Dortmund. Ihr Onkel war Pazifist. In der Grundausbildung brachte er sich um. Hannah Brinkmann erzählt in einem Comic aus seinem Leben. Ein Interview.

Es sind erschütternde Geschichten, die Hannah Brinkmann in ihren Graphic Novels erzählt. In dem Band „Gegen mein Gewissen“ geht es um ihren Onkel Herrmann, der Pazifist war, den Wehrdienst verweigerte, aber noch vor seiner Anerkennung eingezogen wurde. Während der Grundausbildung zerbrach er psychisch und beging im Januar 1974 Selbstmord. Für diese Geschichte wird Hannah Brinkmann am 7. Februar mit dem Dortmunder Comic-Preis ausgezeichnet. Auch ihr aktueller Band ist eine politisch hochbrisante Lebensgeschichte über den jüdischen Politiker und Aktivisten Ernst Grube. Georg Howahl sprach mit Hannah Brinkmann darüber, wie wichtig solche politischen Themen für sie sind.

Comic Zeichnerin und Autorin Hannah Brinkmann
Zeichnerin und Autorin Hannah Brinkmann: Politisch Stellung zu beziehen ist ihr ein wichtiges Anliegen. © Heike Steinweg | Heike Steinweg

Frau Brinkmann, Ihr Band „Gegen mein Gewissen“ ist schon fünf Jahre alt und wurde erst jetzt ausgezeichnet. Waren Sie überrascht?

Hannah Brinkmann: Als ich den Anruf bekommen habe, war ich kurz vor der Fertigstellung meines aktuellen Buchs und musste am Telefon erst fragen: Welches Buch meint ihr? Aber das Thema Wehrpflicht ist für mich persönlich natürlich weiterhin total aktuell. Und es deckt ein Kapitel in der bundesdeutschen Geschichte auf, das bis dato kaum behandelt worden ist. Das fand auch die Jury.

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Die Gewissensprüfung war Anfang der 1970er-Jahre noch eine sehr schwierige Hürde, Kriegsdienstverweigerung war nicht gewollt und wurde von den Gutachtern oft erschwert oder gar unmöglich gemacht. Würde Ihr Onkel wohl heute noch leben, wenn er unproblematisch anerkannt worden wäre?

Onkel Hermann gehörte zu einem der letzten Jahrgänge, die das so krass erleben mussten. Er hat sich 1974 das Leben genommen, sein Tod wurde zum Teil einer Diskussion um die Kriegsdienstverweigerung und Gewissensprüfung. 1977 gab es die sogenannte Postkartennovelle, weshalb man dann plötzlich ganz kurz per Postkarte verweigern konnte. Das hatte allerdings auch nicht lange Bestand. Es gab dann bis in die 80er-Jahre noch schwierige Gewissensprüfungen, aber die Verfahren wurden in ihrer Schärfe immer mehr abgeschwächt. Bis die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde.

Comic Hannah Brinkmann
Verfolgung durch die Nazis in Hannah Brinkmanns Comic: „Zeit heilt keine Wunden“. © Avant Verlag | Hannah Brinkmann

Wie war die Resonanz auf Ihr Buch, die Wehrpflicht betraf ja jeden Mann in den damaligen Jahrgängen?

Es gab viele Zuschriften, die meisten hatten ihre eigene Geschichte dazu und sie haben mir gesagt: Diese Prüfungen, die waren genau so, ich habe mich genau so gefühlt, die Zeit war so. Die ganze Recherchearbeit hat sich also gelohnt.

Politisch hochaktuell ist auch Ihr neues Buch „Zeit heilt keine Wunden“, das vom Nazi-Verfolgten Ernst Grube erzählt. Er wurde erst von den Nationalsozialisten ins KZ gesteckt. Und nach dem Krieg wegen seiner kommunistischen Überzeugungen von Richtern, die schon im Nazi-Justizsystem gearbeitet hatten, abermals zu Haft verurteilt. Wurde dieser Nazi-Hintergrund zu oft verdrängt?

Schon als ich an „Gegen mein Gewissen“ gearbeitet habe, bin ich ganz oft auf diese NS-Kontinuitäten in der Bundesrepublik gestoßen. Alleine im Militär und in der Justiz: In den Ausschüssen saßen viele ehemalige Wehrmachtoffiziere. Und die Geschichte von Ernst Grube steht exemplarisch dafür. Viele Juristen sind aus der NS-Justiz nahtlos übergegangen in die Bundesrepublik und waren dort mit der Kommunistenverfolgung beschäftigt.

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„Zeit heilt keine Wunden“ beginnt mit einem Zitat, verkürzt lautet es: „Was ist des Unschuldigen Schuld? – Wo beginnt sie? Sie beginnt da, wo er gelassen, mit hängenden Armen daneben steht (...) und spricht: Da kann man nichts machen.“ Erscheint Ihnen in Zeiten einer erstarkten Rechten das politische Engagement umso wichtiger?

Für Ernst Grube ist eine wichtige Botschaft, auch an junge Leute: Wir sind alle gleich. Und Menschlichkeit ist das Wichtigste. Wenn wir anfangen, einander zu entmenschlichen, dann ist das der Anfang vom Ende.

An welchem Projekt arbeiten Sie als nächstes?

Das ist der Band „Wie geht es Dir? Comics gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus“, eine Reaktion auf den grauenhaften Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und den zerstörerischen Krieg in Gaza. Das haben wir mit mehreren Autorinnen und Autoren initiiert, darunter Barbara Yelin, Birgit Weyhe und Moritz Stetter. Ich habe darin unter anderem ein Gespräch mit meiner israelischen Tante Ronit geführt, die heute mit ihrer Familie in London lebt.

Hannah Brinkman: „Gegen mein Gewissen“, Avant, 232 Seiten, 30 Euro und „Zeit heilt keine Wunden“, Avant, 262 Seiten, 30 Euro.