Arnsberg. Ein Arnsberger Ehepaar geht durch Höhen und Tiefen: „Ich würde meine Frau nie in ein Heim abschieben. Hier lebt sie und hier darf sie sterben.“
Seit 59 Jahren sind Wilhelm und Maria (Name von der Redaktion geändert) aus Neheim verheiratet, gehen gemeinsam durch Höhen und Tiefen. „Doch seitdem meine Frau die Diagnose Demenz erhalten hat, ist das Leben nicht mehr so wie früher. Es ist die schrecklichste Krankheit, die ich kenne“, sagt Willi (82), der selber mit einer schweren Herzerkrankung zu kämpfen hat. Trotzdem pflegt er Maria (77) liebevoll. Er kocht, wäscht, bügelt für sie und zieht sie sogar an. „Besonders schlimm ist es für mich, wenn sie mich nicht erkennt und meint, dass ich ein Fremder bin“, sagt er.
Es sei eine heimtückische und bösartige Krankheit, die unweigerlich zum Tode führt. „Begonnen hat der Alptraum vor acht Jahren“, erzählt Willi. Man denkt zunächst gar nicht an Demenz. „Wir waren zum Rommé-Spielen bei meiner Schwester und meinem Schwager eingeladen“, erinnert er sich. Seine Frau, die das Kartenspiel sonst aus dem Effeff beherrscht, wusste plötzlich die Regeln nicht mehr. „Ein paar Monate später sind wir zu viert in den Urlaub gefahren, da verhielt sich Maria sehr merkwürdig und irrte nachts auf dem Hotelflur herum.“
„Maria verhielt sich merkwürdig“
Wilhelms Schwester riet dem Paar, einen Arzt aufzusuchen. „Dann begann ein regelrechter Marathon“, so Willi. Der Hausarzt machte ein paar Tests und schickte Maria zum MRT, dann zum Neurologen. „Hier erhielten wir im Jahr 2019 Gewissheit und Medikamente, um die Krankheit aufzuhalten“, sagt Willi. Mittlerweile habe sich die Demenz so weit ausgebreitet, dass Maria von Montag bis Donnerstag in der Tagespflege betreut wird. „Ich bringe sie um 8.30 Uhr hin und hole sie um 15.30 Uhr wieder ab.“
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Abends guckt das Paar dann noch gemeinsam fern. „Dabei muss ich aufpassen, dass wir nicht etwa einen Krimi schauen. Maria halluziniert zuweilen und denkt, dass die Schauspieler aus dem TV plötzlich bei uns im Wohnzimmer stehen.“ Der Alltag sei nicht leicht, doch Wilhelm versucht, ihn so normal wie möglich zu gestalten. „Noch vor ein paar Monaten konnten wir uns alte Fotos ansehen, da wusste Maria, wer auf den Bildern zu sehen ist.“ Auch das gehe mittlerweile nicht mehr. „Es wird mit der Zeit schlimmer.“
Wenn die Kinder und Enkel zu Besuch kommen
Das Paar hat zwei Kinder und drei Enkel, die regelmäßig zu Besuch kommen. Auch für sie ist es schwer, den geistigen Verfall der Mutter bzw. Oma mitzuerleben. „Jeder geht natürlich anders damit um“, sagt Willi. Seine Devise lautet: Geduld, Geduld, Geduld. „Ich liebe meine Frau, ohne sie würde mir etwas fehlen“, sagt er. Daher würde er sie auch niemals in ein Pflegeheim geben. „Maria ist hier aufgewachsen, hat ihr Leben in dieser Umgebung verbracht. Es ist ihr Elternhaus. Hier soll sie auch sterben.“
Martin Polenz von der städtischen Fachstelle „Zukunft Alter“ kennt viele Geschichten, die ähnlich sind. „Wir haben zwar keine genauen Zahlen, weil nicht jede oder jeder direkt eine Diagnose erhält, aber wir gehen aufgrund der Prävalenz-Zahlen von etwa 1500 Menschen aus, die in Arnsberg mit einer Demenz leben“, sagt er.
Zirka 1500 Menschen leben in Arnsberg mit Demenz
Die Zahl der Angehörigen sei entsprechend höher. „Daher ist es wichtig, dass wir Aufklärungsarbeit leisten und Hilfestellungen anbieten“, so Polenz. Am Mittwoch, 2. Oktober, beginnt beispielsweise ein neuer offener Gesprächskreis im Mehrgenerationenhaus in der Hellefelder Straße 15. „Hier können sich Angehörige und Betreuende von Demenzbetroffenen in einem geschützten, vertrauten Rahmen miteinander unterhalten oder einfach zuhören und Informationen einholen.“
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Beginn des ersten Treffens ist um 18 Uhr. Das nächste Mal trifft sich die Runde am Mittwoch, 6. November, erneut um 18 Uhr. Daraufhin regelmäßig jeden ersten Mittwoch im Monat zur selben Uhrzeit. Die Teilnahme ist kostenfrei und ohne Anmeldung möglich. „Für Angehörige von Menschen mit Demenz ist der Alltag häufig eine Herausforderung“, meint auch Judith Wohlgemuth von der Stadt Arnsberg. Sie leitet den Gesprächskreis und hofft auf rege Teilnahme.
Angebot des Demenznetzwerks Arnsberg
Etwa 70 Prozent der Pflegebedürftigen mit einer Demenz leben zu Hause und werden von ihren Angehörigen versorgt. Betreuende und pflegende Angehörige sehen sich vor zahlreiche Herausforderungen gestellt: „Sie erleben große physische und emotionale Belastungen und fühlen sich in der Wahrnehmung von eigenen Bedürfnissen stark eingeschränkt, z.B. in der Berufstätigkeit, der Pflege von Freundschaften oder ihren Hobbys“, sagt Wohlgemuth.
„Wer sich um andere sorgt, muss sich in erster Linie um sich selber sorgen“, heißt es in vielen Ratgebern zum Umgang mit Demenz. Dass genau so etwas nicht so einfach sei, zeige sich dann oftmals im Alltag. Der offene Gesprächskreis ist ein Angebot des Demenznetzwerks Arnsberg und ein ergänzendes Angebot zu dem bestehenden Demenz-Café im St. Johannes Hospital Neheim, das in einer Kooperation der Fachstelle Zukunft Alter mit dem Klinikum Hochsauerland stattfindet.