Brilon/Bielefeld. Im Zusammenhang mit der Insolvenz der Solarhybrid AG aus Brilon soll es zu Insider-Geschäften gekommen sein. Die Anklageschrift liegt jetzt vor.
Die Ermittlungen haben vier Jahre gedauert: Jetzt hat die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Bielefeld die Anklageschrift beim Landgericht Arnsberg eingereicht. Im Zusammenhang mit der Insolvenz der Solarhybrid AG soll es zu verbotenen Insider-Geschäften gekommen sein. Die 72 Seiten umfassende Anklageschrift der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Bielefeld führt vier Angeschuldigte auf.
Dabei handelt es sich um den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens, Tom Schröder (45), sowie drei weitere Personen aus dem Firmengeflecht.
Der Vorfall reicht fast acht Jahre zurück. Im Frühjahr 2012 stand es nicht mehr so gut um den einstigen, bis an die 15-Euro-Marke dotierten High-Flyer der Solarbranche. Nach Boom-Jahren, in denen aus dem kleinen, in Markranstädt bei Leipzig ansässigen Modul- und Kollektorenhersteller ein international erfolgreicher Ökostrom-Projektierer geworden war, drohte Ungemach. Zum einen hatte sich das Unternehmen aus dem Hochsauerland auf ein gigantisches, zwei Milliarden Dollar schweres Solarprojekt in der Wüste Kaliforniens eingelassen und dafür dem Projektpartner, der Solar Millennium AG (Erlangen), im Herbst 2011 ein ungesichertes Darlehen über 7,5 Millionen Euro überlassen. Am 21. Dezember meldete die Solar Millennium AG Insolvenz an.
Was die Ermittler vorwerfen
Zum anderen stand es nicht gut um das Heimatgeschäft der Solarhybrid AG, der Projektierung von riesigen Solarkraftwerken auf ausgedehnten ehemaligen Militärflächen in den neuen Bundesländern. In den ersten neun Monaten 2011 hatte Solarhybrid laut Geschäftsbericht rund 286 Millionen Euro umgesetzt. Herausragend: das zu dem Zeitpunkt aus 410.000 Modulen bestehende und mit 84,7 Megawatt größte Solarfreiflächenkraftwerk Europas bei Finowfurt in Brandenburg.
Doch die Anfang 2012 vorgestellte und diskutierte EEG-Novelle, die den Wegfall der Einspeisevergütung für Großkraftwerke jenseits von 10 Megawatt vorsah, gefährdete das ganze Geschäftsmodell der 2011 an die Börse gegangenen AG. Das jedenfalls verkündete das Unternehmen per Ad Hoc-Meldung am 7. März um 8.02 Uhr morgens: Mehrere Großprojekte könnten unter den neuen Rahmenbedingungen nicht mehr realisiert werden. Die deshalb wegfallenden Kapitalmarktmaßnahmen hätten sich bereits „materialisiert“, sprich: schon ausgewirkt.
Zahlreiche Aktien verkauft
Eine halbe Stunde vorher, um 7.25 Uhr, sind – das kreiden die Ermittler dem Vorstandsvorsitzenden an – aus einer Vermögensverwaltungsgesellschaft des Vorstandsvorsitzenden 200.000 Aktien verkauft worden. Weitere 200.000 kamen um 11.11 Uhr in den Verkauf, um 12.38 Uhr ein Paket von 25.000 Aktien, um 15.22 Uhr wurden aus einem Familiendepot 47.585 Aktien abgestoßen und um 16.46 Uhr weitere 100.000. „Der Vorstand verlässt das sinkende Schiff“, hatte ein Börsendienst damals geschrieben.
Am 12. März sollten, das haben die Ermittlungen ergeben, weitere 100.000 Papiere veräußert werden. Das war nur knapp zur Hälfte möglich. Grund: Der Rest sei verpfändet gewesen. In den Ermittlungsakten steht auch, was den Firmenverantwortlichen ebenfalls bekannt gewesen sein sollte: eine Steuernachforderung über rund 12 Millionen Euro, deren Vollstreckungsaufschub bereits im Februar nicht genehmigt worden sei.
Vorwurf: 520.000 Euro Vorteil durch Insider-Wissen
Rund 520.000 Euro Vorteil soll sich der Vorstandsvorsitzende durch sein Insider-Wissen angesichts des durch die Ad Hoc-Meldung vom 7. März ausgelösten Kursverfalls und der Insolvenzankündigung am 20. März verschafft haben. Bei den anderen drei Beschuldigten geht es um kleinere Beträge.
Bei ihnen liegen die zwischen dem 27. Februar und 9. März verkauften Aktienpakete in der Größenordnung von rund 500, 7300 und 8600 Stück. Damit sollen sie sich zwischen 1800 und 36.000 Euro zum eigenen Vorteil erlöst haben. Die Schadenssumme errechnet sich, so ein Gerichtssprecher, aus dem konkret erzielten Verkaufserlös und dem Kurs der Aktie am 20. März 2012, dem Tag der Insolvenz.
BaFin schöpfte bei Routinekontrolle Verdacht
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte bei der routinemäßigen Kontrolle sogenannter Director’s Dealings rund um eine Insolvenz Verdacht geschöpft und interne Ermittlungen angestellt. Die zogen sich drei Jahre hin. 2015 kam es zur Anzeige. In den Vorweihnachtstagen 2015 schwärmten die Ermittler aus und durchsuchten u.a. in Brilon, Köln, Frankfurt und Düsseldorf 17 Objekte: Geschäftsräume und private.
Anwalt hatte noch keine Akteneinsicht
Wie lange die Prüfung der von der Staatsanwaltschaft Bielefeld eingereichten Anklage dauert, ob und wann Anklage erhoben werde, könne noch nicht gesagt werden, heißt es in Arnsberg. Angesichts weiterer umfangreicher und von Verjährung bedrohter Wirtschaftsstrafverfahren könne sich das eine Weile hinziehen.
Auf Anfrage der WP teilte Tom Schröder mit, dass sein Anwalt noch keine Akteneinsicht bekommen habe. Soviel er wisse, gehe es bei den Vorwürfen „um eine recht harmlose Sache“. Anlässlich der Durchsuchung vor vier Jahren hatte er gegenüber der WP gesagt, dass er Verkäufe von Aktien aus seinem Bestand immer umgehend der BaFin nach den vorgegebenen Regeln für Organmitglieder gemeldet und ferner über die Internetseite der Solarhybrid AG veröffentlicht habe. „Damit“, so der 45-Jährige damals weiter, „habe ich mich nach meiner Kenntnis gesetzeskonform verhalten.“