Neheim. Michael Irnig sitzt seit 2007 im Rollstuhl, zeigt die Mobilitätshürden in Neheim auf. Insbesondere an der Kreuzung Werler Straße / L745 hakt es.

Die Ampel zeigt inzwischen wieder Rot. Michael Irnig dreht seinen Rollstuhl, um rückwärts die Kante hinaufzufahren. Was er nicht bemerkt: Der Bulli, dessen Ampel inzwischen wieder Grün zeigt, fährt schon los. Was, wenn er jetzt stürzt? „Ach, das habe ich gar nicht gesehen, dass der schon losfuhr“, sagt er, „ja, das wäre gefährlich.“ Der gesamte Kreuzungsbereich Werler Straße / L 745 ist nicht barrierefrei für ihn passierbar. Uns zeigt er, was es heißt, „mal eben“ in die Stadt fahren zu wollen.

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Rollstuhlfahrer in Neheim
Michael Irnig muss sich auf dem Weg zur Ampelanlage Werler Straße / L 745 nach vorne beugen, um nicht nach hinten zu kippen.  © WP | Thora Meißner

Seit 25 Jahren lebt er in Neheim - der Liebe wegen. „Ich fühle mich in Neheim absolut wohl - bin nach wie vor gerne hergezogen“, erzählt er, während er von Ampel zu Ampel fährt, um auf die Probleme an den Bordsteinen hinzuweisen. Immer wieder fahren Autos bereits los, obwohl Michael Irnig noch am Rand der Fahrbahn steht. Denn die Zeitschaltung reicht nicht aus, um den ersten Bordstein rückwärts herunterzufahren, die Straße zu überqueren und den zweiten Bordstein dann wieder rückwärts hinaufzufahren. „Manchmal werde ich auch gefragt, ob ich Hilfe benötige“, sagt er. Da sei es auch schonmal vorgekommen, dass ein Autofahrer ausgestiegen wäre und ihn die Kante heraufgeschoben habe. „Das ist doch echt peinlich, oder?“ Für ihn, aber auch für Neheim.

Wer ist zuständig? Stadt oder Straßen NRW?

Das Gefühl, dass er mit seinem Rollstuhl andere Verkehrsteilnehmende stören könnte, sei immer da. „Aber mittlerweile bin ich abgestumpft“, sagt der Neheimer. Seit einem Sturz im Jahr 2007, bei dem er sich den Oberschenkel brach, ist er an den Rollstuhl gebunden. Ihn und seine Frau eint dieses gemeinsame Schicksal. Denn krankheitsbedingt können sie sich beide nicht mehr ohne den Rollstuhl fortbewegen.

Rollstuhlfahrer an der Werler Straße
Drei Zentimeter sind eigentlich gut - aber nicht dann, wenn es hinter dem Bordstein eine „Lücke“ gibt bzw. eine Herabsetzung. Dann wird es schwierig. © WP | Thora Meißner

Die ungleichmäßigen Bordsteinkanten, überwiegend höher als drei Zentimeter, sind das Eine - das Andere sind die Gullis, Schlaglöcher und Gehwegsteigungen, die ihn dazu bewegen, auf dem Rollstuhl zu sitzen, als cruise er gerade mit einem Rennrad daher. „Wenn ich mich nicht nach vorne lehne, kippe ich nach hinten“, erklärt Irnig. „Aber gut, so ist das halt. Dass alles ein wenig holprig ist, stört mich auch nicht - aber die Bordsteine an den Ampeln sind gefährlich.“ Seine Frau sei bereits einmal mit ihrem Rollstuhl wegen der Bordsteinkante auf der Straße umgekippt. „Zufällig fuhr die Polizei da lang und half ihr dann wieder auf, ich war nicht dabei.“ Doch auch, wenn er dabei gewesen wäre, hätte er nichts tun können, weiß er.

Trotzdem will er nicht meckern, sucht eher nach Lösungen. Doch mit wem? Wer ist zuständig? Dazu hat die Stadt Arnsberg jetzt eine Stellungnahme abgegeben: „Der Stadt Arnsberg ist das Thema der für Rollstuhlfahrer schwer zu passierenden Gehwegabsenkungen an der Ampelanlage Werler Straße bekannt. Es hat in der Vergangenheit auch bereits ein Treffen mit der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen der Stadt Arnsberg vor Ort stattgefunden“, so Stadtsprecher Frank Albrecht. „Allerdings liegt der gesamte Kreuzungsbereich in der Baulast und Zuständigkeit von Straßen NRW. Seinerzeit wurde das Thema auch an die Straßenbauverwaltung von StraßenNRW in Meschede weitergeleitet. Ein Ergebnis, wie seitens StrassenNRW mit dem Sachverhalt umgehen wird, liegt der Stadt Arnsberg nicht vor. Die Stadt Arnsberg wird in der Sache nochmals Kontakt zu StraßenNRW aufnehmen. Nach Auskunft des zuständigen Fachdienstes ist ein barrierefreier Umbau der Kreuzung jedoch nicht kurzfristig zu realisieren und zudem mit vermutlich erheblichen Kosten verbunden. Zeitliche Aussagen können wegen der nicht vorhandenen Zuständigkeit der Stadt Arnsberg leider nicht getroffen werden.“

Rollstuhlfahrer an der Werler Straße
Ein gutes Beispiel: Dieser Ampelübergang ist für Michael Irnig ohne Probleme passierbar. Das gefällt ihm. © WP | Thora Meißner

Bei Straßen NRW habe es ebenfalls jemanden gegeben, der sich die örtlichen Gegebenheiten angesehen habe. „Aber auch da bin ich nicht vorangekommen.“ Indes müsse er immer mit dem Blick auf den Boden fahren - müsse auf jedes Detail achten. „Mittlerweile weiß ich ja auch, welche Kante ich wie nehmen muss.“ Und dennoch soll sich später herausstellen, dass es Ausnahmen gibt. Von Straßen NRW konnte aufgrund der aktuellen Urlaubszeit bisher keine Reaktion erfolgen.

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Werler Straße: Rollstuhlfahrer steckt fest

Seit zwei Jahren versucht Michael Irnig, Verantwortliche für den Kreuzungsbereich zu sensibilisieren, zu involvieren und zu überzeugen, dass sich an dieser Situation etwas ändern muss. Denn für ihn und seine Frau geht es hier nicht um Bequemlichkeit, sondern darum, dass aus einem geplanten Stadtbesuch „ein Tagesausflug“ wird. „Wenn wir zusammen in die Stadt fahren möchten, nutzen wir einen Umweg - entlang des Sportplatzes, unter der Unterführung her und dann nach links in die Stadt.“ Doch auch dies geht aufgrund einer aktuellen Baustelle nicht.

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Darüber, dass auch dieser Umweg viele Hürden für die beiden Rollstuhlfahrenden aufweist, beschwert sich Irnig nicht - sieht es offenbar als „normal“ an. „Ich weiß ja, dass die Städte kein Geld haben“, sagt er, „aber irgendwas muss da passieren.“ Denn er denkt hier nicht nur an sich und seine Frau, sondern auch an all die älteren Menschen, die mit einem Rollator unterwegs sind. „Ich glaube, für die sind die Wege teilweise noch schlimmer als für uns“, so Irnig.

Rollstuhlfahrer an der Werler Straße
Nun geht nichts mehr. Unsere Redakteurin muss ihm zur Hilfe kommen und ihn die Kante hinaufziehen. © WP | Thora Meißner

Besonders heikel zeigt sich die Bordsteinkante an der Ampel zur Möhnebrücke aus Richtung des Parkplatzes an der Ackerstraße. Denn als Michael Irnig, wie immer, rückwärts hinauffahren möchte, bleibt er „stecken“. „Oh, hier komme ich nicht hoch“, sagt er, „Hier streikt sogar der Rollstuhl.“ Soll heißen, dass auch die Antriebselektronik des 6 km/h schnellen Rollstuhls mit den zwölf Zentimeter großen Reifen diese Hürde nicht meistern kann. Jetzt ist er auf Hilfe angewiesen.

Rollstuhlfahrer wünscht sich Bewegung in der Angelegenheit

Konfrontiert mit einigen der im Ortstermin erstellten Videos reagiert Bürgermeister Ralf Paul Bittner empathisch, auch wenn er letztlich darauf hinweist, dass die Zuständigkeit nicht bei der Stadt Arnsberg liegt. „Auch wenn wir an vielen Stellen schon deutliche Verbesserungen erreichen konnten, bleibt noch viel zu tun, um die Stadt weiter barriereärmer zu gestalten“, sagt er. Dennoch wolle er die Beschwerde an den zuständigen Träger, Straßen NRW, direkt weitergeben.

Es bleibt abzuwarten, wie Straßen NRW sich nach Rückkehr der zuständigen Personen aus dem Urlaub äußern wird.