Altkreis Brilon. Besonders in zwei Städten ist dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern sehr deutlich. Wir gehen auf die Suche nach möglichen Gründen.
Der Corona-Check hat umfassende Erkenntnisse über die Stimmung der Sauerländer im Lockdown gebracht – und hier und da beim Eintauchen in die Daten Überraschendes geboten.
Zum Beispiel: Offenbar vermissen Frauen ihre Kolleginnen und Kollegen während der Pandemie deutlich mehr, als Männer das tun. Das zumindest ist das klare Ergebnis unserer Umfrage: Während 40,4 Prozent der Teilnehmerinnen im Altkreis angaben, ihre Kolleg/innen zu vermissen, waren es bei den Männern nur 24,6 Prozent.
Besonders deutlich sind die Unterschiede in Medebach und Olsberg: Dort gibt fast die Hälfte der Teilnehmerinnen ein deutliches Vermissen an, bei den Männern nur knapp jeder Fünfte. Insgesamt liefern die Werte in allen sechs Kommunen aber ein ähnliches Bild und selbst der höchste Wert bei den Männern (29,1 Prozent in Brilon) kommt nicht an den niedrigsten bei den Frauen (31,3 Prozent in Marsberg) heran.
Suche nach möglichen Gründen
Woran liegt das? Klischees à la „Frauen sind an sich sozialere Wesen als Männer“ helfen wenig weiter. Um belastbare Gründe herauszuarbeiten, müssten enorm viele mögliche Faktoren einbezogen werden. Frauen könnten zum Beispiel allgemein häufiger von Homeoffice oder Kurzarbeit betroffen sein als Männer und allein deshalb ihre Kollegen stärker vermissen.
Oder sie könnten häufiger in Berufen arbeiten, in denen sie normalerweise viel direkten Kontakt zu Kollegen haben – wahrscheinlich ist eine Grundschullehrerin deshalb stärker von den Einschränkungen betroffen als ein Elektriker, der ohnehin meist allein unterwegs ist. Auch die Unternehmenskultur ist ein Faktor. So kommentiert beispielsweise ein Teilnehmer der Umfrage: „In meinem Berufszweig (Ingenieur) existiert Corona anscheinend nicht, weder auf Baustellen noch im Büro. Schutzmaßnahmen können oder werden hier nicht eingesetzt.“
Weitere mögliche Gründe: Frauen könnten in Kinderbetreuung und Haushaltsführung stärker belastet sein, also in Kurzarbeit und Homeoffice weniger Freiräume finden als Männer und deshalb ihren Arbeitsplatz mehr vermissen. Hinweise, dass Frauen durch die Pandemie stärker häuslich belastet werden, sieht zumindest die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Prof. Dr. Jutta Allmendinger. Sie sprach in einem Interview mit dem Deutschlandfunk von „einer entsetzlichen Retraditionalisierung“ durch die Pandemie.
Auch möglich: Frauen könnten jenseits der Arbeit häufiger mit Kollegen befreundet sein, so dass ihnen mit der Arbeit engere Kontakte wegbrechen. Nicht zuletzt könnte ein Grund auch in den Umfrageergebnissen liegen: Waren die Teilnehmerzahlen hoch genug, um statistisch signifikante Schlüsse daraus zu ziehen? Haben vielleicht besonders viele Rentner an der Umfrage teilgenommen?
Das Problem mit diesen möglichen Faktoren: Nur wenige von ihnen sind im Rahmen einer kurzen Zusammenfassung wirklich zu ergründen. Für den Bereich Homeoffice gibt die Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes für den Januar 2021 eine Quote von 24 Prozent der Erwerbstätigen an, die überwiegend oder ganz von zu Hause arbeiteten. Die Stiftung hatte dafür deutschlandweit und nach eigenen Angaben repräsentativ 6200 Erwerbstätige befragt. Demnach waren Frauen etwas seltener im Homeoffice als Männer.
Von Kurzarbeit sind laut Arbeitsagentur deutschlandweit deutlich mehr Männer als Frauen betroffen. So war es zumindest bis Oktober 2020; für jüngere Zahlen liegt noch keine geschlechterspezifische Unterteilung vor.
Was Betroffene sagen
Wie erleben einzelne Betroffene die Situation und können sie die Werte nachvollziehen? Wir haben Menschen in Homeoffice und Kurzarbeit die Ergebnisse vorgelegt. „Wir Vertriebler müssen ins Leben, wir brauchen Kommunikation und Reibung mit anderen Menschen“, meint Susanne Ernst, die bei Witteler Automobile in Brilon arbeitet. „Deshalb fehlen mir die zwei Tage, die ich normalerweise pro Woche im Büro war – an den anderen habe ich schon vor Corona im Homeoffice gearbeitet. Was jetzt fehlt, ist das Gefühl, dazuzugehören. Neben dem sozialen fehlt auch der fachliche Austausch. Man bekommt weniger mit – manchmal gibt es Entwicklungen oder kleine Änderungen, die einen im Homeoffice nicht immer erreichen.“
Ihre Kollegin Simone Pollmüller kann der Situation auch Positives abgewinnen: „Trotz Homeoffice halten wir täglich Kontakt – ich finde sogar, dass er intensiver geworden ist. Hat man früher vielleicht nur auf dem Flur Hallo gesagt, fragt man jetzt auch mal, wie es dem anderen geht. Auch in Kundengesprächen merke ich das: Corona ist jedem so präsent, dass es Anknüpfungspunkte liefert und einen anderen Draht zu den Menschen ermöglicht.“ Pollmüller hat ihren Arbeitsplatz in der Firma seit Januar 2020 nicht gesehen. „Natürlich vermisst man die Kollegen. Aber ich glaube, das ist auch bei den Männern so.“
Tatsächlich? Ja, findet Nico von Kölln, als Servicemitarbeiter im Nudelhaus Winterberg seit Monaten von Kurzarbeit betroffen. „Ich habe meine Kolleginnen und Kollegen sehr vermisst. Dadurch, dass wir ein kleiner Betrieb sind, war es immer recht familiär bei uns und wir haben auch privat miteinander Kontakt“, sagt er. Sogar ein Treffen zum Putzen und Vorbereiten des Neustarts sei schön gewesen, weil er das Team noch einmal habe wiedersehen können. „Wenn ich auf einer Skala von 1 bis 5 angeben müsste, wie sehr ich meine Kollegen vermisse? Ich würde sagen: 3.“
Seine Kollegin Anke Irabor sagt: „Die Kollegen sind wie eine zweite Familie für mich. Am Anfang war es noch ganz nett in Kurzarbeit – man hat den Haushalt auf Vordermann gebracht und neulich sind wir umgezogen, da war es auch praktisch. Aber auf Dauer wird man depressiv, träge und unzufrieden, weil eine Aufgabe und die Routine fehlen.“ Für sie als sehr kontaktfreudigen Menschen seien Telefon und Whatsapp jedenfalls kein Ersatz. Deshalb vergibt sie den Höchstwert: „Auf einer Skala von 1 bis 5 eine glatte 5.“
Irabor und von Kölln geben also beide an, ihre Kollegen stark zu vermissen – aber der eine vergibt eine 3, die andere eine 5. Möglich wäre also auch, dass Frauen und Männern ihre Arbeitskontakte gleich stark fehlen und sie es lediglich in unterschiedlichen Werten ausdrücken. Was sicher stimmt: Arbeit ist mehr als Geldverdienen, sie bietet im Idealfall Anerkennung, wirtschaftliche Unabhängigkeit, Tagesstruktur und soziale Kontakte. Das scheint vielen Menschen verstärkt bewusst zu werden.