Arnsberg. „Schrottimmobilien“ in Gierskämpen völlig überteuert angeboten? Landgericht Arnsberg gibt Klägern aus Belgien teilweise recht. So reagieren die Verkäufer.

„160 Flamen verlieren wegen Immobilienschwindel 10 Millionen Euro“, titelte die belgische Zeitung Het Laatste Nieuws (HLN) im Dezember 2019. Liesbeth Beeckman ist eine der Verliererinnen. Sie kaufte eine Wohnung in Arnsberg und zahlte 65.000 Euro. Ein unabhängiger Makler klärte sie dann auf, der tatsächliche Wert läge bei etwa 10.000 Euro. Die Flämin wollte das nicht hinnehmen, gründete mit weiteren Geschädigten den Verein „Samen Sterk!“ (gemeinsam stark) und zog vor Gericht. Nach ersten Erfolgen im Streit um überteuerte Verkäufe im Kreis Herford vor dem Bielefelder Landgericht bekommen die Kläger nun auch im Sauerland - zumindest teilweise - Recht: „Nach fünf Jahren Rechtsstreit, 21 Aufhebungen und einer seit vier Jahren laufenden gerichtlichen Untersuchung“, berichtet Liesbeth Beeckman im Gespräch mit dieser Redaktion.

Die Gegenseite habe alles versucht, um die Sache zu verzögern, meint die streitbare Flämin mit Blick auf die lange Laufzeit. Die „Gegenseite“ ist der belgische Bauträger Creadomus Invest NV. „Creadomus wurde im April und im August 2024 vom Landgericht Arnsberg wegen Wuchers verurteilt, und die Kaufverträge wurden für nichtig erklärt“, führt Beeckman weiter aus. Laut Gerichtsgutachten seien die Wohnungen bis zum Fünffachen überteuert verkauft worden. 

Die Rosenberger Straße in Gierskämpen ist Schauplatz eines Immobilienskandals, der in Flandern die Gemüter erhitzt.
Blick in die Rosenberger Straße in Gierskämpen. © WP | Wolfgang Becker

Wie konnte es dazu kommen? Dazu die Vorsitzende von „Samen Sterk!“: Die Wohnungen befinden sich alle in der Rosenberger Straße in Arnsberg-Gierskämpen. Die Geschädigten sind alle Belgier, die zwischen 2015 und 2017 Erbbaurechte von Creadomus erworben haben. „Creadomus versprach ihnen neu renovierte Wohnungen in einer wirtschaftlich prosperierenden Region - stattdessen bekamen sie Schrottimmobilien aus dem Jahr 1962 in einem sozialen Brennpunkt“, schimpft Liesbeth Beeckman.

Auch interessant

Den Minderwert der Objekte sehen auch die Richter als Fakt: Das Landgericht - 4. Zivilkammer - Arnsberg hat im August 2024 das beklagte Unternehmen Creadomus Invest NV verurteilt, „an die Kläger 99.995 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 23. August 2019 Zug um Zug gegen Rückübertragung zu zahlen“ (ausführliches Urteil samt Begründung liegt der Redaktion vor).

„Für uns sind das gute Nachrichten“, werten Beeckman und Co. das Urteil positiv. Allerdings ist es ein Teilerfolg - die belgischen Immobilienverkäufer wollen in Berufung gehen. Bleibt die Frage - kauften die Belgier „die Katze im Sack?“

In Prospekten sei von „sanierten Immobilien, bei denen Dächer und Fenster komplett erneuert wurden“ die Rede gewesen, berichtet Beeckman. Investoren könnten mit „sicheren Mieteinnahmen“ rechnen. „Wer heute investiert, verdient morgen“, sei im Werbematerial zu lesen gewesen. Die günstigen Verkaufspreise wurden mit dem Erbbaurecht erklärt, was viele Interessenten von einem Kauf überzeugte. „Häufig ältere Leute, die ihr Erspartes - zwischen 50.000 und 60.000 Euro, sicher anlegen wollten“, so die Samen Sterk-Vorsitzende. Viele verzichteten auf einen Besuch in Arnsberg, um die Wohnungen in Augenschein zu nehmen. Andere sahen die Häuser nur von außen: „Wir gingen in dieses Wohngebiet in Arnsberg, und sie zeigten auf eine Wohnung in der Ferne. Das ist deine Wohnung, sagten sie. Weil die Wohnung vermietet war, durften wir angeblich nicht rein. Deshalb haben wir uns nur eine sogenannte ähnliche Wohnung angesehen, die gerade renoviert wurde“, berichten Käufer in belgischen Medien. „Tatsächlich war der Zustand der Wohnungen in Gierskämpen schlecht“, meint Beeckman, „waren Wände und Dächer nicht isoliert. Türen, Fenster und Treppen mussten renoviert werden. Abwasser-, Strom- und Gasleitungen waren veraltet.“

Immobilienunternehmen legt Berufung ein

Was sagt „Creadomus“? Direkt Kontakt aufzunehmen ist schwierig – die Website creadomus.be ist derzeit offline, und unsere Recherche hat keine aktive E-Mail-Adresse zutage gefördert. Das Immobilienunternehmen hat aber gegenüber belgischen Medien erklärt, die Schätzungen im Arnsberger Gutachten nicht anzuerkennen - und in Berufung zu gehen. „Nach Angaben des Unternehmens sind die vom Gericht zugrunde gelegten Schätzwerte nicht auf dem Markt zu finden. Würden die Schätzungen stimmen, würde auch eine unrealistisch hohe Mietrendite erzielt“, berichtet das belgische Nachrichtenportal VRT NWS (Infobox).

Stichwort „VRT“

VRT NWS ist die Nachrichtenangebotsmarke des flämischen öffentlich-rechtlichen Senders VRT (Vlaamse Radio- en Televisieomroeporganisatie).

Geboten wird ein differenziertes multimediales Nachrichtenangebot über die Kanäle der anderen Angebotsmarken von VRT, eigene Medienplattformen und soziale Medien.

Damals wie heute seien fast alle Wohnungen vermietet, so die Creadomus-Geschäftsführung, die von den Gebäuden als „einfache Immobilien“ spricht: Offensichtlich handele es sich nicht um Immobilien für die obere Mittelschicht oder High-End-Immobilien, die in Deutschland natürlich auch auf einem ganz anderen Preisniveau liegen würden.

Auch interessant

Creadomus betont außerdem, Gerichte hätten bisher noch nie entschieden, dass Käufer falsch informiert worden seien. „Es wurde eine mögliche und im Immobilienbereich durchaus realistische Rendite dargelegt, jedoch keine verbindliche Zusage im Sinne einer Garantie“, urteilte ein Richter in Braunschweig, wo Creadomus in einem ähnlich gelagerten Fall Recht bekommen hat.

„Sie spielen weiter auf Zeit“

Nach eigenen Angaben versucht das Unternehmen, sich mit unzufriedenen Käufern einvernehmlich zu einigen - für 47 Wohnungen habe man bereits jeweils Lösungen gefunden. Mit Blick auf „Samen Sterk!“ spricht die Brüsseler Zentrale von „geschürter Angst und angeheizter Unzufriedenheit“. Das passe zu ihrem Versuch, sie und ihre gemeinnützige Organisation zu kriminalisieren, kontert Beeckman - räumt aber ein, dass eine einvernehmliche Lösung für alle besser sei: „Aber die bisherigen Vorschläge sind lächerlich und kompensieren den Schaden nicht.“ Creadomus biete teils an, Wohnungen für zwei Drittel des Nettokaufpreises zurückzukaufen. „Außerdem geben sie uns weiterhin die Schuld“, so Beeckman.

Berufungsinstanz wäre das Oberlandesgericht Hamm - Einzelheiten zu einem möglichen Verfahren oder gar einen Termin gibt es noch nicht. „Sie spielen weiter auf Zeit“, mutmaßt sie. Viele der Geschädigten seien inzwischen alt oder krank.

Mehr Nachrichten? Folgen Sie der WP Arnsberg/Sundern in den sozialen Medien: