Essen. Andres Veiels Doku „Riefenstahl“ vertieft das Vergangene und vernachlässigt die Gegenwart. Warum sollte das jemanden interessieren?
NS-Mitläuferin oder doch aktive Ideologin? Kaum eine Filmkünstlerin hat zu ihrer Zeit derart begeistert und später dann polarisiert. Aber was ist die Zeit einer Frau, die 2003 im Alter von 101 Jahren starb? Vier Filme drehte Leni Riefenstahl, 1929 in der Weimarer Republik den Bergfilm „Das blaue Licht“, in der NS-Zeit die dokumentarisch geprägte Reichsparteitagstrilogie, aus der „Triumph des Willens“ als einer der ästhetisch einflussreichsten Filme des 20. Jahrhunderts hervorging. Ähnliche Wirkung erreichte Riefenstahls Olympia-Film, dessen Montagetechnik bis heute bei der filmischen Inszenierung sportlicher Großveranstaltungen Niederschlag findet.
Leni Riefenstahls zweiter und letzter Spielfilm „Tiefland“ kam erst 1954 in die Kinos als Monument einer Künstlerin, deren erzählerisches und darstellerisches Talent weit hinter ihrem Geschick für visuelle Gestaltung zurückblieb. In den 60er- und 70er-Jahren kam Riefenstahl mit ihren Fotobüchern über den Nuba-Stamm im Sudan erneut zu Weltruhm. Nach Kriegsende kämpfte sie über ein halbes Jahrhundert darum, weder von ihrer Arbeit her noch vom Wesen her als Nationalsozialistin wahrgenommen zu werden.
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Angesichts dieser biografischen Historie kommt nun ein Film in die Kinos, der von so vielen denkbaren Annäherungen die am wenigsten herausfordernde aufarbeitet. Andres Veiel, hoch gelobter und prämierter Dokumentarfilmer („Die Spielwütigen“; „Black Box BRD“, „Beuys“), bekam von der Produzentin Sandra Maischberger das Angebot, 700 Kisten mit Fotos, Home Movies und Audiomitschnitten von Gesprächen und Telefonaten unter der Maßgabe zu nutzen, dass Leni Riefenstahl überzeugte Vertreterin der NS-Ideologie war. Bleibt die Frage, was eine solches eher ungewöhnliches Leben und sein Niederschlag für unsere heutige Zeit begreifbar machen kann.
„Riefenstahl“: Andres Veiel und Sandra Maischberger zeigen eine energische Karrieristin
Veiel und Maischberger zeigen Riefenstahl als energische Karrieristin, befeuert von deutschen Idealen der Kaiserzeit mit viel Sinn für Selbstinszenierung in Glanz und Glamour. Vor allem aber wird Riefenstahl als Meisterin der Verdrängung und Selbstüberhöhung sichtbar. Da kommen manch entlarvende Momente zusammen – aber warum das ein Publikum von heute interessieren sollte, bleibt unklar.
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Der Einfluss der Riefenstahl-Filme auf die Inszenierung organisierter Massen etwa in George Lucas‘ „Krieg der Sterne“ oder bei russischen Militärparaden hätte vielleicht einen Bogen vom Einst ins unmittelbare Jetzt erwirkt. Stattdessen arbeiten Veiel und Maischberger sich an einer Person ab, die krankhaft ehrgeizig war und einfach ein unangenehmer Mensch. Damit sollte dieser Teil des Themas abgeschlossen sein.