Hochsauerlandkreis. Alarmierender Rückgang der Brutvögel in NRW: Eingriffe des Menschen bedrohen die Artenvielfalt. Wir erklären die Hintergründe der Entwicklung.
Wenn Detlef Görlich aus Sundern seinem Enkelkind Vögel im Garten oder dem benachbarten Waldgebiet zeigen will, muss er derzeit großes Glück haben. „Die sind alle weg. Seit Wochen sieht man keinen einzigen Singvogel mehr in der Natur. Früher gab es noch jede Menge Spatzen und Meisen, die man beobachten konnte. Doch die Zeiten sind vorbei“, klagt Görlich.
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Für Dagmar Preußner von der Kreisgruppe Hochsauerlandkreis des BUND sind das keine neuen Erkenntnisse. „Man kann schon seit Jahren sehen, wie der Bestand der Vögel in der Natur rückläufig ist“, sagt sie. „Lange Zeit ist das von der Öffentlichkeit nicht wirklich wahrgenommen worden, aber nun setzt so ganz langsam die Erkenntnis ein, dass die Vögel immer seltener zu sehen sind.“ Schuld daran sei der Mensch, sagt Preußner und liefert sogleich die Erklärungen für ihre Behauptungen: „Es gibt immer mehr Steingärten, gleichzeitig werden Hecken entfernt oder so geschnitten, dass Vögel keine geeigneten Brutstätten für ihren Nachwuchs finden. Rasen ohne Moos, in dem sich zum Beispiel Insekten aufhalten, sind ein weiteres Problem“, erklärt Dagmar Preußner. „Überall werden im Herbst mit dem Laubbläser Blätter schnell entfernt, kein Wunder, dass ganze Insektenarten nicht mehr zu finden sind.“ Und eben jene Insekten seien die Nahrungsgrundlage vieler Vogelarten.
Esther Rossa, die mehrere Jahre in Sundern eine Vogelauffangstation betrieben hat, kennt einen weiteren Grund für den Schwund der Vögel. „Es gibt auch immer weniger Felder, auf denen zum Beispiel Weizen oder Gerste angebaut wird. Dort haben sich aber auch nach dem Ernten viele Vögel Körner geholt und damit sich selbst und ihre Jungtiere ernährt. Dazu kommt das Spritzen von Gift gegen Unkraut. Das kann man ja auch in vielen heimischen Gärten beobachten.“ Den Vögeln werde sukzessive die Lebensgrundlage entzogen. Durch den Borkenkäferbefall habe man in den letzten Jahren große Waldgebiete roden müssen, mit Konsequenzen für einige Arten. „Den Spechten hat man dadurch den Lebensraum genommen.“
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Ein Problem laut Esther Rossa sei auch die generelle Aufzucht der Jungtiere. „Vögel passen sich an die veränderten Lebensbedingungen zügig an. Wenn sie feststellen, dass sie zu wenig Nahrung für ihren Nachwuchs finden, dann werden die kranken und schwächlichen Jungtiere aus dem Nest gestoßen, um die wenige Nahrung den gesunden und stärkeren Tieren zu geben. Insgesamt werden dann weniger Vögel ausgebrütet. Der Bestand verringert sich.“
„Aus naturschutzfachlicher Sicht müssen wir die Situation der Brutvögel im Hochsauerlandkreis (HSK) mit großer Sorge betrachten. Die neuesten Daten der Roten Liste Nordrhein-Westfalen 2021 zeigen einen beunruhigenden Trend: Der Rückgang vieler Vogelarten setzt sich fort, und das Hochsauerland macht da keine Ausnahme“, erklärt Ralf Pohlmeyer. Er ist Sprecher des Landesfachausschusses Ornithologie beim Nabu NRW.
Die Brutvögel des Offenlandes, die ohnehin schon in NRW stark gefährdet seien, würden auch im HSK drastische Bestandseinbußen erleiden. Dazu zählen Wiesenpieper und Braunkehlchen. „Bekassine und Kiebitz sind seit Beginn der 1990er-Jahre als Brutvögel völlig verschwunden, das Rebhuhn gibt es nur noch sehr selten in der Medebacher Bucht und dem Raum Marsberg“, so Pohlmeyer. Besonders alarmierend sei der Rückgang der Feldlerche, die in immer mehr Gebieten in den Beständen zurückgehe oder ganz verschwinde, wobei vor allem der Osten des HSK noch nennenswerten Dichten aufweise. „Sie steht beispielhaft für die Vögel der bäuerlichen Kulturlandschaft, die durch die immer intensivere Landwirtschaft heutzutage oft keine geeigneten Lebensräume und Insektennahrung mehr finden“, so der Ornithologe.
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Auch der Feldsperling - im Volksmund Spatz genannt - leide unter den veränderten Bedingungen in den bäuerlichen Kulturlandschaften, erklärt der BUND. „Auch die Vögel des Waldes bleiben nicht verschont. Der Schwarzstorch, ein Symbol für gesunde Waldökosysteme, leidet unter der intensiven Forstwirtschaft. Alte Laubbaumbestände werden gefällt, wodurch wichtige Brutplätze verloren gehen, und die Störungen am Brutplatz nehmen zu“, betont Ralf Pohlmeyer. Es gebe aber auch Lichtblicke: Die noch guten Bestände vieler Arten im Osten des HSK hätten zur Ausweisung des Vogelschutzgebietes (VSG) „Diemel- und Hoppecketal“ geführt. Auch Arten wie der Rotmilan und die Feldlerche seien hier noch gut vertreten.
Gefahr besteht für Gebäudebrüter. Ein Beispiel ist die streng geschützte Fledermaus. Ihre Fortpflanzungs-, Ruhe- und Schlafstätten sind ganzjährig geschützt, sofern es sich um standtorttreue Tiere handelt, was für die „Gebäudebrüter“ zutrifft. Die Quartiere der Tiere dürfen daher nicht zerstört oder verschlossen werden – auch nicht während deren Abwesenheit. „Ist im Rahmen einer Modernisierung oder bei einem Gebäudeabriss das Verschließen oder Beseitigen einer Fortpflanzungs-, Ruhe- und Schlafstätte erforderlich, so ist vorab eine Ausnahmegenehmigung bei den örtlichen Naturschutzbehörden einzuholen. Erst diese Befreiung legitimiert die Beseitigung eines Neststandortes oder eines Fledermausquartiers in einer Zeit, in der sich in dem Quartier weder Eier noch lebende Tiere befinden dürfen. Die Ausnahmegenehmigung ist in der Regel mit einer verbindlichen Auflage zur Schaffung von Ersatzquartieren verbunden, die einen räumlichen Bezug zum Eingriffsort haben müssen“, heißt es in einer Mitteilung des BUND.
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„Gebäudebrüter“ werden jedoch immer häufiger Opfer des am 1. Januar 2024 in Kraft getretene Gebäudeenergiegesetzes. Das sieht u.a. auch eine verbesserte Dämmung vor, damit die Dichtheit des Gebäudes erhöht wird. „Fledermäuse zum Beispiel nisten gerne im Dachgebälk oder in Mauerspalten. Diese Öffnungen fallen aber durch effizientere Wärmedämmung als Nistplätze weg“, so Dagmar Preußner vom BUND. Bei der Schaffung von Ersatzquartieren - wie vorher beschrieben - sei es aber nicht sicher, dass diese von den Tieren auch angenommen werden.