Hüsten. Der Hüstener Ex-Vikar Nils Petrat schreibt in Büchern über die Zukunft von Glauben und Kirche. Bald referiert er in Hüsten. Hier ist er im Interview.
In Hüsten wirkte er kurz, aber nachhaltig. Bis 2011 war Dr. Nils Petrat (44) als Vikar in der St.-Petri-Gemeinde tätig, ehe er Studentenpfarrer in Paderborn wurde und dort auch im Kirchenrecht promovierte. Als Autor von zwei spirituellen Büchern („Eine Sache des Vertrauens – mitten im Leben glauben“ und „Endlich mal ankommen – wie du deinen Platz im Leben findest“) kehrt er am Donnerstag, 14. November, um 19 Uhr auf Einladung des KKV Hüsten nach Arnsberg ins Petrihaus zurück. Unter dem Titel „Quo vadis? – Wohin gehst Du, Kirche?“ referiert er über die Zukunft von Kirche und Glauben. Der Zeitpunkt des Vortrags könnte nicht besser gewählt sein: Gerade erst ist nach dreijähriger Arbeit die Weltsynode „Für eine synodale Kirche - Gemeinschaft, Teilhabe und Mission“ mit einem Schlussdokument beendet worden.
Was war Ihr erster Gedanken, als Sie von den Ergebnissen der Weltsynode in Rom hörten?
Immerhin. Etwas Bewegung ist ja doch möglich. Ich habe den Eindruck, dass es nach und nach doch so etwas wie eine Zeitenwende in der Kirche gibt. Aus unserer Sicht vielleicht sehr langsam oder zu langsam, aber es tut sich da was. Da hat Papst Franziskus schon was verändert. Es soll neue Formen der Entscheidungsfindung in der Kirche geben, nicht nur top-down. Mitbestimmung auf den verschiedenen Ebenen soll gestärkt werden. Das gefällt mir. Und es soll mehr um den Glauben und das Soziale gehen, also die beiden Grundpfeiler der Kirche. Gut so.
Glauben Sie, dass ein Priester in den Gemeinden vor Ort heute Frauen an der Kirchenbasis noch überzeugt entgegentreten und ihnen die Haltung der Synode zur Frage „Frauen ins Priester- und Diakonen-Amt“ erklären oder rechtfertigen kann?
Ich versuche das zumindest. Mir scheint, dass sich bei der Frage nach Diakoninnen was getan hat. Da denken selbst Kardinäle in Rom jetzt drüber nach und halten das für möglich und sinnvoll. Auch da mag man sagen: Viel zu langsam und echte Gleichberechtigung sieht anders aus. Ich sage dann: Ihr habt Recht. Und zugleich ist mir wichtig, dass es bei dieser Frage nicht zu einer Spaltung der Kirche kommt und Katholiken in anderen Kulturen und Nationen sagen, da gehen wir nicht mit. Vielleicht liegt die Lösung in dezentralen Lösungen, dass man sagt: Ihr in Deutschland oder auch anderen westlichen Ländern könnt anfangen, Frauen in geweihte Ämter zu berufen; und wenn andere Länder noch nicht so weit sind, zu sagen, geht ihr euren Weg und nehmt euch Zeit für eine Antwort, wann bei euch in der Kultur und Gesellschaft die Zeit gekommen ist. Grundsätzlich würde ich mir mehr lokale Kompetenzen wünschen, weil man nicht immer den ganzen Riesentanker Weltkirche bewegen kann.
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Es ist Ihnen eine Herzenssache, Menschen für den Glauben zu begeistern oder zu interessieren: Wo sind da die größten Hürden zu überwinden und was sind die größten Herausforderungen?
Ja, mir liegt es sehr am Herzen, Menschen zu ermutigen, sich auf eine Begegnung mit Gott einzulassen, offen dafür zu sein und den Sprung in den Glauben zu wagen. Es sind aus meiner Sicht vor allem vier Gründe, die Menschen daran hindern. Erstens kirchliche Hindernisse. Enttäuschtes Vertrauen, was Kirche grundsätzlich betrifft, Negativ-Erfahrungen auch mit konkreten Menschen der Kirche vor Ort. Zweitens Gottesbilder, die einen hindern. Bei einigen immer noch ein strafender oder Überwacher-Gott, mit dem man dann verständlicherweise nichts zu tun haben will oder auf der anderen Seite der völlig harmlose Gott des Kinderglaubens, wo man irgendwann denkt: Mit so einem „Luschi“ kann ich auch nichts anfangen. Drittens Enttäuschung, dass der Glaube, als man ihn vielleicht brauchte, nicht geholfen hat. Gerade auch bei älteren Menschen kommt das vor; das klingt dann so: Ich war doch mein ganzes Leben ein frommer Mensch und jetzt ist plötzlich mein Partner gestorben oder ich habe eine Krankheitsdiagnose bekommen, wo ist denn nun mein Gott? Viertens noch, und das begegnet mir auch bei vielen jungen Menschen: einfach kein Interesse. „Ich komme gut ohne Gott klar.“ Mein Leben ist anspruchsvoll genug, da ist einfach kein Platz für religiöse Themen. Aus meiner Sicht ist da also ein genaues Hinhören notwendig, was den Einzelnen oder die Einzelne hindert. Oft gibt es gute Anknüpfungspunkte für Gespräche.
Die Gemeinde Petri Hüsten gehört zweifellos zu einer der aktiveren Gemeinden im Stadtgebiet: Was macht eine starke Gemeinde aus Ihrer Sicht aus?
Da fallen mir spontan zwei Dinge ein. Erstens ist das spirituelle Fundament einer Gemeinde super wichtig. Dass Menschen sich zum Gebet und Gottesdienst versammeln und bestenfalls auch Anleitung da ist, wie beten geht und wie ich Gott begegnen kann im Alltag. Dass Zeiten und Räume der Stille eröffnet werden. Zweitens scheint mir das Miteinander der Menschen entscheidend. Ich denke, dass man auf Dauer nur seinen Glauben leben und behalten wird, wenn man Mitstreiter, Verbündete hat. Und die muss man zumindest auch menschlich ok finden, bestenfalls mögen. Zum Christsein gehört wesentlich der Umgang miteinander, Respekt, Menschenfreundlichkeit, Barmherzigkeit. Wo das in einer Gemeinde gelebt wird, strahlt das auch aus nach außen. Durch die gelebten Werte wird eine Gemeinde stark.
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Wie bewerten Sie die Diskussion um die Immobilienstrategie des Erzbistums, die auch die Hüstener Gemeinde bewegt und in der Konsequenz ja Kirchen und Gemeindehäusern in den Dörfern verschwinden lässt? Hält Kirche auf dem Land das aus?
Das sind sehr emotionale und teilweise schmerzhafte Prozesse. In meiner Pfarrei in Herne wurde auch bereits eine Immobilienvereinbarung mit dem Erzbistum getroffen, nach der 3 von 10 Standorten ganz und einer teilweise aufgegeben wird. An den Kirchorten und Gebäuden hängen immer viele Erinnerungen und Gefühle. Es ist auch für mich traurig und unbehaglich, ganze Kirchorte aufgeben zu müssen. Zugleich ist mir völlig klar, dass ich und wir alle der Realität ins Auge sehen müssen. Ich denke, alle wissen um die Faktoren, die es notwendig machen, eine Immobilienstrategie zu haben. Es reicht letztlich einfach der ehrliche Blick in die eigene Familie, in die Nachbarschaft und den Freundeskreis, um zu verstehen, dass die bisherige Form der katholischen Kirche, auch im Sauerland, so keine Zukunft mehr hat. Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass eine christliche Gemeinde Veränderungen sprich Verkleinerungen im Immobilienbestand aushält, auch auf dem Land. Den ersten Christen reichten Wohnzimmer als Räumlichkeiten. Ihnen war die Gründung von geistlichen Gemeinschaften am Ort wichtig, von Schicksalsgemeinschaften von christlichen Schwestern und Brüdern: geteiltes Leben, geteilter Glaube, geteilte Hoffnung. Jesus hat mal gesagt: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen“. Aus der Sicht Gottes gibt es immer genug Wohnraum. Das gilt auch fürs Erzbistum Paderborn, fürs Sauerland und fürs Ruhrgebiet. Es gilt, dass sich Christen zusammenfinden und beieinander bleiben, ob in Kirchenräumen, Gemeinderäumen oder privaten Räumen. Die christliche Gastfreundschaft bekommt vielleicht nochmal einen ganz neuen Stellenwert.
Als Studentenpfarrer haben Sie sich viel mit jungen Menschen und ihrer Einstellung zum Glauben auseinandergesetzt: Welches Angebot muss Kirche jungen Menschen machen, um von ihnen noch als relevant wahrgenommen zu werden?
Aus meiner Erfahrung können wir jungen Menschen vier Dinge anbieten: erstens Freiraum. Junge Menschen suchen Orte und Menschen, die ihnen ohne Forderungen entgegenkommen. In so vielen Bereichen wollen die Leute was von dir. Kirche schenkt dir einen Freiraum, du kannst vom Tun-Modus in den Seins-Modus kommen. Zweitens suchen jungen Menschen ein echtes Gegenüber, was zuhört, was begleitet, einen Sparrings-Partner bei wichtigen Lebensfragen: Wo ist mein Platz im Leben, ist dieser und jene Weg sinnvoll für mich? Drittens ist das Thema Selbstannahme ganz wichtig. Viele junge Menschen zweifeln an sich, können sich nicht annehmen. Da kann der Glaube eine wichtige Kraftressource sein. Viertens können kirchliche Angebote jungen Menschen Möglichkeiten zum Wachsen geben. Nahezu jeder Menschen sehnt sich danach zu wachsen, seinen Horizont zu erweitern, Verantwortung zu übernehmen. Da hat die Kirche viel anzubieten. Bei Ferienfreizeiten oder Pilgerfahrten ins Ausland oder auch bei sozialem Engagement im Ort oder anderswo.
Was haben Sie aus Ihrer Hüstener Zeit für ihre weitere Arbeit als Priester und auch als Autor mitgenommen?
Am prägendsten waren die vielen Gespräche mit Menschen rund um Beerdigungen, Taufen und anderen seelsorglichen Anlässen. Da habe ich gemerkt, dass mir diese Begegnungen das Wertvollste an meinem priesterlichen Dienst sind. Es kommt auf die konkreten Begegnungen an: höre gut zu, lasse dich auf dein Gegenüber ein, versuche den Schatz der christlichen Spiritualität zu erschließen. Das habe ich in der Studentengemeinde so weiter praktiziert und versuche das heute auch als Pfarrer. Und das zweite waren die Fahrten, die wir gemacht haben, im Jugendbereich. Fahrten nach Assisi in Italien, aber auch nach Langeoog als Auszeit auf der Insel. Teilweise sind von diesen Fahrten Kontakte bis heute da, die gemeinsamen Erfahrungen bleiben lange in Erinnerung, das geteilte Leben dort verbindet. Man kann den Glauben unterwegs oft viel intensiver leben und spüren. So versuche ich bis heute, mindestens einmal im Jahr mit Menschen auf Pilgertour zu gehen oder spirituelle Kurse u.a. im Kloster Münsterschwarzach anzubieten.
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