Essen. Tod im Kleingarten. Im neuen Münster-Tatort ermitteln Thiel und Boerne „Unter Gärtnern“ und haben es mit unsichtbaren Gegnern zu tun.
Kurz wankt sie, dann fällt sie, und wenige Sekunden später liegt Sabine Schmidt (Sybille Canonica) tot in ihrer Parzelle. „Na ja, sie war eine alte Frau, ist halt einfach gestorben“, sagt die Nachbarin, und selbst Boerne (Jan Josef Liefers) kann keine äußeren Einwirkungen feststellen. Hätte es nicht auch zwei Eichhörnchen dahingerafft, die direkt neben dem Opfer liegen, Kommissar Thiel (Axel Prahl) hätte sein Notizbuch wohl schnell wieder zugeklappt und dieser Tatort wäre nach zehn Minuten beendet.
Neid, Eifersucht und Habgier
So aber – und weil viele in der Siedlung davon schwärmen, wie fit die Tote doch war – nehmen der Kommissar und sein „Assi“ Mirko Schrader (Björn Meyer) Ermittlungen „Unter Gärtnern“ auf. Wie fast immer, wenn das Verbrechen im Fernsehen in Kleingartenanlagen zuschlägt, sticht die Polizei dabei in ein Wespennest. Neid, Eifersucht, Habgier, kaum jemand, der zwischen Rosenstrauch und Kräuterwiese nicht ein Geheimnis verbirgt. Allen voran das Opfer.
Das hat nämlich gleich zu Beginn der Episode vor den Augen der TV-Zuschauer im schönen Seebad Scheveningen selbst einen Menschen ins Jenseits befördert. Und die Art und Weise, wie Sabine Schmidt das gemacht hat, lässt vermuten, dass sie keine Ersttäterin gewesen ist. Dumm nur, dass sie dabei von ihrem Kleingärtner-Kollegen und heimlichen Verehrer Ulrich Winer (Hans-Uwe Bauer) beobachtet worden ist. Der verpfeift Schmidt zwar nicht, sie gibt aber kurz vor ihrem Tod via Handy trotzdem durch: „Ich bin aufgeflogen.“
Fast eine Stunde dauert es, bis das ungleiche Ermittler-Duo ahnt, wer da gestorben ist. Damit fangen die Komplikationen aber erst richtig an. Denn noch immer weiß der arrogante Rechtsmediziner nicht, wie die Frau auf seinem Seziertisch ums Leben gekommen ist. Ganze Gärten gräbt er mit Kollegin Haller (ChrisTine Urspruch) auf der Suche nach seltenen Giftstoffen um und brütet stundenlang vor dem Mikroskop. Aber erst als Thiel die Urlaubspost der Toten unter die Lupe nimmt, kommt ein wenig Licht in den Fall. Das ist allerdings auch der Augenblick, in dem sich der Film vom nicht ganz ernst zu nehmenden Krimi in einen Agententhriller für Einsteiger verwandelt. Und in dem ausgerechnet das eher beschauliche Münster zu einem Zentrum der Geheimdienste wird.
Ungewöhnliche Mordmethode lässt Boerne ratlos zurück
Dafür bemüht das Drehbuch – von den Eckdaten geschichtlich korrekt und mit historischen Filmaufnahmen belegt – ein Treffen aus dem Jahr 1990. Im Friedenssaal des münsterschen Rathauses kamen damals der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein sowjetischer Amtskollege Eduard Schewardnadse zusammen, um über die deutsche Einheit zu verhandeln. Zusätzlich präsentiert Autorin Regine Bielefeldt mit dem „Havanna-Syndrom“ auch eine mögliche Mordmethode, über die tatsächlich seit längerem diskutiert wird, von der aber keiner sagen kann, ob und wie sie wirklich funktioniert.
Weit hergeholt ist das alles und im Vergleich zu den Spionage-Serien der Streamingdienste recht bieder inszeniert. Aber es ist einmal mehr sehr unterhaltsam, vor allem weil die Folge gekonnt mit den lange bekannten Charakteren und deren Macken spielt. Die Dialoge sind für Münsteraner Verhältnisse weniger albern, viele Pointen sitzen, manche Wendung überrascht. Vor allem aber zieht Regisseurin Brigitte Maria Bertele das Tempo in den letzten Minuten so stark an, dass man als Zuschauer die ungeklärten Fragen vergisst, die man sich in den 85 Minuten davor gestellt hat.
Schon seit Jahren verlässt der Münster-Tatort ausgetretene Pfade und traut sich was. Das funktioniert manchmal phänomenal („Limbus“), geht gerne auch mal völlig daneben („Propheteus“). „Unter Gärtnern“ liegt irgendwo dazwischen und ist jedenfalls wieder einmal ein Tatort aus Münster, der anders ist als ein klassischer Tatort. Aber damit auch wieder einer, der nicht jedem Fan gefallen wird.