Messinghausen/Sauerland. Zähes Vogelschießen in Messinghausen: Die Suche nach Schützenkönigen wird für Vereine zur Bewährungsprobe. Angst um eine geliebte Tradition.
„Wann kommen denn die Männer?“, fragt eine der Frauen, in der Hand eine Flasche Wasser. In Messinghausen verspäten sie sich an diesem Schützenfestmontag. In der Halle stehen sie, ganz in weiß, blau-weißes Hutband und leicht welke Blumen im Lauf des Holzgewehrs. Es wird noch geredet, geehrt, applaudiert. Draußen sind die Kirmesbuden fest verrammelt. Die Bänke sind noch leer, im Bierwagen liegen belegte Brötchen bereit. Ein paar junge Männer trinken schon ein Bier, ein Schützenbruder kontrolliert die Ausweise. Sie dürfen. Eine Frau schiebt ihren Kinderwagen neben ihre Freundin, die ein Baby in der Trage schuckelt. „So, kann losgehen“, sagt sie. Alles steht auf Spannung in Messinghausen. Wer wird der neue König? Dass an diesem Vormittag so um eine alte und geliebte Tradition gerungen wird, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Sie marschieren auf den Platz
Musik. Dann kommen sie, marschieren Reihe für Reihe über den Platz. Handys werden gezückt. Die Gesichter im Zug sind ernst. Nur manche zwinkern einmal in die Runde. Die Holzgewehre werden präsentiert. Die Musik spielt. Dann werden die ersten Schüsse abgegeben, die offiziellen. Abtreten, die Schützenbrüder lassen locker, legen die Gewehre beiseite, irgendwann stehen sie reihenweise an dem Gitterzaun. Die Bänke füllen sich, vor dem Bierwagen herrscht Gedränge, unter der Vogelstange aber auch. Sechzehn Schützen wechseln sich ab, flachsen, schießen. Nichts ernst gemeintes, so schnell fliegt der Vogel ohnehin nicht.
Kälte und Regen machen den Schützen nichts aus
Es ist kalt auf dem Festplatz über den Dächern von Messinghausen. Nur zwanzig Minuten nach Beginn steht niemand mehr unter der Vogelstange. Es tut sich nichts. Trotzdem ist die Stimmung gut. Es wird gelacht, getratscht. Mal spielt die Musik. Als doch jemand schießt, stellt sich eine Frau auf eine der Bänke. Wer will denn? Keiner so recht.
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Es nieselt. Niemand sucht Schutz in der Halle, sie alle harren aus. Nichts verpassen, zu wichtig ist das. Manche ziehen die Kapuze auf. Eine Messinghausenerin sagt: „Man müsste Bildschirme aufstellen um zu sehen, wer gerade schießt.“ Eine andere sagt: „Jammerschade, dass es regnet. Hätte ja schon besser sein können, das Wetter.“ Der Vogel hängt noch immer.
Unruhe: Warum will niemand?
Langsam kommt Unruhe in die Bruderschaft. Mal geht jemand nach vorn, zielt, schießt, verschwindet schnell wieder in der Menge. Irgendwann tritt ein Mann vor, schwarzer Hoodie. Da wird schon fast eine Stunde lang geschossen. Manche raunen, einer fragt: „Wer ist das?“ Der Schütze zielt, hält drauf. Immer wieder. Der Schwanz zersplittert, immer mehr Holzstückchen fliegen zu Boden. Dann allerdings hört er auf, marschiert zurück in die Menge. Jetzt wird es ernst. Der Vogel hängt am seidenen Faden.
An allen Ecken und Enden wird nun geraunt und beraten. Einige Schützen stecken die Köpfe zusammen. „Kann der es nicht machen?“ „Er will nicht.“ „Und du?“ „Ich hab das schon hinter mir.“ „Ja, dann hast du ja Erfahrung, hömma.“ „Ne, ich will nicht. Ist aber schade, man. Schade, schade, schade.“ Hier wird diskutiert. „Und Paul?“ Manche Frauen rufen nach ihm, er will nicht. Einer sagt: „Ach, die reden jetzt auch viel zu sehr auf ihn ein.“ Die Betroffenheit ist echt. Der Unglaube. Die Enttäuschung. Denn am Ende kann es kein Schützenfest ohne Schützenkönig geben. Und Messinghausen ohne Schützenfest ist auch nicht möglich. Schützenfest, das ist Heimat und Gemeinschaft, Ausgelassenheit und Glücksgefühl. Das bedeutet vielen so viel. Die wachsende Sorge um die geliebte Tradition ist greifbar. Und doch fällt es nicht nur in Messinghausen schwer, Königsanwärter zu finden.
Für viele passt es terminlich einfach nicht
Fabian Becker ist zweiter Brudermeister in Messinghausen. Während des Schießens sagt er: „Das ist krass.“ Schüttelt den Kopf. Am nächsten Tag fügt er gegenüber der WP hinzu: „Das hatten wir in der Form bisher noch nicht. Man hat sich vorher umgehört und hatte so ein oder zwei Anwärter im Blick. Für viele passte es am Ende terminlich in diesem Jahr nicht.“ Er geht davon aus, dass im nächsten Jahr die Lage wieder anders sein wird. „Zwingen können wir niemanden. Wir erklären, dass es nicht so teuer ist wie viele immer denken. Können mal jemandem gut zureden. Aber im schlimmsten Fall bleibt der Vogel eben hängen.“ Und dann? Messinghausen ohne Königspaar? Ohne Schützenfest? Fabian Becker sagt: „Das geht einfach nicht.“
Sauerländer Vereine müssen Heimatfest einführen
In manchen Sauerländer Orten ist diese Vorstellung Realität, wie auf dem Höppen Kopp in Voßwinkel, 2022 bei Arnsberg. Aus der Schützenbruderschaft St. Johannes wollte niemand König werden. Der Vogel blieb im Kasten. „Ja, das war eine tragische Sache“, erinnert sich Schützenoberst Matthias Winkler. „Über eine Stunde haben wir gewartet. Die Schießpause zog sich hin.“ Auch drei oder vier ermunternde Durchsagen konnten niemanden motivieren, in die erste Reihe zu treten. „Also haben wir das Ganze abgebrochen.“ Die Folge: Eine Umfrage unter den Schützenbrüdern und eine Satzänderung, um die Aufnahme von Frauen in die Schützenbruderschaft zu genehmigen. In Meiste bei Rüthen wurde vier Stunden nach einem König Ausschau gehalten, dann wurde der Vogel heruntergekurbelt. Dort wird nun Heimatfest gefeiert - ohne Königspaar.
Kostenfaktor ist beängstigend
Viele fürchten den Kostenfaktor, der in einem Jahr als König entsteht, viele haben Verpflichtungen und keine Zeit. Für Schützenvereine ist es mitunter schwer geworden, Könige zu finden - dabei ist das Schützenfest auch unter jungen Menschen wahnsinnig beliebt, gibt der Verein doch die Chance für Zusammenhalt und Gemeinschaft. Dinge, die mittlerweile immer dringender notwendig sind.
Happy End in Messinghausen
In Messinghausen gab es allerdings ein Happy End. Die Schüsse waren noch bis zum Fuße des Berges zu hören, als Lukas Leisse unter die Vogelstange trat und zielte. Mit dem 166. Schuss krönte er sich und Anke Düchting zum Königspaar.
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