Dortmund. Es war eine Ohrfeige, die seine Karriere einfror. Über ein Jahr, nachdem dem Stardirigenten die Hand ausrutschte, kehrt er nun zurück.
Der Paukenschlag dieser Opernaufführung am 22. August war: eine Backpfeife. War das die berühmteste Ohrfeige der Musikgeschichte? Ein banaler Anlass, eine indiskutable Reaktion - und markante Folgen. Für den Dirigenten John Eliot Gardiner war der Spätsommerabend 2023 einer, der alles veränderte. In Hector Berlioz‘ Geburtsort La Côte-Saint-André hatte er dessen wuchtiges Werk „Le Troyens“ dirigiert. Das, was dann geschah, erklärte der damals 80-jährige Brite damit, „die Nerven verloren“ zu haben. Ein junger Sänger (29) war nach der Aufführung zur falschen Seite der Bühne abgegangen. Und Gardiner ohrfeigte ihn dafür.
Da blickte die Welt - schadenfroh die Gegner, entsetzt die große Fangemeinde des Pultstars - auf einen, der ohnehin den Ruf hatte, ein Schwieriger zu sein. Gardiner entschuldigte sich umgehend öffentlich. Und er ging in sich, auch um, wie es hieß, „professionelle Hilfe“ zu erhalten. Der Brite, einst von Königin Elizabeth in den Adelsstand erhoben und Gründer so bedeutender Institutionen wie der English Baroque Soloists und des Monteverdi Choir, legte den Taktstock nieder, über ein Jahr. Nun tritt er wieder ans Pult. Eine seiner ersten Stationen ist Dortmund. Gardiner dirigiert am 12. Dezember das Adventskonzert des Konzerthauses.
Gardiner: Ohrfeige sorgte für Ruhestand auf Zeit
Gardiners Wirken ist: ein Lebenswerk. Neben Nikolaus Harnoncourt ist er die andere große Schlüsselfigur der historischen Aufführungspraxis. Früh hatte sich der studierte Historiker, Kind aus englischem Landadel, dem Originalklang Alter Musik verschrieben. Sein Zugang war die Chormusik, 21 war er, als er mit dem Monteverdi-Choir ein Vokalensemble gründete, das heute Weltrang genießt. Gardiner war nicht der erste, aber er betrieb die Kunst, uns die Ohren zu öffnen, wie Purcell, Bach oder Mozart tatsächlich geklungen haben, mit einem Magnetismus, dass selbst gestandene romantische Klangkörper wie Amsterdams Concertgebouworkest ihn einluden, zu lernen, ob man die Meister anders spielen könne als sie es zuvor mit Bernstein oder Haitink getan hatten.
John Eliot Gardiner, Rinderzucht und Alte Musik
Der bieder, leicht graumäusig wirkende Bauernhofbesitzer aus Dorset, der gern erklärt, er wisse in Sachen Melkmaschine nicht weniger gut Bescheid als bei Mozart, gilt in der Klassik-Branche nicht durchweg als pflegeleicht. Sein Humor entgleitet ihm mitunter, Orchestermusiker fanden den sarkastischen Ton, mit dem Gardiner bei Proben bisweilen zum Ziel drängt, wenig erfreulich. Das beste Orchester der Welt, Wiens berühmte Philharmoniker, war seiner bald müde: Gardiner wird dort schon lange nicht mehr eingeladen. Andere schätzen Gardiners extreme Kompetenz und eine an Qual grenzende Pingeligkeit, weil sie unvergleichliche Früchte trage.
Erfolgsverwöhnt ist der in dritter Ehe verheiratete Schafs-und Rinderzüchter aus Dorset dennoch. Seit 50 Jahren wird er gefeiert in London, Salzburg, Paris - längst nicht mehr nur mit Musik aus Renaissance und Barock. Nun, nach einer Auszeit, die wir von Musikern, die sich nicht im Griff haben, erst seit „metoo“ kennen, kehrt er als 81-jähriger zurück.
Gardiner nach Ohrfeige: „Ich suche keine Ausreden“
„Ich suche keine Ausreden für mein Verhalten“, hat John Eliot Gardiner über die Watsche gesagt, die um die Welt ging. Und doch wird den Reuigen bei seinem ersten Auftritt „danach“ selbst die treue Fangemeinde als einen anderen Menschen sehen - und ihn zugleich als vertrauten Meister hören. Ein Konzert als Ort der Widersprüche.
Freikarten fürs Adventskonzert
Zu John Eliot Gardiners Rückkehr aufs Konzertpodium laden wir in Kooperation mit dem Dortmunder Konzerthaus ein. Vier Leserinnen und Leser können gratis ins festliche Adventskonzert am 12. 12., 19.30h. Im Mittelpunkt stehen Kantaten von Johann Sebastian Bach und die Weihnachtsmesse von Charpentier.
Wer dabei sein will kann sich bis zum 17. November um 2 x 2 Freikarten bewerben. Unsere Telefonnummer zu dieser Aktion ist 01378 / 78 76 18 (0,50 € / Anruf) . Die Gewinner werden von uns benachrichtigt.