Arnsberg. Nicht für alle ist das Ticket ein Segen. Wieso stationäre Händler auch unter der Aktion leiden und wie lange man Sylt, München und Co. fährt.

Von Arnsberg nach Sylt, München und Co. mit dem 9-Euro-Ticket: So lange ist man unterwegs.
Von Arnsberg nach Sylt, München und Co. mit dem 9-Euro-Ticket: So lange ist man unterwegs. © Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

200.000 9-Euro-Tickets wurden deutschlandweit bereits am ersten Verkaufstag verkauft. Und das bis Mittag. Im Laufe der Woche sah die Bilanz kaum anders aus. In Arnsberg ist die Nachfrage – im stationären Handel – ebenfalls enorm hoch. Das ist jedoch nicht aus jeder Perspektive ein positiver Trend. Darüber, warum das günstige Ticket für die einen Fluch und die anderen Segen sein kann, haben wir mit Guido Schulte aus Arnsberg gesprochen. Er betreibt die Bahn-Agentur „GlobRailer“ und verkauft seit Jahrzehnten Deutsche-Bahn-Tickets.

Zustände wie 1995

Die aktuellen Zustände erinnern ihn an Februar 1995. Damals wurde das Wochenendticket für 15 Mark eingeführt – und die Fahrkarten-Anbieter völlig überrannt. „Allein Montag und Dienstag habe ich pro Tag locker über 100 Neun-Euro-Tickets in Arnsberg verkauft. Für mich und andere stationäre Anbieter ist das eigentlich eine Katastrophe, weil wir jetzt für drei Monate kaum mehr etwas anderes verkaufen werden“, sagt Schulte.

Ausgleichszahlungen für Agenturinhaber wie ihn sei aktuell kein Thema und so habe er sich zunächst damit abgefunden, dass er überwiegend Tickets für neun Euro an den Mann und die Frau bringt. Doch nicht nur die finanziellen Ungereimtheiten lassen den Bahn-Experten am Projekt zweifeln.

Enttäuschung für Bahn-Neulinge?

„Schön wäre natürlich, wenn diejenigen, die durch das Neun-Euro-Ticket erstmals den öffentlichen Nahverkehr testen, begeistert wären und langfristig zu Bahnfahrern werden. Ich habe auf jeden Fall viele mir bislang unbekannte Gesichter gesehen, die sich das Ticket zugelegt haben. Daran, dass diese Personen durch die Aktion begeisterte Bahnfahrer werden, habe ich jedoch große Zweifel“, so Guido Schulte.

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Zweifel daran, dass die Deutsche Bahn den großen Ansturm überhaupt und zur Zufriedenheit der Fahrgäste stemmen kann. Denn schon jetzt mangele es schließlich an Zügen wie ausreichend Personal. „Ich befürchte leider, dass viele Züge, gerade auf ohnehin hoch frequentierten Strecken, maßlos überfüllt sein werden und die Bahn-Neulinge dann eher enttäuscht sind und nicht langfristig auf den ÖPNV umsteigen werden. Ich hoffe sehr, dass das alles nicht komplett nach hinten losgeht.“

Letztlich sei natürlich abzuwarten, wie sich die tatsächliche Nachfrage und Nutzung des Tickets in den kommenden drei Monaten einpendelt. Ob wirklich jeder Fahrkarten-Käufer in den nächsten Wochen auch Bus- und Bahnfahrer ist, kann derzeit nur orakelt werden. Guido Schultes Prognosen für das Sauerland sind jedenfalls eindeutig: „Wenn alle nur nach Neuenrade fahren würden, hätten wir mit Sicherheit keine Probleme. Ich fürchte jedoch, dass sich der Andrang auf die Strecke entlang des Ruhrtalradwegs fokussieren wird. Und da kann man dann wohl nur dazu raten, die nächsten drei Monate keine Fahrräder mit in den Zug zu nehmen, das wird vermutlich sehr eng.“

„Es wird Sylt-Versucher geben“

Ein zusätzlich Problem: Ab Mitte Juni wird der RE17, der zwischen Hagen und Warburg verkehrt und das Sauerland durchkreuzt, auch noch zur Ausweichstrecke für Fahrgäste des RE11, da zwischen Paderborn und Altenbeken gebaut wird und dieser Zug temporär entfällt.

Davon, dass einige Arnsberger versuchen werden, das Neun-Euro-Ticket für entferntere Ziele zu nutzen, geht Guido Schulte aus, betrachtet die Idee, mit Regionalzügen bis nach Sylt zu gelangen jedoch als abenteuerlich: „Die Sylt-Versucher wird es geben. Aber acht Umstiege bedeuten auch acht Mal die Chance, den Zug zu verpassen“, sagt er und lacht. Ziele an Rhein und Mosel würden sich da eher anbieten, doch auch dort sei die Gefahr hoch, vor allem an Wochenenden, dass die ohnehin schon beliebten Strecken (RE 1, 7 oder 11) extrem frequentiert würden.

Die Prognosen hätten bereits Folgen für regelmäßige Bahnfahrer und Pendler: „Viele, die es sich leisten können und möchten, buchen für Fahrten im Juni, Juli und August Tickets für die erste Klasse, um völlig überfüllte Abteile zu umgehen“.