Winterberg. Hotel Claaassen steht noch, Autos fahren quer durch die Stadt und Skier werden huckepack getragen: Einmaliger Film aus Winterberg.
Skifahrer haben ihre Bretter geschultert und laufen in Steghosen und Bommelmützen zu Fuß den Waltenberg hoch. Mit Schaufeln wird der Schnee zu riesigen Bergen aufgetürmt. Kinder lassen sich auf Holzschlitten über den Bürgersteig ziehen. VW-Käfer und andere Schätzchen fahren über die Pforte. Dort, wo heute der Marktplatz ist, schiebt sich der gesamte Verkehr durch die Stadt. Das Krankenhaus hat noch keinen Anbau, für die Bobbahn wird der Grundstein gelegt, Winterberg hat noch ein großes Freibad und das Glas Bier kostet auf der Kirmes gerade mal 50 Pfennige. Zeitreise gefällig? Am Freitag, 5. November um 18.30 Uhr, und am Sonntag, 7. November um 10.30 Uhr, gibt es im Filmtheater eine besondere Filmpremiere. Gezeigt werden „Winterberger Filmgeschichten“.
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Winterberger Filmgeschichten
Bewegtbilder zu machen, ist heutzutage eine Selbstverständlichkeit. Das Handy wird gezückt und schon dreht man ein Video. Das war nicht immer so. Einige wenige besaßen früher einen Fotoapparat; Filme drehen, konnte kaum jemand. Deshalb ist Manuel Steber auch heute noch fasziniert von den Super-8-Aufnahmen, die sein Vater damals gemacht hat. „Er ist begeisterter Hobby-Filmer und hat viele Landschaftsaufnahmen hier rund um Winterberg gedreht. Es gibt auch einiges an Material von Fußballspielen und vom Nürburgring“, erzählt der 33-jährige Konstruktionsmechaniker im Maschinen- und Stahlbau. Steber arbeitet in Assinghausen, ist im benachbarten Hessen aufgewachsen, hat aber Winterberg – den Wohnort seiner Großeltern – zu seiner neuen Wahlheimat gemacht.
Immer wieder hat sich der 33-Jährige die alten Filme angeschaut: „Man merkt natürlich, dass hier und da die Farben verblassen und die Klebestellen, an denen die einzelnen Streifen miteinander verbunden sind, brüchig werden.“ Daher beschäftigt er sich schon vor einigen Jahren mit der Anschaffung eines Digitalisierungsgerätes, um die alten Filme zu überspielen und vor dem Verfall zu retten. „Aber die Geräte waren anfangs zu teuer und zu träge. Man musste stundenlang daneben sitzen und aufpassen, dass sich der Film nicht verheddert.“ Vor zwei Jahren stößt ihm dann ein Fabrikat mit Rücknahmegarantie an den Hut. Das testet er mit einer 15-Meter-Rolle und ist von der Qualität überzeugt.
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Veränderungen in Winterberg
Dann kommt Corona und Manuel Steber hat viel Zeit: „Beim Betrachten des Filmmaterials ist mir erst bewusst geworden, wie sehr sich Winterberg im Laufe der vergangenen Jahre verändert hat. Die Verkehrsführung ist völlig anders, manche Gebäude gibt es nicht mehr. Ich denke aber auch beispielhaft an das frühere Hotel Claassen, das ein Stück Tourismusgeschichte darstellt und das ja abgerissen wurde. Das Hotelprospekt mit vielen alten Bildern habe ich im Film verarbeitet. Ich bin mir sicher, dass viele Leute, die sich mit Winterberg verbunden fühlen, ihre Freude beim Betrachten des fertigen Films haben werden.“ Allein schon der Einrichtungsstil der Fremdenzimmer dokumentiert ein Stück Zeitgeschichte und stilistischen Wandel.
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Sichten, Sortieren, Schneiden für Winterberger Filmgeschichten
Wenn es nun am nächsten Freitag mit der Premiere soweit ist, hat der 33-Jährige viel Zeit und Arbeit hinter sich gelassen. „Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich mit dem Sichten, Sortieren und Schneiden verbracht habe. Es waren Tage, Abende, Nächte. Zum Schluss kam noch die Hintergrundmusik hinzu. Bewusst gibt es keine gesprochenen Kommentare. Die Zuschauer sollen sich die Bilder angucken, miteinander tuscheln und sagen: ,Weißt Du noch…’“, hofft Steber, der sich im Skiklub Winterberg, im Skiclub Silbach und in der Schützengesellschaft engagiert. Nebenbei dreht er inzwischen auch eigene Videos bei Veranstaltungen oder bei Veränderungen im Stadtbild. Man weiß ja nie, wann man diese Bilder mal wieder gebrauchen kann...
Für seine „Winterberger Geschichten“ hat Manuel Steber an vielen Stellen gesammelt: Filmmaterial aus der Verwandtschaft findet sich wieder. Aber auch Bilder, die er über seine eigene Facebookseite bekommen hat. Auch ein Bericht in der Westfalenpost über sein cineastisches Projekt beschert ihm das eine oder andere Schätzchen.
Neben Super 8 kommen plötzlich auch Videokassetten aus der Versenkung und es tut sich noch jede Menge Filmmaterial auf. Aber für diesen 90-minütigen Streifen wurde der sprichwörtliche Sack jetzt erstmal zugemacht. „Der Film beginnt mit alten Postkarten und Stadtansichten aus den 30-er Jahren. Und dann geht es chronologisch weiter. Ab Ende der 60-er kommen die ersten Bewegtbilder. Es gibt Sequenzen von der Kirmes Anfang der 70-er Jahre, von Bobmeisterschaften, bei denen die DDR und die Sowjetunion teilnehmen. Ausschnitte von den Skiliften zeigen, wie die Wintersportler nur mit Schlepp-Liften nach oben gezogen wurden und auch die legendären Schlittenhunderennen in der Kuhlenbergloipe finden sich wieder. Eine Sequenz zeigt die letzte Zugfahrt von Winterberg nach Hallenberg am 28. Mai 1992. „Aber am spannendsten finde ich die Verkehrsführung. Winterberg hat sich einfach enorm verändert“, resümiert Manuel Steber.
Wenn der Film nächsten Freitag Premiere hat, werden auch Manuel Stebers Eltern im Kinosessel sitzen. Die kennen zwar die einzelnen Szenen, aber noch nicht die „Winterberger Filmgeschichten“ in Kinolänge.