Medebach. Die 24-Stunden-Pflege der kleinen Paulina Klotz steht auf der Kippe. Händeringend suchen ihre Familie und das Betreuungsteam weitere Mitarbeiter.

Schokolade findet sie ekelig. Vielleicht liegt das daran, dass Paulina nie feste Nahrung zu sich genommen hat. Sie dürfte zwar alles essen, aber der Alltag hat sich anders eingespielt. Als sie am 12. März auf die Welt kam, sagten die Ärzte, dass sie ihren ersten Sommer nicht überleben werde. Das war vor fast zwölf Jahren. Das Mädchen hat einen Gendefekt. Trisomie 18 oder auch „Edwards Syndrom“. Herzfehler. Gehirn nicht richtig ausgebildet. Anfällige Atemwege. Die Schaltung vom Kopf zu den Organen ist gestört.

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Paulina Klotz braucht rund um die Uhr Betreuung. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Seit gut fünf Jahren wird die Kleine vom „Wichtelteam“ betreut. Doch der Personalmangel im Pflegebereich spitzt sich zu. Seit Wochen suchen der spezielle Kinderpflegedienst und die Eltern von Paulina Verstärkung. Flyer, facebook-Aufrufe, Zeitungs-Annoncen. Null. Dabei kann die Intensivpflege eines schwerstkranken Kindes die berufliche Erfüllung einer Berufung sein.

Mindestens eine Dreiviertelstelle fehlt

„Uns fehlt mindestens eine Dreiviertel-Stelle. Wenn jetzt noch einer ausfällt – durch Krankheit, Schwangerschaft oder den Wunsch nach Stundenreduzierung – dann bricht unser Konstrukt zusammen. Ich müsste dann beruflich reduzieren oder pausieren und ganze Schichten allein übernehmen. Das bereitet uns existenzielle Sorgen“, sagt Paulinas Mutter Sonja Klotz. Sie und ihr Mann sind beide berufstätig, haben drei weitere Kinder und sind auf verlässliche Rundum-Betreuung angewiesen. In drei Schichten arbeitet das „Wichtelteam“. Der Nachtdienst steht von 21 bis 7 Uhr parat. Meistens ist es Pfleger Manfred, der sich nachts u.a. darum kümmert, dass Paulina an ein Atemgerät angeschlossen ist und gut in den Schlaf kommt. Frühmorgens macht er die Kleine fertig für die Schule. Waschen, Kämmen, Zähne putzen. Um 7 Uhr ist Schichtwechsel und dann fährt eine andere Pflegekraft mit Paulina um 7.45 Uhr per Taxi in die Schule an der Ruhraue nach Olsberg. Bei allem, was dort im Schulalltag passiert, ist ein „Wichtel“-Mitarbeiter dabei, sorgt dafür, dass sich in den Atemwegen kein Sekret festsetzt, dass es das „Pausenbrot“ über die Sonde gibt und dass Paulina mit ihren Schulfreunden/freundinnen zusammen sein kann. „Corona mit dem Schul-Lockdown war daher die Hölle für sie“, sagt Sonja Klotz.

Wenn Physiotherapeut Julian Schmidt kommt, freut sich die kleine Paulina.
Wenn Physiotherapeut Julian Schmidt kommt, freut sich die kleine Paulina. © WP | Thomas Winterberg

Nicht am Bett fest getackert

Gegen 13.30 Uhr sind Betreuerin und Patientin wieder in Medebach. Um 14 Uhr ist erneut Schichtwechsel und dann beginnt der Nachmittag. „Wir sind hier nicht fest getackert und müssen auch nicht den ganzen Tag am Bett verbringen. Wir können Spaziergänge machen oder auch mal in den Garten oder in die Stadt gehen, aber es gibt natürlich auch noch Anwendungen wie Ergo- oder Physiotherapie“, sagt Pflegerin Marion Bangert, die an diesem Nachmittag für Paulina da ist.

Kontaktaufnahme

Wer sich vorstellen kann. Paulina, ihrer Familie und dem Wichtelteam zu helfen und eine entsprechende Qualifikation mitbringt, kann sich bei Familie Klotz melden: 02982 930362 oder 0162 4655246 oder sonjapad@web.de

Was die Elfjährige aus ihrem Umfeld tatsächlich mitbekommt, weiß niemand so genau. Ihre Mutter: „Das ist sehr spannend. Vieles spielt sich auf einer non-verbalen Ebene ab. Unsere Tochter hat gerne viele Leute um sich, sie ist an sich sehr zufrieden, kann manchmal schelmisch gucken und wenn sie ihre Lieblingsserie ,Die kleine Prinzessin’ guckt und einer der Figuren das Toupet vom Kopf geklaut wird, dann muss sie immer richtig lachen. Wenn sie abends schlafen will und es nicht absolut still im Raum ist, dann klopft sie energisch auf die Matratze. Aber ein Lächeln - das schenkt sie jedem.“

So wie heute wieder dem Physiotherapeuten Julian Schmidt, der regelmäßig zur Behandlung kommt. Ihn kennt sie, ihn mag sie. Behutsam tastet der 31-Jährige die Beinchen der Kleinen ab, lockert die Wadenmuskeln, mobilisiert die Kniescheibe oder bewegt die Fußgelenke. Entspannt gibt sie sich in seine Hände. „Die Behandlung von Paulina ist etwas Besonderes. Ich habe mich damit im Vorfeld auch erst beschäftigen müssen. Sie kann ja nicht sagen, ob ich zu feste drücke oder wann es ihr vielleicht weh tut. Das braucht sehr viel Gespür auf beiden Seiten. Aber irgendwann bekommt man das hin.“ Paulina hat unterdessen den rechten Arm lang ausgestreckt und ein Grinsen huscht über ihr Gesicht. „Ach ja – und jetzt möchte sie gern gekrault werden.“ Klare Ansage, kurze Kraul-Einheit. Lächeln auf zwei Gesichtern.

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Eine Intensiv-Station in den eigenen vier Wänden zu haben, war auch für die Familie Klotz anfangs nicht leicht. „In den ersten Jahren hat sich alles in unseren privaten Wohnbereichen abgespielt. Rund um die Uhr ist ja letztlich eine fremde Person im Haus, sitzt mit im Wohnzimmer, tapert nachts durch das Haus. Vor fünf Jahren haben wir entsprechend umgebaut. Paulina hat nun ihren eigenen Bereich – selbstverständlich mit unmittelbarem Familienanschluss. Aber auch die Pflegekraft kann sich hier mal einen Kaffee kochen und hat eine eigene Toilette. Dadurch entspannt sich die ganze Situation doch sehr.“

Über den Boden schweben

Die Physio-Therapie ist beendet. Gleich muss sie auch mal wieder inhalieren, dann kommt ein spezieller Husten-Assistent zum Einsatz. Jetzt darf sich Paulina aber ein wenig in ihrem Zimmer bewegen. Marion Bangert zieht ihr eine spezielle Laufhose an. Die ist über ein Seilsystem mit einem kleinen Kran verbunden, der wiederum unter der Decke über ein Schienensystem in mehrere Richtungen verläuft. Immer wieder berühren die kleinen Füßchen den Boden und die Kleine schwebt fast durch den Raum. „Das hat so ein bisschen was von Augsburger Puppenkiste. Das macht aber auch deutlich, dass man sich als Pflegekraft nicht körperlich verausgaben muss. Es gibt viele Hilfsmittel, die Paulina und uns entlasten.“

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Und um Entlastung geht es auch bei der Suche nach Unterstützung. „Vielleicht gibt es ja jemanden oder jemande, die stundenweise einsteigen möchte. Wir können über alle Zeit-Modelle reden. Wer sich vielleicht vor der Verantwortung scheut oder sich nicht sicher ist, darf gerne mit uns Kontakt aufnehmen und einmal vorbeischauen“, sagt Sonja Klotz. Und wie gesagt: Ein Lächeln von Paulina gibt es immer gratis dazu…

Sonderfall Intensivbetreuung zu Hause

Ein schwerstkrankes Kind rundum betreuen. Und wenn dann mal was passiert? Vor so einer Verantwortung habe ich Angst.“ - Solche Bedenken hat auch Marion Bangert gehabt, bevor sie vor fünf Jahren als „Wichtelteam“-Mitarbeiterin zur Familie Klotz gekommen ist. Insgesamt acht „Wichtel“-Helfer teilen sich die Schichten ein. „Ich komme eigentlich aus der Altenpflege. Auf vielen Stationen dort ist es so, dass man die Arbeit gar nicht mehr im vorgegebenen Zeitrahmen schaffen kann. Hier ist das etwas völlig anderes. Ich habe eine Bezugsperson und ich kann mich voll auf das Pflegerische und auf die menschliche Zuwendung konzentrieren. Ich lerne viel dazu, sehe Physiotherapeuten und Ergotherapeuten bei der Arbeit zu, tausche mich in der Schule zum Beispiel mit anderen Pflegenden aus. Jemand, der seinen Beruf aus Berufung macht, der kann das hier noch ausleben“, sagt sie.

Der Aufgabe gewachsen sein

Die Sorge, einer solchen Aufgabe nicht gewachsen zu sein, räumt auch Petra Geschke beiseite. Sie ist „Mädchen für alles“, stellvertretende Pflegedienstleiterin beim „Wichtelteam“, das seinen Sitz in Aschaffenburg hat und eigentlich vornehmlich Kinder in den Bundesländern Bayern, Baden Württemberg und Hessen betreut. Aber irgendwie ist vor fünf Jahren auch NRW mit Medebach dazu gekommen.

„Unsere Mitarbeiter/innen sind in der Regel alle examinierte Pflegekräfte, die eine zusätzliche pädiatrische Qualifizierung haben oder machen. Diese Arbeit ist mit keiner anderen pflegerischen Arbeit vergleichbar. Es gibt sehr komplexe Krankheitsbilder und wir sorgen durch Fortbildungen dafür, dass unsere Mitarbeiter gut dafür gerüstet sind“, sagt Geschke.

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Man müsse aber auch ein Stückweit für die ambulante Intensivpflege gemacht sein, erklärt sie. „In einem Krankenhaus entscheidet der Arzt; hier hat die jeweilige Familie ein großes Mitspracherecht. Die Angehörigen kennen ihre Kinder und das Krankheitsbild schon sehr lange. Man muss die Verantwortung aushalten wollen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass alle hinterher weit über sich hinausgewachsen sind.“

Paulina Klotz aus Medebach braucht eine 24-Stunden-Betreuung. Das
Paulina Klotz aus Medebach braucht eine 24-Stunden-Betreuung. Das "Wichtelteam", das das 11-jährige Mädchen betreut, und die Eltern der Kleinen suchen händeringend weitere Mitarbeiter/innen. © WP | Thomas Winterberg

In Medebach sei die Pflege durch den räumlichen Anbau für Paulina nahezu optimal gelöst. Die Pflegenden empfinden sich nicht als Eindringlinge, haben einen eigenen Bereich. Geschke: „Ich kann nur sagen: wer seinen Beruf liebt, der kann ihn hier ausleben.“

Marion Bangert hat selbst vier Kinder und weiß auch, dass die emotionale Bindung zu einem schwerst-kranken Kind nicht einfach ist: „Wenn man aber erlebt, wie vielfältig und intensiv diese Aufgabe ist, merkt man leider auch wie stiefmütterlich wir in unserer Gesellschaft das Thema Pflege in vielen Bereichen generell behandeln