Brilon/Hochsauerlandkreis. 800 Wohnungen jährlich: Das braucht der Hochsauerlandkreis, wenn er gegen den Wohnungsmangel kämpfen will. Dem Kreis sind die Hände gebunden.

Es muss gebaut werden: Bis 2028 braucht der Hochsauerlandkreis den Neubau von rund 800 Wohnungen – und zwar pro Jahr. Diese Wohnungsbau-Prognose für die kommenden vier Jahre hat das Pestel-Institut in einer aktuellen Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt ermittelt. „Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit – immerhin fehlen im Hochsauerlandkreis aktuell rund 2.000 Wohnungen – abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, betont Matthias Günther vom Pestel-Institut in einer Pressemitteilung.

5 Prozent der Wohnungen allein in Brilon stehen leer

An dem Wohnungsbedarf im Hochsauerlandkreis ändere auch die Zahl leerstehender Wohnungen nichts: Der aktuelle Zensus registriert für den Hochsauerlandkreis immerhin rund 6.170 Wohnungen, die nicht genutzt werden, so das Pestel-Institut. Allein in Brilon sind rund 5 Prozent der bestehenden Wohnungen Leerstände. Kreisweit sind es insgesamt 4,6 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand. Ein Großteil davon – nämlich rund 3.860 Wohnungen – stehe jedoch schon seit einem Jahr oder länger leer. „Das sind immerhin rund 62 Prozent vom Leerstand. Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden“, sagt Matthias Günther.

Wohnungsleerstand mitunter nötig

Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch notwendig. „Rund 3 Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können. Aber es wird nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und an den Markt zu bringen“, so das Fazit von Matthias Günther

Es wird immer teurer und damit schwieriger, neue Wohnungen zu bauen.
Es wird immer teurer und damit schwieriger, neue Wohnungen zu bauen. © WP | Tobias Seifert

Denn viele Hauseigentümer halten sich nach Beobachtungen des Pestel-Instituts mit einer Sanierung zurück: „In ihren Augen ist eine Sanierung oft auch ein Wagnis. Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutz-Auflagen – wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts weiter in der Pressemitteilung. Außerdem hapere es bei vielen auch am nötigen Geld für eine Sanierung.

Erbstreitigkeiten sorgen für Leerstände

Weitere Gründe, warum leerstehende Wohnungen nicht vermietet werden: „Immer wieder kommt bei Erbstreitigkeiten kein Mietvertrag zustande. Und oft scheuen sich Hauseigentümer auch, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Matthias Günther. Für ihn steht deshalb fest: „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch im Hochsauerlandkreis kein Weg vorbei.“

Hochsauerlandkreis sind die Hände gebunden

Das allerdings ist nicht ganz so leicht. Pressesprecher Martin Reuther vom Hochsauerlandkreis erklärt gegenüber der WP: „Leider hat der HSK keine Möglichkeit, Einfluss auf den Wohnungsmarkt zu nehmen. Ein Großteil der Vorgaben kommt von Bund und Land. Die Städte und Gemeinden können beispielsweise über Bebauungspläne oder die Ausweisung von neuen Baugebieten ein bisschen Einfluss nehmen.“ Auch die Förderrichtlinien würden vom Land NRW vorgegeben. „Das Land hat für 2024 die öffentliche Wohnbauförderung um 1 Milliarde Euro auf 2,7 Mrd. Euro erhöht. Wieviel Fördermittel der Hochsauerlandkreis hiervon bekommt, ist noch nicht bekannt“, so Reuther abschließend.

Aufs Land für eine Wohnung? Kein guter Rat

Das Pestel-Institut hat die Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt. Für dessen Präsidentin macht die Untersuchung eines deutlich: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei“, sagt Katharina Metzger. Sie erteilt damit der Aufforderung von Klara Geywitz (SPD) eine klare Absage. Die Bundesbauministerin hatte zuletzt den Menschen, die eine Wohnung suchen, geraten, aufs Land zu ziehen. Für die Verbandschefin vom Baustoff-Fachhandel steht fest: „Der Wohnungsbau ist auch im Hochsauerlandkreis das Bohren dicker Bretter.“

Baustandards müssen sinken

Verbandspräsidentin Katharina Metzger.

„Es passiert zu wenig. Und was jetzt passiert, kommt zu spät. “

Katharina Metzger

Um voranzukommen, fordert Metzger, die Baustandards zu senken: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“ Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen. Katharina Metzger warnt: „Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen – von hoch geschraubten Klimaschutzmaßnahmen, ohne die es keine Förderung gibt, bis zu Stellplätzen, ohne die erst gar nicht gebaut werden darf.“

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Was jetzt passiere, komme zu spät

Scharfe Kritik richtet Metzger in der Pestel-Pressemitteilung an den Bund: „Es passiert zu wenig. Und was jetzt passiert, kommt zu spät. Wer 400.000 Neubauwohnungen – darunter 100.000 neu gebaute Sozialwohnungen – im Wahlkampf verspricht und im Koalitionsvertrag festschreibt, der darf nicht erst ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl wach werden.“ Ohne eine deutlich stärkere staatliche Unterstützung würden weder der notwendige Neubau noch die Sanierungen von Wohnungen im erforderlichen Umfang gelingen. Außerdem kritisiert Metzger gemeinsam mit den Wissenschaftlern vom Pestel-Institut den geplanten Bundeshaushalt für 2025: Darin fehlten dringend notwendige Fördermittel für den Wohnungsneubau – allen voran für den sozialen Wohnungsbau. Der benötigt nach Berechnungen des Pestel-Instituts mindestens 12 Milliarden Euro pro Jahr von Bund und Ländern. Der Bund stelle für 2025 jedoch lediglich 3,5 Milliarden Euro bereit. 

Perspektive sei bis 2028 nicht gut

Auch die Perspektive sei schlecht: Bis 2028 wolle die Bundesregierung Sozialwohnungen mit weniger als 22 Milliarden fördern. „Das reicht hinten und vorne nicht. Und es ist ein willkürlich gegriffener Zeitraum, um eine vermeintlich hohe Milliardensumme in den Raum zu stellen. Doch die Wahrheit dahinter ist: Der soziale Wohnungsbau wird bei dieser Bundesregierung auch weiter auf der Strecke bleiben. Das müssen die Menschen den heimischen Bundestagsabgeordneten im Hochsauerlandkreis jetzt klarmachen. Nur wenn es massiven Druck vor Ort gibt, werden diese und die kommende Bundesregierung begreifen, wie ernst die Lage ist“, sagt Katharina Metzger.

Wohnungsbau-Branche erlebt Absturz

Aktuell erlebe die Wohnungsbau-Branche „einen regelrechten Absturz“. Viele Unternehmen hätten bereits Kapazitäten abbauen müssen. „Die Neubau-Zahlen gehen in den Keller. Mauerstein-Hersteller zum Beispiel schließen Werke. Die Entlassungswelle rollt: Der Bau verliert Beschäftigte – darunter gute Fachkräfte. Dabei ist das das Letzte, was sich Deutschland jetzt erlauben darf“, so Katharina Metzger. Die Verbandspräsidentin des Baustoff-Fachhandels warnt gemeinsam mit dem Pestel-Institut vor einer „Absturz-Spirale beim Wohnungsneubau“. Die Situation sei fatal: „Wohnungsnot trifft auf NichtWohnungsbau. Diese toxische Entwicklung muss dringend gestoppt werden.“ Denn Wohnungsmangel schaffe soziale Spannungen. „Wenn sich Menschen wochen- und monatelang um eine neue Wohnung kümmern müssen, dann braut sich da etwas zusammen. Das ist Gift für das soziale Miteinander in der Gesellschaft“, so Katharina Metzger.

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