Essen. Diversität, Wokeness, Gendern: Simon Verhoeven lässt im neuen Kinofilm die Fronten lustvoll und prominent besetzt aufeinanderprallen.
Heinz Hellmich ist Mitte 50 und irgendwie aus der Zeit gefallen. Seine „Ich Chef, du nix“-Tasse ist nicht mehr lustig, die Werbekampagne für seine Firma, das Telekommunikationsunternehmen Fernfunk AG, erntet einen Shitstorm wegen eines schwarzen Kellners. Und beim Firmen-Event bestellt er bei der neuen Vorgesetzten ein Glas Wasser – nur weil er sie mit der ebenfalls asiatisch anmutenden Kellnerin verwechselt.
Als er befördert werden soll, muss Hellmich erst mal beweisen, dass er kein alter weißer Mann ist. Er lädt Kollegen, Familie und die unterschiedlichsten Bekannten an einen Abendbrottisch. Überzeugend divers soll die Besetzung werden – prompt fliegen die Fetzen.
„Alter weißer Mann“: Simon Verhoeven und die Wokeness-Welle
Der deutsche Regisseur Simon Verhoeven hat schon in der Komödie „Willkommen bei den Hartmanns“ gesellschaftliche Strömungen pro und contra Flüchtlingspolitik lustvoll aufeinanderprallen lassen und sorgte damit 2016 für einen Kino-Hit. Mit seinem neuen Film nimmt er sich, selbst 52 und zumindest auf dem Weg zum etwas älteren, weißen Mann, der Wokeness-Welle an. Das Ergebnis kommt jetzt in die Kinos. „Alter weißer Mann“ ist eine humorvolle Abrechnung mit dem Zeitgeist und seinen Protagonisten. Diversität und Gendersternchen, Political Correctness und Selbstoptimierung. Da kann man schon mal ins Schleudern geraten.
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Dreh- und Angelpunkt ist ein gut aufgelegter Jan Josef Liefers, der als Heinz Hellmich mit Schnäuzer und braunem Cordanzug kaum ein Fettnäpfchen auslässt. Dabei ist er grundsätzlich gutwillig, auch wenn ihn, den Patriarchen mit Einfamilienhaus, die gesellschaftliche Stimmung stresst. Trump, Kriege, China und Viren. Rassismus, Antisemitismus, Globalismus, Feminismus, Islamismus, Faschismus und einiges mehr auf -mus. Influencer, die einem sagen, wie man zu leben hat. Und überall Avocado-Toast und Hafermilch.
„Alter weißer Mann“ im Kino: Friedrich von Thun spielt den Großvater
Mit Sohn Linus (Juri Winkler) und Tochter Leni (Momo Beier) hat er seine größten Kritiker zu Hause („Papa, Schwarzarbeit ist ein rassistischer Begriff“). Und dann ist da noch sein Vater, Mitte 80, verkörpert vom famosen Friedrich von Thun (mit grauem Zopf). Er befürchtet angesichts von Worten wie „Gästinnen“ das Ende des Abendlandes und hat sich vorgenommen, als Bürgermeister zu kandidieren. Doch als er den Enkeln sein Wahlprogramm präsentiert, kommt es schon beim heteronormativen Einstieg zum Eklat: „Sehr geehrte Damen und Herren“.
Elyas M’Barek ist dabei – als blondgesträhnter KI-Experte, der Sam, den „vorurteilsfreien 24-Stunden-Berater“, bei Fernfunk etablieren will. Nadja Uhl spielt die unglückliche Ehefrau Carla, Michael Maertens den Vorgesetzten Dr. Steinhofer, Meltem Kaptan die treue Assistentin Kiraz Tüfek von der Schwarzmeerküste. Und dann sind da noch junge Schauspieler wie Patrice Grießmeier und Alex Junge als hippe queere Berliner, denen es gelingt, Hellmich bei einer nächtlichen Tour durch die Hauptstadt tatsächlich neue Einsichten zu bescheren.
„Alter weißer Mann“ ist ein genervter Zustandsbericht
Verhoevens Film ist ein bissiger, witziger, temporeicher Zustandsbericht, verzeihbar an der Grenze zum Klischee, aber herrlich überspitzt. Da wird unter den Anweisungen des verzweifelten Hellmich aus einem Werbeplakat mit einer deutschen Kernfamilie schnell ein Massenbild mit 33 Leuten, das sich bei der Präsentation als wenig zielführend erweist, weil es um einen Spezialtarif für bis zu vier Personen geht. Unterdessen sorgt daheim schon die Zubereitung des großen karrierefördernden Dinners für Probleme. Carla will vietnamesisch kochen. Oder ist das schon kulturelle Aneignung?
Es geht Verhoeven um die Cancel Culture, die ihn sichtlich nervt. Aber es geht ihm auch um die Familie, die er liebt, die aus lauter Individuen besteht und sich hier einmal mehr zusammenraufen muss. Und so geht die Anarchie am Ende ein wenig verloren, trägt das Harmoniebedürfnis des Regisseurs den Sieg davon. Gelacht haben wir trotzdem, vielleicht mit ein bisschen Schaum vor dem Mund, aber meistens politisch korrekt.