Arnsberg. Vom Verbot zur Freiheit: Henna floh vor den Taliban und kämpft jetzt in Deutschland für ihre Bildung und Zukunft. Das sind ihre Pläne.

Sie würde bombardiert, ginge sie in die Schule, da ist sich Henna sicher. Vielleicht würde ihr auch Säure ins Gesicht gespritzt. Deshalb blieb sie daheim. Bereits Jahre vor der Machtübernahme Afghanistans durch die Taliban. „Die Taliban wollen nicht, dass Mädchen lernen“, sagt sie. „Wir sollen zuhause bleiben und uns um Haus und Familie kümmern.“ Lange war sie nicht in der afghanischen Schule. „Ich war in der vierten Klasse, als alle darüber sprachen, dass die Taliban in unsere Stadt kommen werden - von da an sind meine Schwester und ich nicht mehr zur Schule gegangen.“

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Henna lebte mit ihrer Familie in Dschalalabad. Es ist der 15. August, der ihr Leben verändert. Die Taliban übernehmen den Mittelpunkt in der Provinz Nangarhar. An diesem Tag fliehen viele Menschen aus der Provinzhauptstadt nach Kabul. Hennas Familie flieht nach Peshawar in Pakistan. „Dort sind wir bei einer Tante untergekommen“, erzählt die junge Frau. Von dort aus flohen sie weiter nach Malaysia, dort lebten sie eine Zeit lang. Etwa eineinhalb Jahre später kam sie nach Deutschland, Arnsberg.

Dankbar für die Möglichkeiten in Arnsberg

„Ich bin so dankbar, dass ich hier leben darf.“ Sie lächelt. „Ich durfte schon nach wenigen Tagen in die Schule gehen und habe viele Menschen kennengelernt, die mir geholfen haben.“ Ihr Kopftuch, das sie in Afghanistan tragen musste, legte sie ab. „Ich möchte es nicht tragen - und hier muss ich es auch nicht.“ Es seien die Traditionen, die afghanische Mädchen dazu zwängen, das zu tun, was Vater, Onkel und Bruder von ihnen wollten. Und auch, wenn sie mit ihrem Großvater noch „Glück gehabt“ habe, da er nicht ganz so streng gewesen sei, gehe es ihr hier in Arnsberg besser. „Mein Opa hat in der Politik gearbeitet - und war recht modern eingestellt.“ Drei Jahre lang habe er damals in Deutschland Politik studiert - sei aber danach aus privaten Gründen zurück nach Afghanistan gegangen.

Henna trägt Kopftuch
In Afghanistan musste Henna Kopftuch tragen - in Deutschland war es ihre freie Entscheidung, es nicht zu tragen. © WP | Privat

Doch, dass sie und ihre Schwester zur Schule gehen, habe auch er nicht gewollt. „Es war zu gefährlich. Die Taliban hatten es verboten.“ Mädchen dürfen nach den Gesetzen der Taliban nur bis zur sechsten Klasse in die Mädchenklassen gehen - bereits zum dritten Mal hat in diesem Jahr ein siebtes Schuljahr ohne Mädchen begonnen.

„Für 1,5 Millionen Mädchen bedeutet dieser systematische Ausschluss vom Lernen nicht nur eine eklatante Verletzung ihres Rechts auf Bildung, sondern auch schwindende Zukunftschancen und eine Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit“, heißt es dazu auf den Webseiten der Unicef. Dieses Vorgehen verschärfe die anhaltende humanitäre Krise und habe schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft und die zukünftige Entwicklung Afghanistans.

Bildung schütze Mädchen vor Kinderehen, Mangelernährung und anderen Gesundheitsproblemen und stärke ihre Widerstandskraft gegenüber Katastrophen wie Überschwemmungen, Dürren und Erdbeben.

Bildungsmöglichkeiten für ausländische Menschen

Henna nutzt ihre Chance in Arnsberg - sie ging zunächst auf ein Gymnasium und wechselte mit Ablauf des Schuljahres in die Integrationsklasse des Berufskollegs. „Ich habe jetzt meinen Schulabschluss nach Klasse 9“, sagt sie. „Und habe mich direkt für das nächste Jahr an der Berufsschule angemeldet.“ Denn sie möchte einen Realabschluss mit Qualifikation zum Besuch der gymnasialen Oberstufe machen. „Am liebsten würde ich dann eine Ausbildung bei der Stadt Arnsberg machen - und in die Politik gehen.“

Politik? „Ja, ich finde Politik total interessant - insbesondere auch, um die Bildungsmöglichkeiten für ausländische Menschen zu unterstützen.“ Vielleicht, so sagt sie, auch zu verbessern. Bereits auf dem „Grünen Sofa“ des Teatron Theaters nannte sie ihre ganz persönlichen Wünsche zur „Stadt der Zukunft“. Denn sie freut sich sehr darüber, dass Mädchen und Frauen in Deutschland Mitspracherechte haben - und dass sie nicht, wie in ihrer Heimat, ausgeschlossen werden.

Vor einiger Zeit sei sie von ihrer ehemaligen Lehrerin angesprochen worden - das KI (Kommunales Integrationszentrum HSK) suche Dolmetscherinnen und Dolmetscher für die unterschiedlichsten Sprachen. Und Henna spricht einige. „Wir alle können Englisch, Pashto, Dari, Urdu, Hindi, Malaysisch und jetzt Deutsch“, sagt sie. Sprachen, die sie nun auch einsetzt, um als ehrenamtliche Sprachmittlerin für das KI tätig zu sein.

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Aktuell sucht sie auch nach einer kleinen Nebentätigkeit, der sie insbesondere in den Ferien nachgehen kann. „Ich habe mich in einer Eisdiele beworben und warte auf Antwort.“

Blick in die Zukunft

All dies sind Dinge, die sie als junge Frau in Afghanistan nicht hätte tun können - insbesondere jetzt, wo die Taliban das Land regieren. „Ich wäre verheiratet und Hausfrau“, sagt sie, „keine Träume und auch kein Recht, als Frau etwas zu sagen.“

Henna versucht, nicht mehr an diese Zeit zurückzudenken und gradewegs nach vorne zu schauen - in eine Zukunft mit Bildung, einer Ausbildung und, so hofft sie, einem Schritt in die Politik. Auch um all diejenigen, die der Familie geholfen haben und helfen, ein Stück weit stolz zu machen.