Brilon. Der Grenzgang in Brilon führt mitten durch ein Haus. Das sich die Grenzkontrolle mitten in ihrem Haus abspielt, wusste die neue Bewohnerin nicht.
Sie kommen zur Schnade nach Brilon aus aller Welt in die alte Heimat zurück. Die Traditionsveranstaltung in Brilon, die bis auf das Jahr 1388 zurückgeht, hat nach wie vor Strahlkraft über den ganzen Globus. Alle vier Jahre erneuert die Stadt ihr Adressverzeichnis und schickt die kunstvoll gestalteten Einladungen in alle Himmelsrichtungen. Im Vorfeld können Bürger die Anschriften der Menschen im Rathaus abgeben, die eine Einladung bekommen sollen. Außerdem hat die Stadt zahlreiche Ehrengäste, die zum Grenzgang geladen werden. Schnade - das ist mehr als nur Tradition und Brauchtumspflege.
1200 dieser Briefe wurden in diesem Jahr verschickt. Und den längsten Weg dürften die Karten nach British Columbia in Kanada und nach Australien zurückgelegt haben. Ob deren Empfänger auch tatsächlich kommen? Aus Kanada, so redet man in der Stadt, will sich ein über 80 Jahre alter Ur-Briloner auf den Weg machen, um seine geliebte Heimatstadt noch einmal zur Schnade zu besuchen. Nostalgie, Heimatverbundenheit, im tiefsten Herzen Briloner sein!
Die Texte für die Einladungen hat Marc Reermann geschrieben, bei dem im Rathaus viele Fäden fürs Wählen und für die Schnade zusammenlaufen. Er greift dabei diesmal u.a. auf ein Stück Chronik zurück, in dem es um eine in Vergessenheit geratene Tradition geht: „Sechs Ohm Freibier auf dem Lagerplatz“. Außerdem enthält das Heft auch eine Karte, auf der man den 25,5 Kilometer langen Verlauf des diesjährigen Schnadeweges gut verfolgen kann.
Vor 14 Jahren wurden noch 2400 Karten verschickt
Die Zahl der Einladungen ist aber rückläufig: 2008 hatte unsere Zeitung in einer Serie Menschen vorgestellt, die in New York, Korea oder auf der Südseeinsel Samoa die Einladung im Briefkasten fanden. Einige der Geladenen waren damals auch hier. Vor 14 Jahren wurden noch 2400 Karten verschickt - doppelt so viele wie heute. Wer weiß, vielleicht gehen die Schnade-Einladungen der Neuzeit künftig als E-Mail oder über einen eigenen Instagram-Schnade-Kanal auf die Reise? Das wäre schade, denn dann entfiele vermutlich auch das schöne Gemälde, das jedes Jahr die aufwändig gemachten Karten ziert. Diesmal stammt es von Walter Hemming und zeigt das Kreuziger Tor.
Wenn das Wetter mitspielt, sollten die Mannsluie am Montag an eine Kopfbedeckung denken (ist ja eigentlich ohnehin Tradition) und vielleicht auch Sonnencreme in den Rucksack packen. Denn seit der letzten „Blumenschnade“ dürfte sich das Landschaftsbild arg verändert haben. Viele schattenspendenden Bäume dürften dem Käfer und/oder den Stürmen zum Opfer gefallen sein. Geblieben ist aber, dass die Standarte etwa 200 Meter durch das Flussbett der Hoppecke getragen wird und dass der Schnadezug mitten durch „Wilmes Haus“ führt.
Nur eine Delegation geht durch das Haus
In diesem Punkt gibt es allerdings eine Premiere. Denn das Haus hat inzwischen neue Besitzer, die dem Brauchtum aber sehr offen gegenüber stehen. Es sind der bekannte Kampfsportler Ismail Koldere und seine Frau: „Wir haben das Haus vor vier Jahren gekauft und im Gegensatz zu meinem Mann wusste ich anfangs nicht, dass sich die Grenzkontrolle mitten in unserem Haus abspielt“, sagt Shaghayegh Koldere-Rezaei. Aber beide freuen sich sehr auf den Montag.
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Im Haus befindet sich neben zwei Wohnungen auch ein Ferienappartement. Und genau mitten durch dessen Wohnbereich verläuft die Grenze, die natürlich genau in Augenschein genommen wird.
„Unten über die Terrasse geht es in die Ferienwohnung und dann durch die Haustür wieder raus. Anfangs habe ich gedacht, dass alle dadurch laufen wollen. Aber die Stadt war im Vorfeld schon zweimal hier bei uns. Ich glaube, es sind nur sieben oder acht Leute - darunter der Bürgermeister, der Ortsvorsteher und ein paar Offizielle. Wir haben die Wohnung extra an dem Tag nicht vermietet. Sonntag reisen die letzten Gäste ab und den Montag haben wir frei gehalten. Und es ist ja auch nur alle zehn Jahre“, sagt Shaghayegh Koldere-Rezaei.
Dass der Schnadezug mitten durch ein Haus verläuft, hat seine Gründe: Die WP berichtete zuletzt 2012 darüber: 1840 sollen sich demnach einige Grenzgänger abgesondert und in Hoppecke randaliert haben. Es soll sogar zu einer tödlichen Messerstecherei gekommen sein, wonach es 1841 ein Regierungsverbot der Schnadezüge gegeben haben soll. 1842, 1844 und 1846 soll es Essig mit dem Grenzbegang gewesen sein. Darüber berichtet auch der Briloner Geschichtsexperte Gerhard Brökel. Und vermutlich dachten die Hoppecker, die Briloner würden künftig nicht mehr an ihre Grenzen gehen und nahmen es nicht mehr ganz so genau mit deren Einhaltung. Das könnte der Grund sein, warum das Haus eben auf Grenzgebiet gebaut wurde.
Heutzutage läuft die Schnade friedlich ab. Und dass die Ferienwohnung und auch die Garage ein Stückweit auf Briloner Gebiet liegen - geschenkt! Sonst gäbe es heute schließlich keinen Grund alle zehn Jahre im Haus Wilmes nach dem Rechten zu sehen!