Neheim. An der einen Kante fällt Michael Irnig fast aus dem Rollstuhl; an der anderen hängt er fest. Inklusion muss endlich gelebt werden.

Lego-Rampen, um kleine Hürden zu überbrücken, spielten 2021 eine große Rolle in der Stadt Arnsberg. Klein, bunt und fein zeigten sich die Klemmsteinchen, die hier und dort kleine Stufen oder Kanten zierten. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sollten so über eine transportable Rampe barrierearm in Geschäfte oder andere öffentliche Gebäude kommen. Kinder und Jugendliche aus dem Neheimer Jugendzentrum engagierten sich; aber auch Lernende der Fröbelschule in Arnsberg - bauten Lego-Rampen aus gespendeten Klemmsteinen. Was daraus geworden ist? Keine Ahnung.

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Vielleicht wäre diese Idee aber etwas für den Kreuzungsbereich Werler Straße / L745. Denn die Bordsteinkanten an den einzelnen Ampeln stellen dort nicht nur eine Barriere dar, sondern auch eine Gefahr für Leib und Leben. Michael Irnig, an den Rollstuhl gebunden, zeigte, wo es an dieser Kreuzung hakt - und zwar wortwörtlich. Die sicherlich auch günstigeren Lego-Steinchen hätten nicht nur für mehr Grip gesorgt, sondern auch dafür, dass er ohne große Mühe (und Gefahr) die Straße hätte überqueren können.

Inklusion leben, statt nur darüber zu sprechen

Aber mal im Ernst: Eine Stadt, die sich Barrierefreiheit auf ihre Fahne geschrieben hat; sogar eine Fachstelle „Behindertenhilfe“ aufweist, kann sich eigentlich ein solches Dilemma nicht leisten. Fairerweise muss man dazu sagen, dass dieser Kreuzungsbereich nicht bzw. nicht voll umfänglich in den Zuständigkeitsbereich der Stadtverwaltung fällt, sondern vielmehr in die Verantwortung von Straßen NRW. Aber auch diesem Träger ist der Leitfaden zur Barrierefreiheit im Straßenraum nicht fremd. Und damit auch der Grundsatz, dass innerorts bei allen Neu- und Umbaumaßnahmen barrierefrei gebaut werden soll.

Michael Irnig und seine Frau sind auf den Rollstuhl angewiesen. Insbesondere an der Kreuzung Werler Straße / L745 ecken sie jedoch immer wieder an. Sie meinen: Barrierefreiheit geht anders.
Michael Irnig und seine Frau sind auf den Rollstuhl angewiesen. Insbesondere an der Kreuzung Werler Straße / L745 ecken sie jedoch immer wieder an. Sie meinen: Barrierefreiheit geht anders. © WP | Thora Meißner

Gut - die aktuellen Straßenbauaktionen, auch das fairerweise, liegen wiederum nicht bei Straßen NRW, sondern bei den Stadtwerken Arnsberg. Haben allerdings auch nichts mit den Bordsteinen und deren Kanten zu tun, ebenso aber auch nichts mit dem Kreuzungsbereich, der nicht nur Michael Irnig gefährlich werden kann, sondern auch jeder Person, die mit einem Rollator unterwegs ist.

Die Kassen sind leer, keine Frage. Auch hakt es an allen Ecken und Kanten in Arnsberg, ebenfalls keine Frage. Dennoch muss eine Lösung her. Denn diese Ecken und Kanten, die sich an der Kreuzung Werler Straße / L745 für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen auftun, sind schlicht eins: Eine Behinderung des selbstbestimmten Lebens.

Zuständigkeit hin oder her - es muss sich etwas tun. Wir können nicht dauernd über Inklusion sprechen, sondern müssen sie endlich leben. Und das wiederum geht nur, wenn ein jeder und ein jede die Lebenswelt der betroffenen Menschen kennen- und zu verstehen lernt - beginnend bei den einfachsten und natürlichsten Dingen der Welt: Das Überqueren von Ampelanlagen.