Essen. Verdi-Premiere in Essens Oper: Jubel für Sänger und Orchester. Die Regie von Slava Daubnerova überzeugte kaum. Unsere aktuelle Kritik.
Seien wir - bei aller Liebe zu Verdi - ehrlich. „Die Macht des Schicksals“ ist seine schlimmste Räuberpistole. Aber so war die Zeit: Auf dem Altar des dramatischen Paukenschlags opferte man jede Wahrscheinlichkeit. Da ist ein Graf absolut gegen den Schwiegersohn in spe. Der (Alvaro und Verehrer Leonoras) ist gut erzogen und lässt die Waffe fallen. Aber die erschießt am Boden dann doch noch den alten Herrn. Der wiederum ist tot, aber doch nicht so tot, dass er den Verblieben nicht noch einen heftigen Fluch um die Ohren hauen könnte. Später sind alle Überlebenden verkleidet, was dazu führt das Leonoras rächender Bruder Carlo und Alvaro ahnungslos dicke Freunde werden. Von der Traurigkeit, dass letzterer eigentlich der Sohn unlängst enthaupteter Inka-Könige ist, einmal abgesehen...
„La forza del destino“: Premierenpublikum jubelt für die Musiker
Was tut eine Regie mit so einem Schinken? An Essens Aalto-Theater sucht Slava Daubnerova ihr Heil im Überzeitlichen. Sie geht auf Distanz, ohne sich festzulegen. Hier dicke Ledersessel samt Tageszeitung, dort ein Krankenbett des frühen 20. Jahrhunderts, lauter Panzersperren. Vor allem aber regiert die bühnenbildnerische Wucht (Raum: Volker Hintermeier) eine zehn Meter hohe Statue, die es seit 1967 wirklich gibt: „Mutter-Heimat ruft“ erinnert im heutigen Wolgograd an den Sieg der Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg.
Sie ist hier Symbol für eine Welt im Krieg, kaum für mehr. Auch wenn in Verdis Oper gegen die deutschen Kriegsgegner „Tedeschi“ gewettert wird (gemeint sind aber Österreicher). Auch wenn „Forza“ Verdis einzige Auftragsarbeit für den Zaren war. Diese Statue steht allerdings auch sinnbildlich für die Inszenierung mit ihren ziemlich langen dreieinhalb Stunden: Sie besitzt ohne Zweifel üppigen Schauwert, schafft starke Bilder. Doch die Kraft einer großen, tragenden Erzählung hat sie so selten wie sie uns die Figuren des Dramas wirklich ans Herz legt.
Aalto-Theater: Statt Personenregie hüftsteife Opernsänger
Apropos Figuren: Seltsam, dass eine Regisseurin, die unter dem Segel der „Performance“ derzeit ihre Eintrittskarte zu großen Häusern löst, so unfassbar stumpf in der Personenführung arbeitet. Die Eröffnungsszene, prallvoll von den schrecklichsten emotionalen Widersprüchen, zeigt bei ihr keinerlei Menschenbildnisse, sondern bloß hüftsteife Opernsänger.
Bewegtbilder statt guter Personenführung
Sehr viel anders wird es den ganzen Abend nicht. Wenig zielführend geistert eine tote Leonora als Zombie durch Stationen ihrer Passionsgeschichte. Bewegtbilder dominieren viele Szenen. Daubnerova überzieht ihre Erzählung mit Videos: Sie zeigen Leonora als Opfer einer rüden Männerwelt, Schüsse in Zeitlupe, Soldaten im Angriffsmodus. Die Defizite auf der Bühne überspielt das Kunst-Kino kaum.
Forza del destino: Kein grotesker Reinfall
Nein, der Abend ist kein grotesker Reinfall wie in Essen zuletzt „Die Zauberflöte“. Doch von maßstäblichem Musiktheater kann hier kaum die Rede sein. Daubnerovas Zugriff - mal extrem gewollt, wo Nornenfäden Menschen zu Marionetten erklären, mal viel zu simpel und ohne jeden Tiefgang vom Blatt gespielt - zeitigt allenfalls ein Theater-Ergebnis der Sorte „Kann man sich durchaus anschauen“. Das ist zu wenig.
So feiert denn das Publikum im nicht ausverkauften Aalto-Theater Samstag Nacht unter vielen Buhs für die Regie am Ende ausdauernd vor allem die musikalischen Meriten der Produktion. Essens Opernchor fordert die Partitur vom ekstatischen Kriegsgebrüll bis zur weltentrückten Spiritualität alles ab - und er liefert glänzend. Nehmen wir exemplarisch seine Piano-Kultur, macht er ersten Adressen Ehre.
Andrea Sanguinetis Dirigat machte in der allzu kompakt genommenen Ouvertüre noch skeptisch, fand aber dann mit Essens glänzend aufgelegten Philharmonikern zu hochgespanntem, gleichwohl sensiblem Musizieren - mit besonders feinem Gespür für die lyrischen Nuancen der Partitur. Hier waltet die Binnenspannung, die der Szene allzu oft fehlt.
„La forza del destino“ in Essen: Sänger begeistern
Und es gibt begeisternde Solisten. Massimo Cavaletti ist ein nobler Rächer vom Dienst: Was für ein Carlo! In den besten Momenten hallt in seiner großen Stimme die Noblesse eines Sherill Millnes nicht weniger nach als das virile Draufgängertum eines Ettore Bastianini. Jorge Puertas Tenor klang leicht belegt, teils unruhig geführt, aber es siegten aufs Ganze doch Alvaros heldische Farben. Roberto Scandiuzzis Pater Guardian führt einen Gottvater-Bass zum Niederknien. Ein großer Abend war es für Astrik Khanamiryan als Leonora: Verletzlichkeit kann eine gewaltige Stimme haben. Da wird Gesang Takt für Takt berührende Seelenkunde. Ein Ereignis.
Daten und Karten
La forza del destino. Aalto Theater Essen. Dreieinhalb Stunden, eine Pause.
Nächste Aufführungen am 17.11., 23.11, 30.11. Im Dezember am 19. 12.
Tickets kosten von 11-57€. Es gibt sie unter Tel 0201-8122200 und auf der Website des Theaters.