Trotz sofort eingeleiteter telefonischer Maßnahmen konnte die Person nicht aus dem Flugzeug geholt werden, da sich das Flugzeug bereits auf dem Flugfeld befand und die anwesende Bundespolizei einem Abbruch des Starts des Flugzeugs nicht zugestimmt hat.“

Ramona Eifert
Stadtsprecherin

Am Tag der Abschiebung habe das Verwaltungsgericht die Ausländerbehörde informiert, dass einem eingelegten Eilantrag des Rechtsbeistandes stattgegeben wurde und eine Abschiebung nicht mehr erfolgen dürfe. „Trotz sofort eingeleiteter telefonischer Maßnahmen konnte die Person nicht aus dem Flugzeug geholt werden, da sich das Flugzeug bereits auf dem Flugfeld befand und die anwesende Bundespolizei einem Abbruch des Starts des Flugzeugs nicht zugestimmt hat“, so Eifert weiter.

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Auch sei es nicht möglich gewesen, die Person vor dem Verlassen des Transitbereichs des Zielflughafens (Türkei) zu erreichen und einen unmittelbaren Rückflug zu ermöglichen, da es sich um eine unbegleitete Abschiebung gehandelt habe. „Zwar befanden sich in dem gleichen Flugzeug Bundesbeamte; diese waren jedoch als Sicherheitsbegleitung für eine andere Abschiebung im Flugzeug und hatten mit dieser Angelegenheit nichts zu tun“, so die Stadtsprecherin. Und weiter: „Die abgeschobene Person konnte ohne Probleme den Transitbereich des Flughafens verlassen und in das Heimatland einreisen. Anders als zuvor behauptet, erfolgte keine Festnahme durch das Heimatland.“

Sebastian Rose jedoch sagt: „Der 20-Jährige muss sich seither aufgrund politischer Verfolgung in der Türkei verborgen halten - zwei enge Verwandte des Mannes haben in Deutschland und Großbritannien einen Flüchtlingsschutz erhalten.“ Zudem verweist er auf ein Rundschreiben des Oberverwaltungsgerichts NRW vom 11. November 2022, das sich an alle Ausländerbehörden des Landes richtete, weil es bereits ähnliche Fälle gegeben habe.

Darin heißt es: „Aus gegebenem Anlass wenden wir uns an Sie im Hinblick auf das auch im Falle einer Flugabschiebung geltende Gebot effektiven Rechtsschutzes. Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des 17. und 18. Senats ist eine Flugabschiebung erst dann abschließend vollzogen, wenn der Ausländer die Transitzone des Zielflughafens verlassen hat und sich wieder im Hoheitsgebiet des Abschiebezielstaats befindet.(...) Wegen dieses Einwandes werden die Ausländersenate bei Abschiebeschutzgesuchen in Fällen einer Flugabschiebung bei unmittelbar bevorstehendem Start des Flugzeugs zukünftig regelmäßig wie folgt verfahren: Es wird eine Garantieerklärung der beteiligten Ausländerbehörde eingefordert, dass die Abschiebung (auch nach Abheben des Flugzeugs) bis zu deren Vollzug abgebrochen und der Ausländer ‚zurückgeholt‘ werden kann...

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Hat die Stadt Arnsberg auf Zeit gespielt?

Sebastian Rose glaubt, dass „die Behörden“ aufgrund des „öffentlich inszenierten Drucks“ auch rechtswidrige Abschiebungen hinnehmen würden und „der Rechtsschutz von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit immer weiter beschnitten“ werde. „Vorliegend hätte der Mann im Transitbereich des Flughafens in der Türkei verbleiben können, um direkt wieder nach Deutschland zurückzufliegen. Dies hätte die Stadt Arnsberg sicherstellen müssen. Bis heute hat die Stadt jedoch die Wiedereinreise des Mannes verweigert, obwohl er sich sogar ein eigenes Ticket dafür besorgt hatte.“

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Zudem hätten die Behörden nur zwei Tage nach der Abschiebung für neue Fakten gesorgt, die eine Rückkehr nun vollends verhindern solle. „Am 11. Dezember 2024 erließ das Bamf einen neuen Bescheid, der den Asylfolgeantrag des Mannes als unzulässig zurückwies und auch keine Abschiebeverbote im Hinblick auf eine Abschiebung in die Türkei feststellte.“ Gegen diesen Bescheid sei aktuell noch ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg anhängig, das der Mann nun aus der Türkei heraus führen müsse, so Rose.

Unstimmigkeit beim Datum des Bamf-Bescheides

Die Stadt Arnsberg jedoch sagt, dass bereits am gleichen Tag (noch vor Durchführung der Abschiebung) der Ausländerbehörde die schriftliche Mitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 71 Abs. 5 Satz 2 des Asylgesetzes vorgelegen habe, dass kein erneutes Asylverfahren durchgeführt wird. „Diese Mitteilung ist Grundlage für eine Rückführung, nachdem ein Asylfolgeantrag gestellt worden ist. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass es zum Zeitpunkt der Mitteilung des Verwaltungsgerichts Arnsberg nicht mehr möglich war, die abgeschobene Person aus dem Flugzeug zu holen. Gemäß Mitteilung des Bamf ist die erfolgte Abschiebung vom 9. Dezember 2024 rechtmäßig erfolgt“, so Eifert.

Die Tante des kurdischen Mannes kämpft weiter - für die Rückkehr des 20-Jährigen nach Arnsberg, gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt. „Er hatte eine Arbeitserlaubnis und hat auch gearbeitet; er wollte auch einen Integrationskurs machen - sollte September oder Oktober losgehen, aber die Ausländerbehörde hat ihm dies nicht erlaubt, weil er ‚ja eh abgeschoben‘ werde“, sagt sie. Nun sei seine Zukunft ungewiss.

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