Sundern. In Sundern entsteht adaptive Kleidung für Kriegsverletzte der Ukraine, initiiert von Natalya Franz. Unterstützer des Projekts werden gesucht
Das Rattern zweier Nähmaschinen durchbricht die Stille im Raum, vereinzelt fallen ein paar ukrainische Worte. Ansonsten aber herrscht hier geschäftige Ruhe. Während ihre Söhne, Brüder, Väter und Männer mehr als 2.000 Kilometer entfernt gegen die russischen Invasoren kämpfen, nähen in Sunderns Innenstadt Ukrainerinnen im neu geschaffenen „Nähzimmer“ adaptive Kleidung für Verwundete.
Natalya Franz hat das Nähzimmer mit dem Sunderner Verein „DoVira Help Foundation“ gegründet. Im Johanneshaus wurde ein Raum angemietet, in dem derzeit montags von 12 bis 17 Uhr und freitags von 15 bis 18 Uhr gebügelt, geschneidert und genäht wird. Die Idee sei ursprünglich in der Ukraine selbst entstanden, wo sich Frauen in Einheiten zusammengeschlossen haben, um Kleidung für Menschen mit Kriegsverletzungen anzufertigen. Die Ukrainerinnen, die nach Deutschland geflüchtet sind, haben diese Idee mitgebracht. In Sundern ist mittlerweile das 10. Nähzimmer Nordrhein-Westfalens ins Leben gerufen worden.
„Es geht im ersten Schritt darum, adaptive Kleidung anzufertigen. Die Kleidungsstücke sind für Menschen mit Kriegsverletzungen vorgesehen, die deren Bedürfnisse berücksichtigen. Die Verletzten sind durch ihre Bettlägerigkeit oft schwer an- und auszukleiden. Neben dem praktischen Aspekt spielen auch Würde und Diskretion eine wichtige Rolle. Möglich wird das durch Klettverschlüsse an den Seiten der Arme und Beine und im Leisten und Schulterbereich“, berichtet Natalya Franz. Das ganze Leid wird deutlich, wenn man sieht, dass die Frauen im Sunderner Nähzimmer auch adaptive Kleidung für Kinder produzieren. „Wir benötigen auch dringend Hilfsmittel wie Krücken oder spezielle Rollatoren für Kinder, die durch Granatensplitter oder Bomben verletzt wurden und sich nun nur noch mit Hilfen fortbewegen können“, so Franz.
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Sie selbst lebt zwar bereits seit 2003 in Deutschland. Doch ein Teil ihrer Familie befindet sich aktuell in der Heimatstadt Vinnytsa. In der Großstadt südlich von Kiew leben rund 300.000 Menschen, darunter auch die Eltern von Natalya Franz. „Ich versuche, regelmäßig Kontakt mit meinen Eltern zu halten. Meine Schwester ist mit ihren Kindern über Moldawien und Rumänien hier zu mir ins Sauerland geflüchtet. Wildfremde Menschen haben ihr die Busfahrt bezahlt, weil sie kein Geld mehr hatte. Als ich davon gehört habe, habe ich direkt das Geld nach Moldawien zurückgeschickt. Ich bin unendlich dankbar für die Hilfe so vieler Menschen.“
Apropos Hilfe. Die erhalten das Nähzimmer und der Verein DoVira aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Die Pfarrgemeinde St. Johannes, die Integrationsagentur des Caritasverbandes Arnsberg-Sundern und die Jugendcaritas Arnsberg setzen sich für die Belange der Ukrainer ebenso ein wie die Kolpingsfamilie Hachen. Uta und Franz Nagel von der Kolpingsfamilie unterstützen Hilfstransporte, sammeln Geld und spenden Stoffe, Garn und Hygieneartikel. „Wenn große Not ist, kaufen wir auch Kinderkleidung ein“, sagt Uta Nagel. Sie hat ein ganz besonderes Verhältnis zur Ukraine. Vor 20 Jahren war sie selbst im Land zu Besuch. „Wir haben noch immer Kontakt zu Menschen, die Opfer der Atomkatastrophe von Tschernobyl waren. Bei unserem Besuch haben wir die schönen und die Schattenseiten in der Ukraine sehen dürfen“, so Uta Nagel.
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Ihr Ehemann Franz Nagel überlegt derweil, wie man weitere Hilfstransporte in den Westen des Landes finanzieren kann. Dort, wo momentan keine Kämpfe stattfinden, wird die Logistik geplant. „Ich habe schon Gespräche mit Vorstandsmitgliedern des Kolpingsfamilie Hachen geführt. Mal schauen, was noch geht.“ Die Städte Lwiw und Kiew gelten als zentrale Drehscheiben für die Abwicklung der Transporte. „Ich erhalte von meinen Kontaktleuten in der Ukraine Nachrichten, welche Kleidungsstücke und Hilfsmittel an welcher Stelle gerade am dringendsten benötigt werden und dann nehme ich Kontakt zu Speditionen in der Ukraine auf und frage nach dem Preis für eine solche Lieferung“, erklärt Natalya Franz. Sie müsse immer ganz genau kalkulieren, wie sie die Spendengelder einsetze. „Ich kann garantieren, dass das Geld und die gespendeten Sachen zu 100 Prozent dort ankommen, wo sie benötigt werden. Bei uns versickert nichts in irgendwelchen dubiosen Kanälen“, versichert sie.
Dankbar sei sie auch über die Unterstützung der Firma Tillmann. Dort darf Franz ein Lager nutzen und bekommt auch Kartons zum Verpacken zur Verfügung gestellt. „Ohne diese Hilfe wäre das alles kaum in der Form möglich.“ Sie wählt ausschließlich ukrainische Speditionen für die Transporte aus, weil diese für den Transport in die Kriegsgebiete ganz anders versichert seien als beispielsweise deutsche Speditionen. Rund zwei Tage dauert eine Fahrt von Sundern nach Kiew.
Natalya Franz hofft, von Deutschland aus möglichst vielen Landsleuten helfen zu können. Immer wieder organisiert sie Spendenaktionen, bittet um Unterstützung für ihre Heimat, die unter dem russischen Angriffskrieg leidet. Das Nähzimmer hat Franz nicht nur ins Leben gerufen, um die adaptive Kleidung herstellen zu lassen. Dahinter steckt auch noch ein weiterer Gedanke: „Neben der Solidarität mit den Menschen in der Ukraine geht es eben auch um die Möglichkeit, dass wir hier kreative Frauen zusammenbringen, die sich begegnen und sich gegenseitig unterstützen,“ so Natalya Franz. Es sind nicht nur Frauen eingeladen die bereits Nähen können, auch Anfängerinnen werden für die vorbereitenden Arbeiten wie zuschneiden oder Kissen füllen gebraucht. Hier geht es ausdrücklich nicht nur um die Frauen aus der Ukraine, sondern alle Menschen aus Sundern sind herzlich dazu eingeladen, sich zu beteiligen.