Essen. Das Karnevalsgeschäft läuft im Ruhrgebiet und im Rheinland auf Hochtouren. Doch manche Verkleidungen sind umstritten – oder sogar verboten.
In eine andere Rolle schlüpfen, ausgelassen feiern, gemeinsam durch die Straßen ziehen: Bald startet im Ruhrgebiet und im Rheinland der Straßen-Karneval, der Höhepunkt einer jeden Session. Die Kostümwahl der Narren steht dabei zunehmend im Fokus – und teilweise in der Kritik. Welche Verkleidungen dieses Jahr im Trend liegen, warum einige Kostüme umstritten sind und bei manchen sogar hohe Strafen drohen.
Bei der Kölner Kostüm-Kette Deiters weiß man schon jetzt, welche Verkleidungen einem in diesem Jahr besonders häufig auf den Straßen begegnen werden. Einer der neuesten Trends: Viele Karnevalisten wollen sich als Rapper „Apache 207“ verkleiden, so ein Deiters-Sprecher. Doch nicht nur Idole aus der Musikwelt, sondern auch aus aktuellen Film-Highlights dienen vielen als Grundlage ihres Kostüms, so der Sprecher: „In diesem Jahr gibt es zum Beispiel einen großen Run auf Barbie und Ken.“
Ahoj-Brause, Schokobon, Haribo: Süßigkeiten-Kostüme sind bei Deiters gefragt
Schon seit längerem in Mode sind Gruppen-Kostüme. Einige Karnevalisten kostümieren sich zum Beispiel gemeinsam im „Metallic-Look“, andere stellen verschiedene Haribo-Spezialitäten dar. Sich als Süßigkeit zu verkleiden, liege generell im Trend. „Lizenzprodukte wie Ahoj-Brause, Schokobon oder Serienhelden werden überdurchschnittlich nachgefragt, vor allem bei den Kids.“
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Nicht alle Karnevalistinnen und Karnevalisten folgen jedoch den neuesten Trends. Viele setzen auf bewährte Klassiker. Verkaufsschlager bei Deiters sind seit Jahren etwa Clown- oder Astronauten-Kostüme. Doch ausgerechnet einige dieser Klassiker geraten zunehmend in die Kritik, zum Beispiel das „Indianer“-Kostüm. Viele Karnevalistinnen und Karnevalisten fragen sich, ob es noch zeitgemäß ist, sich oder sein Kind als Winnetou oder Pocahontas zu verkleiden.
Bochumer Rassismus-Experte: „Schon das Wort ,Indianer‘ ist rassistisch“
Karim Fereidooni ist Rassismus-Forscher an der Ruhr-Uni Bochum und hat eine klare Antwort auf diese Frage: „Allein das Wort ,Indianer‘ ist schon rassistisch, weil es eine Fremdbezeichnung ist. Ich rate also dringend davon ab, sich so zu verkleiden“, sagt der Experte.
Viele Minderheiten, zu denen auch indigene Völker gehören, kritisieren die Übernahme kultureller Praktiken als Diebstahl, also als kulturelle Aneignung. Traditionelle „Indianer“-Gewänder an Karneval zu tragen, halten sie deshalb für unangebracht. „Weiße Menschen haben die Native Americans kolonialisiert, ihr Land weggenommen und sie unterdrückt. Und jetzt verkleiden sie sich aus Spaß als diese Minderheit. Das ist rassistisch und kulturelle Aneignung“, sagt auch Fereidooni.
Auch wenn man selbst mit seinem Kostüm ohne böse Absicht seinen Kindheitshelden würdigen möchte, könne das für andere verletzend und diskriminierend sein. Laut Fereidooni sollten Narren daher generell darauf verzichten, sich als „exotische Gruppen“ zu verkleiden. „Wenn weiße Menschen sich das Gesicht schwarz anmalen, ist es Blackfacing. Wenn sie sich Knochen ins Haar packen oder Baströcke anziehen, ist es respektlos“, hält der Rassismus-Forscher fest.
Weniger problematisch sei es hingegen, wenn man sich an Karneval in Lederhose und Dirndl wirft oder sich zum Beispiel als Schwede verkleidet. „Wurden Bayern oder Schweden über 500 Jahre hinweg als eigene Rasse konstruiert und aus wichtigen Teilen der Gesellschaft systematisch ausgeschlossen? Nein. Deshalb ist es auch nicht rassistisch, sich so zu verkleiden. Verkleidet man sich aber zum Beispiel als die Minderheit in Schweden, die Sami, kann das wiederum rassistisch sein, weil die Sami diskriminiert werden.“ Er rät daher: „Verkleiden Sie sich lieber als Gegenstand oder Tier. Dann können sie gar nichts falsch machen.“
Kostüm-Kette Deiters: „Mehrheit sieht kein Problem im Indianer-Kostüm“
Bei der Kostüm-Kette Deiters kann man diese Kritik nicht nachvollziehen. „Wir sind der Meinung, dass Menschen Indianer-Kostüme gerade nicht kaufen, um Indianer zu verhöhnen, sondern weil es Helden unserer Kindheit sind. Unsere Kunden kaufen die Kostüme, um ausgelassen damit zu feiern. Die negative Interpretation ist aus unserer Sicht künstlich und viel zu ideologiegetrieben“, so ein Sprecher.
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Aus diesem Grund sind die Kostüme bei Deiters auch weiterhin im Sortiment und erfreuen sich großer Beliebtheit, so der Sprecher: „Die Mehrheit sieht kein Problem in diesen Kostümen, weil sie diese negative Denkweise nicht hat, sondern genau das Gegenteil empfindet, wenn sie ein solches Kostüm trägt: Verehrung, nicht Verhöhnung.“
Auch an den Kitas geht die Debatte um kulturelle Aneignung nicht spurlos vorüber. Dass die Freude am Verkleiden im Mittelpunkt stehen sollte, betont Lina Strafer vom Kita-Zweckverband des Bistums Essen, zu dem rund 250 Einrichtungen gehören. „Beim Verkleiden lassen die Kinder ihrer Fantasie freien Lauf und lernen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen“, sagt Strafer.
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Ein Verbot bestimmter Kostüme gibt es für die Kinder daher nicht. Man setze auf die Eigenverantwortung der Familien, selbst zu entscheiden, welche Kostüme ihre Kinder tragen. „Keimen Diskussionen auf oder äußern Kinder Vorurteile, ist es Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte, vorurteilsbewusst einzugreifen, sich gegen Diskriminierung zu positionieren und den Dialog über das Thema Vielfalt zu suchen“, so Strafer.
Strafbare Karnevals-Kostüme: Terrorist oder Dschihadist
Während einige Kostüme nur Diskussionen auslösen, drohen bei anderen hohe Strafen. Verbotene oder verfassungswidrige Symbole, wie beispielsweise Hakenkreuze oder SS-Symbole, haben auch im Karneval keinen Platz, sagt Pascal Pettinato, Sprecher der Polizei Essen. Wer diese trägt oder verbreitet, macht sich der Volksverhetzung schuldig.
Verboten sind auch weiße Roben und Mützen des Ku-Klux-Klans. Wer damit erwischt wird, dem drohen Geld- oder im Extremfall sogar Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren. Ein weiteres No-Go: Verkleidungen als Terrorist oder Dschihadist.
Gefahren im Karneval: Keine Waffenattrappen zum Kostüm
Ebenfalls vorsichtig sein sollte, wer sich als Polizist verkleiden möchte. „Man darf sich durchaus als Polizist verkleiden. Allerdings sollte die Uniform nicht zu echt aussehen und auf keinen Fall darf man hierbei ein Hoheitsabzeichen, das Landeswappen, tragen“, sagt Pettinato. Denn: Wer Titel, Berufsbezeichnungen und Abzeichen missbraucht, verstößt gegen Paragraf 132 des Strafgesetzbuches und begeht damit womöglich eine Straftat.
Zudem rät die Polizei Essen dringend davon ab, Waffenattrappen zu nutzen. Zum einen könnten diese als sogenannte Anscheinswaffen eingestuft werden. Karnevalisten riskieren dann ein Bußgeld von bis zu 10.000 Euro. Zum anderen könnten Spielzeugwaffen andere Menschen verunsichern.
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Und: „Sollte es zu einem Polizeieinsatz kommen, wissen die Kollegen auf den ersten Blick auch nicht, ob sie jemandem mit einer scharfen Schusswaffe oder nur einer Anscheinswaffe gegenüberstehen“, sagt Pettinato. „Eine potenziell gefährliche Situation.“
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