Berlin. Bei “Anne Will“ wurde die Flugblatt-Affäre um Aiwanger verhandelt. Es zeigte sich: Das Bierzelt ist den Freien Wähler einfach heilig.
Ist im Fall Aiwanger alles gesagt? Anne Will ist nicht der Meinung. Frisch aus der Sommerpause zurück, erklärte die Moderatorin die Flugblatt-Affäre rund um den Chef der Freien Wähler am Sonntagabend zum Thema ihrer Sendung.
Um der Debatte noch etwas Neues hinzufügen zu können, wurde die Leitfrage möglichst groß gezogen. "Wie groß ist der Schaden für die politische Kultur?" war die Sendung überschrieben. Es diskutierten: Die Politiker Florian Streibl (Freie Wähler) und Günther Beckstein (CSU), die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff, die Publizistin Marina Weisband und der Journalist Roman Deininger.
"Anne Will" – Das waren die Gäste:
- Günther Beckstein (CSU): Ehemaliger Ministerpräsident und ehemaliger Innenminister von Bayern
- Florian Streibl (Freie Wähler): Vorsitzender Fraktion im Bayerischen Landtag
- Nicole Deitelhoff: Politikwissenschaftlerin und Sprecherin Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt
- Marina Weisband: Publizistin und Kolumnistin
- Roman Deininger: Chefreporter "Süddeutsche Zeitung"
Freie Wähler bei "Anne Will". "Das Bierzelt ist kein Beichtstuhl"
Interessant war, wie Florian Streibl als Vertreter der Freien Wähler (FW) mit dem Fall umging. In seiner Argumentation setzte der Fraktionschef auf zwei Stränge. Erstens sei das Thema nicht abgehakt, "Verletzungen und Irritationen" seien entstanden, räumte Streibl ein. Zweitens aber könne die Aufarbeitung nicht öffentlich stattfinden, sondern nur im Dialog etwa mit der jüdischen Gemeinde. "Das Bierzelt ist kein Beichtstuhl", befand Streibl.
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Das war eine bemerkenswerte Äußerung, die eine fragwürdige Haltung durchschimmern ließ. Denn warum sollte die Buße denn nicht auch im Bierzelt stattfinden? Weil in Bayern Wahlkampf ist? Weil eine solches Vorgehen im Bierzelt nicht gut ankäme? Seinen Punkt untermauerte Streibl sogar noch, indem er darauf hinwies, dass die Freien Wähler im Landtag viel gegen Antisemitismus unternehmen würden – nicht aber im Bierzelt.
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Publizistin bei "Anne Will": Darum hat sich Aiwanger problematisch verhalten
Marina Weisband dröselte derweil auf, warum sich Aiwanger unterm Strich durchaus problematisch verhalten hat. "Wofür hat er sich überhaupt entschuldigt?", fragte die Publizistin mit Blick auf Aiwangers Erklärung. Das sei eigentlich unklar. Auch geriere sich Aiwanger selbst als Opfer einer angeblichen Kampagne. Dabei hätte er sich nur sauber erklären müssen. "Das wäre vorbildliches Verhalten", fand Weisband. Und stellte klar, dass es eigentlich nicht um den Schüler Aiwanger und dessen Taten, sondern um den Politiker Aiwanger und dessen Umgang mit der Vergangenheit gehe.
Weisbands Kritik klang plausibel, und es hätte FW-Fraktionschef Streibl gut gestanden, sie anzuerkennen. Stattdessen verlegte sich dieser auf eine gefühlige Erklärung: Man müsse schon auch sehen, dass Aiwanger als Mensch angegriffen worden sei. Da regiere dann nicht immer Rationalität, sondern auch ein wenig der Instinkt. Das überzeugte nicht, weil Aiwanger sich viel Zeit gelassen hat, um auf die Vorwürfe zu reagieren. Und sollte man von Politikern nicht erwarten, auch in persönlichen Krisen einen kühlen Kopf zu bewahren?
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"Anne Will": Runde diskutiert Rolle der "Süddeutschen Zeitung"
Gut war, dass in der Runde auch über die Rolle der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) gesprochen wurde. Diese hatte die Vorwürfe gegen Aiwanger zuerst veröffentlicht – zunächst unter der Prämisse, dass der FW-Chef der Verfasser des Flugblatts sei.
Roman Deininger verteidigte in der Runde das Vorgehen seiner Zeitung, auch wenn die Veröffentlichung mitten in den bayerischen Wahlkampf fiel und sich der von mehreren Quellen der SZ geäußerte Verdacht, Aiwanger sei der Verfasser, am Ende nicht erhärtete. "Das gehört ans Licht, damit es öffentlich bewertet werden kann", sagte der Journalist. Im ersten Artikel habe sich die Zeitung aber teilweise im Ton vergriffen. "Das war ein Fehler", räumte Deininger ein.
Das Fazit
Diese Ausgabe von "Anne Will" war sehenswert, weil sie tatsächlich neue Perspektiven auf den Fall Aiwanger eröffnete. Dazu gehörte auch eine Antwort auf die Leitfrage.
Diese kam von Nicole Deitelhoff. Den Schaden für die politische Kultur bewertete die Politikwissenschaftlerin als groß. Wieder einmal zeige sich, dass es in der Politik nicht primär um die Sache gehe. "Stattdessen wird auf den politischen Gegner eingeprügelt" – auf beiden Seiten. Wenn es aber nur noch um Freund und Feind gehe, sei schnell der demokratische Boden verlassen, warnte Deitelhoff.
Zur Ausgabe von "Anne Will" in der ARD-Mediathek
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