Köln. Die Bluesrockerin begeistert ihre Fans in der Lanxess Arena mehr als zwei Stunden lang. Ihr Seelen-Striptease wirkt inspirierend und macht Mut.
Diese Frau ist… ein Vulkan? Ein Tornado? Ein Erdbeben? Stimmt alles. Und stimmt alles nicht. Weil jeder dieser Vergleiche zwar einen Versuch darstellt, das Eruptive, die wilde Kraft und die Leidenschaft von Beth Hart in Worte zu fassen. Aber jeweils mit einem Phänomen, dessen Urgewalt etwas Zerstörerisches innewohnt. Ein Konzert mit der Sängerin und Songschreiberin und ihren drei grandiosen Musikern Jon Nichols (Gitarre), Tom Lilly (Bass) und Bill Ranson (Schlagzeug) bewirkt aber genau das Gegenteil. Es fügt uns und die Welt wieder zusammen. So auch Montag in Köln in der Lanxess Arena.
Zudem das mit den Urgewalten nur ein Teil der Wahrheit ist. Denn diese Frau ist auch die goldene Flamme einer Kerze in einer einsamen Winternacht. Der Hauch des Windes, der in den Weiden mit den Blättern spielt und sie tanzen lässt. Die kleine, sachte, letzte Welle, mit der das Meer den Sand liebkost und ihm die runden Schultern krault. Sie kann die lauten und die leisen Töne, die zornigen und die zärtlichen, die sanft-lockenden und die wütend-anklagenden.
Und alles, was dazwischen liegt.
Beth Hart live in Köln: Das neue Album stand im Fokus
Sie ist die Frau morgens um Fünf, allein in einer Bar am Piano, die den übelsten Blues von allen hat. Die Country-Rockerin, die gerne wäre wie der große, böse Johnny Cash. Die, die am jazzigen Valentinstag mit dem jungen Tom Waits und Ella Fitzgerald um die Häuser ziehen könnte, die Schwester im Geiste von Janis Joplin mit dem Maschinengewehr-Vibrato in der Stimme – stopp. Dass hier eine schwer verliebt ist, ist ja kaum zu überlesen. Aber irgendwann wird’s dann doch peinlich. Honig schmeckt gut. Aber zuviel Honig schmeckt klebrig.
In mehr als zwei Stunden präsentiert die 52-Jährige 19 Stücke, darunter viele von ihrem letzten Album „You Still Got Me“, das Ende Oktober erschienen ist. 4000 Fans in der Lanxess Arena sind vom ersten Moment an hingerissen. In dem man Hart zwar schon hört, aber noch nicht sieht. Mit wilder Mähne, in der sich die Farben des Herbstes mischen, seitlich hoch gerafftem schwarzen Satin-Kleid über Netzstrümpfen und kniehohen Stiefeln kommt sie von hinten durch den Mittelgang, quer durch den bestuhlten Innenraum.
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„Mach` dein eigenes Ding, hab` Spaß – oder bau’ Scheiße, so wie ich es getan habe“, wird sie später „Swing My Thing“ anmoderieren. Und auch sonst kein Hehl aus dem machen, was in ihrem Leben so schiefgelaufen ist. „Ich verlor mein Klavier und meine Stimme und mein Haus, ich verlor alles!“, sagt sie. Den Alkohol und die Drogen hat sie vor Jahren überwunden, aus dem Becher, aus dem sie heute trinkt, hängt seitlich am Fädchen das Papp-Etikett vom Teebeutel heraus.
Beth Hart live in Köln: Am Ende überwiegt die Dankbarkeit
2003 wurde bei ihr eine bipolare Störung festgestellt, sie nimmt Medikamente, hat aber nach wie vor mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen. Was ihr half, so sagt sie, sei die Wahrheit, über sich selbst zu sehen, „aber auch das Gute in mir und in allen Menschen.“ Um dann „Wonderful World“ zu singen, nicht das Stück von Louis Armstrong, sondern ihre Version vom Gefühl, das am Ende überwiegt: Dankbarkeit.
Trotz all der Angst und aller Schwäche, die sie noch immer empfindet. Es sind Gefühle, die sie mit vielen Menschen teilt. „Wir kommen da durch, wir machen weiter“, macht sie ihnen Mut. Sie zerstört nicht. Sie fügt uns und die Welt wieder zusammen. Ein Konzert von Beth Hart ist wie Therapie. Für alle Beteiligten.