Berlin. Wettbewerb: „Sheng Xi Zhi Di“ entführt ins China der Neunziger. Ein Junge wächst bei den Großeltern auf - und erlebt Arbeit und Tod.

Sie graben sich mit ihren Spaten und ihren Pflügen tief in die Erde hinein. Ersteres, um bei Morgengrauen die Leiche des alten Li Ta auszubuddeln, der gefälligst bei seiner Frau im Familiengrab der Familie Li am Eisenboden-See liegen soll und der deswegen mit Hand und Schweiß von den Bauern im nördlichen China umgebettet wird. Und Letzteres, um der Erde die wichtigste Einnahmequelle abzuringen: den Weizen, wild wogend im milden Licht, der aber noch von den Protagonisten des Films per Hand und Sichel mühevoll geerntet werden muss.

„Living the Land“: Vom Tod und Überleben

Die Erde, sie bedeutet in dem chinesischen Wettbewerbsbeitrag „Sheng xi zhi di“ (“Living the land“) also Tod und Überleben zugleich, und sie ist das zentrale Motiv in dem schönen Film von Huo Meng. „Living the land“, das heißt eben, das Land leb- und urbar machen, aber eben auch aus dem Land heraus zu leben. Und das tut der zehnjährige Xi Shuang (Wang Shang), aus dessen Perspektive der Film erzählt wird.

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Weil seine Eltern in der Stadt im fernen Süden leben, wächst er bei Verwandten in seinem Heimatdorf auf. Wir schreiben die Neunzigerjahre. Der Kuwaitkrieg plärrt aus dem Volksempfänger, aus dem Lautsprecher dröhnt die Aufforderung an die jungen Frauen, zum Schwangerschaftstest zu gehen, und der Kampf mit dem Boden und ums Überleben, wenn der Parteisekretär mal wieder vorbeikommt, um die Agrarsteuer einzusammeln, bestimmen den Alltag.

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Wir sehen die Bauern im Kampf gegen den nächtlichen Regen, wenn der Weizen keimt und unbrauchbar wird. Chuangs behinderten Cousin Jihua (Zhou Haotian), der als Idiot durchs Dorf getrieben wird. Chuangs uralte Ur-Oma Mrs. Li-Wang (Zhang Yanrong), die mit ihren Erzählungen das uralte China verkörpert. Und Chuangs Tante Li Xiuying (Zhang Chuwen) bei der demütigenden Schwangerschaftsuntersuchung und der anschließenden Hochzeitsfeier mit dem wohlhabenden Gongchang (Mao Fuchang), den sie hasst.

„Living the Land“: Von Beerdigungen und Hochzeiten

Überhaupt wird sehr viel gefeiert und geredet in dem Film: Trommeln, lautes Jammern, Verbeugungen und Feuerwerk begleiten die Beerdigung von Li Tas Frau am Anfang; bei der Hochzeit später wird das Brautpaar wild herumgeschubst, und die Kamera folgt ihren Protagonisten bei allen Feierlichkeiten durch alle Gänge und Flure der weitverzweigten Familie und Örtlichkeiten.

Huo Meng beschreibt so liebevoll mit erlesenen Bildern, erdigen Farben und volksnahen Menschen eine untergehende Welt. Selbst der teure Traktor, der endlich als eine moderne Errungenschaft die Gäule ersetzt, bleibt am Ende im Matsch stecken. Was bleibt, ist die Landflucht - und die Erkenntnis, dass diese klebrige Erde, die Tote verbirgt und Leben schenkt, so gnadenlos sein kann.

Termine: 15.2., Urania, 10 Uhr; 15.2. City Kino Wedding, 14 Uhr; 15.2. Uber Eats Music Hall, 18 Uhr; 16.2. Haus der Berliner Festspiele, 20.45 Uhr; 23.2. Uber Eats Music Hall, 13 Uhr.