Essen. In „Testo“ von und mit „4 Blocks“-Star Kida Khodr Ramadan geht ein Bankraub schief – atemlos, improvisiert, aber nicht stimmig.
Die Gangster nehmen keinen Umweg. Direkt aus ihren Gefängniszellen brechen die Freigänger Keko (Kida Khodr Ramadan), Pepsi (Stipe Erceg), Stulle (Frederick Lau) und Barro (Rapper Veysel Gelin) zusammen mit ihrem Jugendfreund Kongo zu einer nahegelegenen Bank auf, um sich ein für alle Mal ihrer Sorgen zu entledigen. Doch als Pepsi einen Wachmann erschießt und sich der Raubüberfall zur Geiselnahme auswächst, sind alle Pläne dahin – und mit der Zeit liegen die Nerven bei den Kriminellen, ihren Geiseln und der draußen wartenden Polizei zunehmend blank.
„Testo“ (ab dem 2. Februar um 22.20 Uhr in der ARD sowie in der ARD Mediathek) ist eine furchtlose Achterbahnfahrt von einer Serie, in der so viel Kida Ramadan steckt wie in keinem anderen Format zuvor: Nicht nur die Idee stammt von dem 47-jährigen Berliner, auch Drehbuch, Regie (zusammen mit Olivia Retzer) und die Hauptrolle übernahm der Filmschaffende mit den libanesischen Wurzeln selbst. Inspiriert von der Netflix-Serie „Caïd“ verteilte Ramadan seinen Stoff auf sieben jeweils grob 15-minütige Folgen, was der Erzählung trotz nomineller Spielfilmlänge automatisch ordentlich Tempo verleiht.
„Testo“: Gewaltige Unmittelbarkeit
Diese Atemlosigkeit habe sich laut Ramadan durch die Art und Weise der Produktion noch verstärkt: Eine Woche habe er für die Idee gebraucht, zwei Monate später begann schon der Dreh. Weil die Szenen entgegen der üblichen Arbeitsweise beim Film chronologisch gefilmt wurden und Ramadan alle Beteiligten (möglicherweise motiviert durch seine Arbeit am Impro-Film „Klassentreffen“ von 2019) zur Improvisation ermutigte, verströmt „Testo“ nun stets eine gewaltige Unmittelbarkeit – oder aber „Chaos“, wie die vierte Folge betitelt ist.
Seit seiner Hauptrolle als Clan-Oberhaupt Toni Hamady im gefeierten Gangster-Epos „4 Blocks“ (2017-2019) genießt Kida Ramadan einen Vertrauensvorschuss, wenn es darum geht, Fernsehen jenseits typischer deutscher Abendunterhaltung auf den Bildschirm zu bringen. „Testo“ aber wirft nun völlig willkürlich Genres, Ästhetiken und Inspirationen zusammen, fühlt sich an keine Konvention gebunden: Zu Beginn führt Ramadan die Gangster ein wie in „Reservoir Dogs“ von Quentin Tarantino oder den Heist-Movies von Guy Ritchie, die vielen Szenen innerhalb der Bank wiederum flirten mit dem Kammerspiel. Im einen Moment will die Serie dabei zum unheilvoll dräuenden Soundtrack nervenzerrende Thriller-Spannung, um im nächsten schon wieder völlig unvermittelt in skurrile Humoranfälle abzustürzen.
Berühmte Vorbilder
Auch optisch gibt es keine klare Linie: Klassische TV-Krimi-Ästhetik trifft auf die Ich-Perspektive der Egoshooter und Influencer, den distanzierten Blick durch Überwachungskameras, eine körnige VHS-Wackelbild-Ebene und dramatische Kreisfahrten um Pistolen zückende Gangster.
Ein solches Experiment jenseits fester Leitplanken kann funktionieren, wenn Drehbuch und Schauspiel es auffangen. Bei „Testo“ ist eher das Gegenteil der Fall: Die Geschichte wirkt immer wieder unrhythmisch, unlogisch, unorganisch. Unmotiviert wechseln Stimmungen, Charakterentwicklung findet kaum statt, willkürlich und abrupt werden neue Figuren eingeführt oder alte aus dem Spiel genommen. Und der finale Twist (inklusive Verbeugung vor „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ mit Paul Newman und Robert Redford) ist ebenso wenig durch die vorherige Handlung gedeckt wie der folgende, fast traumartig überhöhte Epilog, der vage an „Bang Boom Bang“ (1999) erinnert.
Viel Testosteron, wenig Tiefgang
Zudem lässt Regisseur Ramadan, wie schon bei der Milieu-Drama-Serie „Asbest“ (2023), seinen teils unerfahrenen Darstellern eine viel zu lange Leine, winkt im Sinne der Spontanität reihenweise hölzerne Dialoge und platte Klischees durch, wenn seine Gangster im Szenesprech fluchend und pöbelnd den harten Hund geben; Rapper Veysel müsste man wegen seines hektischen Sprachen-Mischmaschs stellenweise eigentlich untertiteln. Aber auch erfahrene Darsteller scheitern: Nicolette Krebitz findet zwischen kühl kalkulierend und provinziell keine Linie für ihre Polizistin, Stipe Erceg überdreht die lebensmüde Spiritualität seines Anzugträger-Gauners komplett. Selbst Frederick Lau, der in „Victoria“ (2015) schon herausragend einen Bankräuber gespielt hat, übertritt hier als White-Trash-Prolet mit 80er-Vokuhila die Grenze zur Karikatur, ohne dass diese einem mehr als das Offensichtliche mitzuteilen hätte.
Was bleibt, sind ein paar schön schräge Ideen: Wenn plötzlich die Mutter des unberechenbaren Psychopathen Barro auftaucht und ihren sauertöpfisch dreinblickenden Sohn schimpfend ohrfeigt, atmet das die gleiche absurde Komik, die Ramadan auch schon in den besseren Momenten von „German Genius“ (2023) produzierte, seiner Neuinterpretation der britischen Erfolgsserie „Extras“ (2005-2007) von Comedy-Superstar Ricky Gervais. Zu oft aber bietet „Testo“ nur, was sein Titel nahelegt: viel Testosteron, viel Adrenalin, reihenweise knallige Affekte, aber keine schlüssige Erzählung mit Tiefgang. Vermutlich wird das auch der tempoerfahrenen Generation TikTok zu wenig sein.
Zwei von fünf Sternen.