Berlin. An heißen Tagen können Medikamente wie Ibuprofen für den Körper gefährlich werden. Ein Hitze-Experte erklärt, was Sie beachten sollten.

Der Klimawandel ist da. Die Anzahl an heißen Sommertagen mit Temperaturen über 30 Grad Celsius steigt. Schon für gesunde, fitte Menschen ist das körperlich belastend. Wer im Alltag auf Medikamente angewiesen ist, muss doppelt auf sich achten – und sich idealerweise schon vorab auf die nächste Hitzewelle vorbereiten.

„Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie an heißen Tagen mitunter auch die Dosierung ihrer Medikamente anpassen müssen“, betont Hanns-Christian Gunga, Seniorprofessor für Physiologie in Extremen Umwelten an der Charité Berlin. Dort forscht er unter anderem zu den Auswirkungen von Hitze auf den menschlichen Organismus.

Hitze: Dosierung der Medikamente mit Arzt besprechen

Dadurch, dass sich an heißen Tagen auch der Wasserhaushalt und die Wasserverteilung im Körper verändere, veränderten sich auch die Verteilungsräume der Medikamente, erklärt der Experte. „Normalerweise haben Erwachsene im Schnitt 42 Liter Wasser im Körper, aber wenn dieser Wassergehalt hitzebedingt auf beispielsweise 36 Liter sinkt, ergibt sich plötzlich eine ganz andere Medikamenten-Dosierung.“ Diese könne zu Störungen im Gesamtsystem führen.

„Auch, dass viele Medikamente Einfluss darauf haben, wie gut der eigene Körper mit Hitze umgehen kann, ist vielen nicht klar“, ergänzt Gunga. Dies gilt es nicht nur mit Blick auf Hitzewellen in Deutschland, sondern auch vor Urlaubsreisen in wärmere Regionen zu bedenken.

Gerade wer dauerhaft Medikamente einnimmt, sollte sich über potenzielle Risiken und Wechselwirkungen mit Hitze informieren und wissen, was im Fall der Fälle zu beachten ist. Der Experte rät dringend, mit dem behandelnden Arzt oder Ärztin zu sprechen – und zwar nicht erst, wenn es wieder heiß ist.

Die Bandbreite, wie sich Hitze und die Einnahme von Medikamenten beeinflussen können, ist enorm. Auch viele der gängigen Präparate und Wirkstoffe haben „potenziell nicht ungefährliche Auswirkungen bei einer Einnahme während einer Hitzewelle“, warnt Gunga. „Hier braucht es dringend mehr Sensibilität – auch unter der Ärzteschaft selbst.“

Hitze und Ibuprofen: Das rät ein Hitzeexperte

„Bei rezeptfrei erhältlichen Präparaten in Form von Pflastern – beispielsweise Diclofenac oder Voltaren – ist zu berücksichtigen, dass sich deren Wirkungsdosis durch eine vermehrte Hautdurchblutung bei Hitzewellen steigern kann“, so der Physiologe. Hier gilt es also, bei der Dosierung vorsichtig zu sein.

Zusätzlich können einige Schmerzmittel, insbesondere sogenannte nicht steroidale entzündungshemmende Medikamente – kurz NSAID –, die Nierenfunktion beinträchtigen und die Flüssigkeitsausscheidung erhöhen. Dazu zählen auch beliebte Präparate wie Ibuprofen oder Naproxen.

Bei heißem Wetter kann der verstärkte Flüssigkeitsverlust das Risiko für eine Dehydratation erhöhen. Es ist folglich umso wichtiger, regelmäßig und ausreichend Wasser zu trinken, damit der Flüssigkeitshaushalt im Körper nicht aus den Fugen gerät.

Antihistaminika an heißen Tagen

Antihistaminika gibt es als Tabletten, Tropfen, Zäpfchen, Nasensprays oder Augentropfen – viele davon sind weder verschreibungs- noch rezeptpflichtig. „Cetirizin etwa bekommt man gegen allergische Reaktionen frei verkäuflich in jeder Apotheke“, so Gunga.

Die Medikamente sorgen dafür, dass die Bindungsstellen für den Botenstoff Histamin im Nervensystem blockiert werden. „Histamin wird bei entzündlichen Prozessen im Gewebe freigesetzt“, erläutert Gunga. „Bei typischen allergischen Erkrankungen, wie Heuschnupfen, Nesselsucht, Hausstaub- oder Tierhaarallergien, erfolgt dies aber in überproportionaler Intensität.“

Sind die Bindungsstellen für körpereigenes Histamin durch die Medikamente blockiert, lindert das die Allergiesymptome. Gleichzeitig kann die Gabe von Antihistaminika aber auch in die Temperaturregulation des Menschen eingreifen.

Der Grund: „Physiologisch erweitert Histamin die Blutgefäße in der Peripherie unseres Kreislaufsystems und verengt die zentral gelegenen“, erklärt der Physiologe. Wenn die Körperkerntemperatur nun durch hohe Außentemperaturen ansteigt, kann sich der Körper aufgrund der Wirkweise des Antihistamins mitunter selbst nicht mehr ausreichend abkühlen. Der Kreislauf kommt nicht mehr zur Ruhe und arbeitet ständig auf Hochtouren, was für den Körper sehr belastend ist.

Was hilft gegen Hitze?

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    Schilddrüsenpräparate bei hohen Temperaturen

    Bei einer Störung der Schilddrüsenfunktion – etwa einer Unter- oder Überfunktion – werden oft synthetisch hergestellte Schilddrüsenhormone wie L-Thyroxin oder Thyreostatika eingesetzt. Betroffen sind beispielsweise Patientinnen und Patienten mit Hashimoto-Thyreoiditis oder Personen, die an der Schilddrüse operiert werden mussten.

    „Die Einstellung der individuell richtigen Dosis etwa von L-Thyroxin ist nicht unkompliziert und kann mehrere Wochen benötigen“, erklärt Gunga die Risiken. „Da Schilddrüsenhormone grundlegend in den Stoffwechsel eines Organismus eingreifen, führt eine zu hohe Dosis zu einem Anstieg der Körpertemperatur.“

    Es ist somit naheliegend, dass Personen, bei denen die Dosis nicht mehr oder noch nicht richtig eingestellt ist, im Zuge einer Hitzewelle Probleme bekommen können. Grund dafür ist die zusätzliche Belastung für das Herz-Kreislauf-System und die Temperaturregulation. „Hier ist eine engmaschige Kontrolle durch den behandelnden Arzt erforderlich, um insbesondere Überdosierungen im Behandlungsverlauf zu vermeiden“, betont der Hitzeexperte.

    Thermometer and medicine. The concept of temperature changes affecting health.
    Thermometer and medicine. The concept of temperature changes affecting health. © iStock | istock

    Antidepressiva: Was sich bei Hitze ändert

    Bestimmte Medikamente zur Behandlung von psychischen Erkrankungen können die Körpertemperatur beeinflussen und die Hitzeempfindlichkeit erhöhen. Antidepressiva, zum Beispiel das Medikament Venlafaxin, werden zur Behandlung von Depressionen und Angststörungen eingesetzt.

    Diese helfen, die Stimmung zu verbessern und die Antriebslosigkeit zu verringern, haben gleichzeitig aber auch Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen – aber auch ein verstärktes Hitzegefühl. „Und genau das kann sich bei Hitzeexposition als zunehmend unangenehm erweisen“, so Gunga.

    „Wenn sich der Hitzestress durch die Nebenwirkung der Medikamente zusätzlich verstärkt“, erklärt er, „ist das auch psychisch sehr belastend und wirkt sich negativ auf die Gesamtstimmungslage aus.“ Man ist beispielsweise weniger belastbar, gereizter, dünnhäutiger und häufig auch aggressiver.

    Diuretika: Wann eine Dehydrierung droht

    Die auch Wassertabletten genannten Medikamente werden häufig zur Behandlung von Bluthochdruck und Ödemen eingesetzt. Sie führen dazu, dass der Körper Wasser ausscheidet und können so den Flüssigkeitsverlust im Körper erhöhen.

    Das kann insbesondere an heißen Tagen eine Dehydrierung des Körpers zur Folge haben. Zu den ersten Symptomen gehören neben Durst unter anderem auch trockene Haut, Schwindelgefühl, Müdigkeit oder Kopfschmerzen. In schweren Fällen kann es durch den Flüssigkeitsverlust zu Bewusstlosigkeit kommen.

    „Diuretika sollten daher in Hitzewellen besonders vorsichtig dosiert werden“, rät der Hitzeexperte. Genau wie bei der Einnahme von bestimmten Schmerzmitteln sollte auch hier auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr über den Tag geachtet werden.

    Videografik- Dehydrierung

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      Anticholinergika: Risiko Hitzschlag

      Diese Medikamente werden beispielsweise bei Asthma oder auch Harninkontinenz verschrieben. Sie bewirken, dass sich etwa der Magen, die Blase oder die Bronchien entspannen. Gleichzeitig erhöhen sie unter anderem die Herzfrequenz und den Blutdruck.

      Durch ihre Wirkweise wird zudem auch das Schwitzen unterbunden oder zumindest reduziert – gerade an heißen Tagen problematisch. Denn Schwitzen ist ein wichtiger Mechanismus des Körpers, um sich abzukühlen.

      „Damit gehört dieser mit Anticholinergika behandelte Personenkreis zu der Risikogruppe für eine Hitzeerkrankung oder – im schlimmsten Fall – einen Hitzschlag“, warnt Gunga, dessen neues Buch „Tödliche Hitze“ kürzlich erschienen ist.

      Betablocker: Auswirkung auf Herz und Schweißproduktion

      Diese werden oft zur Kontrolle des Blutdrucks verwendet, aber auch bei Herzkrankheiten wie Angina pectoris und bei bestimmten Herzrhythmusstörungen eingesetzt. Sie blockieren bestimmte Rezeptoren in den Herz- und Blutgefäßen und sorgen dafür, dass das Herz langsamer schlägt und so auch die Kraft, mit der das Blut durch den Körper gepumpt wird, abnimmt. Bei Hitze kann das Blut den Körper folglich schlechter abkühlen.

      Zusätzlich können Betablocker genau wie Anticholinergika die Schweißproduktion reduzieren. Die fehlende Schweißbildung kann also auch hier bei betroffenen Patientinnen und Patienten dazu führen, dass der Körper bei zu hohen Außentemperaturen nicht mehr in der Lage ist, die überschüssige Körperwärme effektiv abzuleiten.

      Hitze und Medikamente: Unbedingt ärztlichen Rat einholen

      Wichtig: Die hitzebedingten Nebenwirkungen von Medikamenten können von Person zu Person variieren und hängen auch von vielen weiteren Faktoren ab – etwa der gesundheitlichen Gesamtverfassung einer Person, der Dauer der Medikamenteneinnahme oder auch der aktuellen akuten Belastung. Informationen wie diese sollten daher nur zur allgemeinen Aufklärung genutzt werden und sind kein Ersatz für ein persönliches, individuelles Arztgespräch.

      Gleichzeitig sind viele Wechselwirkungen von Medikamenten und Hitze womöglich gar nicht bekannt. „Die Pharmaindustrie testet Medikamente und Arzneimittel nur bei normaler Temperatur und nicht an überhitzten Strukturen“, ergänzt Hitzeforscher Gunga. „Das würde die Tests noch viel komplizierter machen und auch die Kosten entsprechend nach oben treiben.“ Fest stehe, dass Hitze das Wirkungsspektrum vieler Medikamente entweder verringert oder verstärkt.