Oeventrop. Der Weg war kein leichter. Nach leidvoller Stotter-Biografie und vielen Hürden arbeitet Kathrin Pingel als Erzieherin in OGS Oeventrop.
Auf dem Verkehrsteppich in der Bauecke sitzt eine glückliche Frau. Kathrin Pingel ist angekommen. Das Gewirr an Straßen unter ihr steht symbolisch auch für ihren Weg. Nicht einfach, mit Stoppschildern und Umleitungen - und doch am Ende zum Ziel. Seit dem 1. August 2024 arbeitet die 22-jährige Arnsbergerin mit festem Arbeitsvertrag bei Verein Kunterbunt im Offenen Ganztag der Grundschule Oeventrop. Hinter der jungen Frau, die von früh an mit zum Teil starken Stotterproblematiken und den psychosozialen Folgen leben musste, liegt eine Route mit vielen Hürden und Herausforderungen. Jetzt hat sie eine Berufsausbildung als staatlich anerkannte Erzieherin.
Auch interessant
Schon vor einem Jahr hatte sich die Frau mit der Redaktion getroffen. Schon da hatten hinter ihr leidvolle Erfahrungen mit Ausgrenzungen in der Schule, Hänseleien in der Kindheit und auch leidvollen Situationen bei Bewerbungsgesprächen, obwohl sie immer offen auf ihr Stottern hingewiesen hatte. Auch in der Ausbildung - zunächst in einer Kita in Schwerte und bei einem Jugendhilfeträger in Sundern - lief nicht alles glatt. Stotterproblematik und das Gefühl von dadurch nicht vorhandener Wertschätzung und Rückweisungen machten ihr den Start in ein Berufsleben schwer. Erst in der OGS Oeventrop konnte sie ab Januar 2024 ihr drittes Ausbildungsjahr abschließen.
Fröhlich erzählt sie von ihrem Job - ein Stottern oder Holpern ist nur bei genauem Hinhören zu bemerken. „Ich stottere hier fast gar nicht, weil ich mich wohl fühle!, sagt Kathrin Pingel. Ein sie mit und ohne Stottern akzeptierendes Umfeld ist wichtig für die junge Frau. Als sie genau das zum Start ihrer Berufslaufbahn gar nicht vorfand („da hat man mit mir gar nicht mehr gesprochen“), war sie am Boden und wusste nicht weiter. In dieser Zeit kam sie dann auch mit der Therapeutin Christiane Hoffschildt aus Oeventrop in Kontakt.
Lernen, sich in Konflikten zu behaupten
„All das war Kathrin in den Jahren widerfahren ist, war eine super Schule“, sagt sie. Denn stotternde Menschen müssen lernen, sich in Konflikten zu behaupten und sich ihnen zu stellen. Und sie müssen damit umgehen können, dass die Welt um sie herum nicht immer Rücksicht nimmt, sondern manchmal zusätzliche Hürden in den Weg stellen. Die Akzeptanz des eigenen Stotterns als ständiger Begleiter ohne die Begleitung eines ständigen „Leistungsdrucks“ des möglichst guten Sprechens ist ein Schlüssel der Therapie. „Wir reden von Desensibilisierung“, sagt Christiane Hoffschildt.
Auch interessant
Ihr Job in der OGS hilft Kathrin Pingel dabei. „Kinder fragen nicht, wenn ich doch einmal stottere!“, sagt sie. Kathrin Pingel, die aufgrund eines frühkindlichen Schlaganfalls einen anerkannten Handicap-Grad hat, ist froh, nun arbeiten zu können und vor allem die Schule hinter sich zu haben. „Mündliche Prüfungssituationen waren immer schwierig“, erzählt sie. Jetzt genießt sie die Arbeit mit den Kindern.
Die 22-jährige gestaltet den pädagogischen Alltag der OGS-Kinder nach der Schule - in einem Team mit acht Mitarbeitenden zuzüglich Praktikanten und Freiwilligendienstleistenden. „Es ist so schön, die Dankbarkeit der Kinder zu erleben“, sagt sie. Sie möchte helfen, dass Kinder wachsen - auch über sich hinaus - und ihre Wege gehen. „Es ist toll zu sehen, wie sich Kinder entwickeln“, freut sich Kathrin Pingel.
Merz-Stiftung und Lions-Clubs unterstützen
Dass die Ausbildung dieses „Happy End“ nahm, ist neben den vielen Kompetenzen von Kathrin Pingel im Umgang mit Kindern auch einem glücklichen Zufall zu verdanken. Therapeutin Christiane Hoffschildt ist Vorsitzende des OGS-Verein „Kunterbunt“ und konnte ihrer Klientin helfen, als bei ihr der Fortgang der Ausbildung in den Sternen stand. Das nicht vorhandene Budget für ein Ausbildungsgehalt für die noch fehlenden sieben Ausbildungsmonate übernahmen die Arnsberger Merz-Stiftung (1300 Euro) und der Lions Club Arnsberg-Sundern (1328 Euro). Jetzt besetzt Kathrin Pingel eine reguläre frei gewordene Stelle.
„Stottert jemand, dann können daraus keinerlei Rückschlüsse auf Intelligenz, Persönlichkeit, Leistungsfähigkeit und Arbeitsweise gezogen werden.“
Der Weg von Kathrin Pingel ist für Therapeutin Christiane Hoffschildt ein Beispiel dafür, mit welchen externen Vorurteilen und Reaktionen stotternde Menschen zu kämpfen haben. Dabei sei doch klar: „Stottert jemand, dann können daraus keinerlei Rückschlüsse auf Intelligenz, Persönlichkeit, Leistungsfähigkeit und Arbeitsweise gezogen werden“, so Christiane Hoffschildt. Sie rät betroffenen Personen, das Stottern nicht verstecken zu wollen, sondern offen damit umzugehen. Aufklärung erleichtere den Alltag. „Ein Vermeiden oder Verstecken kann zu unnötigen Missverständnissen führen“, so die Expertin. Besonderheit sei in den meisten Fällen das Telefonieren: Hilfreich sei es, nur ausgehende Gespräche zu führen und zudem eine ruhige Gesprächsumgebung zu haben. Teammeetings könnten ebenfalls herausfordernd sein. „Hilfreich ist eine klare Struktur des Meetings und die Absprache, genug Zeit zum Sprechen zu bekommen, insbesondere bei emotionalen Themen“.
Auch interessant
Die Therapie mit Kathrin Pingel betrachtet Christiane Hoffschildt zunächst einmal als abgeschlossen. Die junge Frau freut sich auf das neue Schuljahr. Dann kommen täglich fast 90 Kindern in den Oeventroper Ganztag. Den Straßenteppich in der Bauecke wird sie dann gerne für die kleinen spielfreudigen Gäste räumen. Ihren Weg hat sie schon gefunden.