London. Nach neun Jahren geht Kylie Minogue wieder auf Welttournee. Im Gepäck: Das neue Album „Tension 2“ mit aufreizenden Rollenspielen.

15 Minuten. Mehr Zeit sei nicht drin. La Kylie sei schließlich sehr gefragt und nur unterwegs, heißt es vom Management. Doch beim Treffen in London, das mehrfach verschoben wird, ist die 56-Jährige so locker, dass es doch ein bisschen länger dauern darf. Für ihre gute Laune gibt es einen Grund: ein neues Album, eine Tournee und ein Karrierehoch, mit dem niemand mehr gerechnet hatte – am wenigsten sie selbst.

Frau Minogue, wie überraschend war der Erfolg Ihres letztjährigen Albums „Tension“ für Sie – und servieren Sie deshalb gleich noch mehr Songs in der Manier von „Padam Padam“?

Kylie Minogue: (lacht) Ja, ich „padame“ immer noch. Aber schauen Sie: Es war eine Riesenüberraschung. Klar, wenn man Musik macht, hat man immer die Absicht und die Hoffnung, etwas Besonderes an den Start zu bringen, das möglichst vielen Menschen gefällt. Aber in diesem Fall, also mit „Padam Padam“, war das absolut verrückt. Es war das erste Mal, dass ich einen viralen Hit hatte, der sich von ganz allein im Internet verbreitet hat.

Als jemand, der schon so lange im Geschäft ist: Wie gehen Sie mit dem ständigen Auf und Ab in Sachen Popularität um? Gehört es zu einer richtigen Karriere, dass man auch mal Durststrecken hat, ehe es plötzlich wieder läuft?

Es bewegt sich alles im Kreis. Und manchmal hat man etwas, das wirklich neu ist oder für entsprechendes öffentliches Interesse sorgt. Ich denke, so muss es bei den Beatles in den 60ern gewesen sein. Sie waren zwar auch von anderen Künstlern inspiriert, aber was sie daraus gemacht haben, war halt sehr innovativ. Das sind diese Erdbeben-Momente in der Pop-Musik, die immer wieder auftauchen. Und ich denke, ich habe gerade wieder so einen Moment, wie zuletzt mit „Can‘t Get You Out Of My Head“.

Inwiefern unterscheidet sich „Tension II“ von seinem Vorgänger – treibt es das Konzept des High-Tech-Dance-Pop auf die Spitze?

Ich hatte ursprünglich gar nicht vor, ein neues aufzunehmen. Es sollte nur eine Neuauflage von „Tension“ mit zwei oder drei Bonus-Stücken sein – wie das heute so üblich ist. Aber dann wurde mir klar, dass ich noch viel mehr gute, neue Stücke zur Verfügung habe. Ich schätze, das liegt daran, dass „Tension“ so ein Erfolg war und mir allein deshalb viele starke Songideen angeboten wurden. Jedenfalls hatte ich ein paar wirklich produktive Sessions mit hochmotivierten Produzenten. Sie wussten, auf welcher musikalischen Spielwiese ich mich bewege. Und dass es Zeit zum Spielen war, wie ich es formuliere. Aber: Ich wollte eigentlich keine Fortsetzung von „Tension“ – das ist einfach so passiert. Mein nächstes Album wird garantiert etwas anderes. Aber hier ging es darum: „Was können wir dem Material vom letzten Jahr hinzufügen? Was würde eine Ergänzung darstellen?“ Nur: Ich wusste nicht, dass es ein ganzer zweiter Teil werden oder er unter „Tension 2“ firmieren würde. Ich habe da viel kleiner gedacht. Doch letztlich ist es halt ein bisschen mehr geworden. Allein das ist eine tolle Sache.

In dem Stück „Midnight Ride“ versuchen Sie sich an derselben Melange aus Dance-Pop und Country wie zuletzt Beyoncé. Der Beweis, dass Sie das ebenfalls hinkriegen – wenn sie denn wollen?

Country-Musik ist eine große Sache und wird immer populär sein. Aber sie ist auch Teil der Pop-Musik – dieses Genre, das so viele Richtungen umfasst, in die man gehen kann. Ich habe mich ja schon vor ein paar Jahren daran versucht – auf einem Album namens „Disco“. Da war das noch nicht so hip, aber plötzlich ist es jetzt wahnsinnig angesagt. Das ist der Zeitgeist, der sich nicht kontrollieren lässt. Aber ich erinnere mich gerne daran, was für ein tolles Erlebnis es war, in Nashville mit all diesen tollen Musikern und Songwritern zu arbeiten. Ich habe „Golden“ sehr gemocht – und tue es immer noch.

Zu den Songwritern, mit denen Sie diesmal arbeiten, zählen queere Künstler wie Orville Peck, Sia und The Blessed Madonna. Ein Statement gegen Homophobie und rechte Diffamierung?

Das ist immer wichtig. Und ich denke, ich habe noch nie jemanden von meiner Musik ausgeschlossen, sondern alle und jeden mit offenen Armen begrüßt. Also, egal wer du bist, welchen Glauben du hast und welcher Überzeugung du bist: Ich will den Menschen ein gutes Gefühl geben. Aber: Ich mache das nicht, um mich da bei jemandem anzubiedern oder um auf einen Zug zu springen. Das war nie meine Absicht. Es ist vielmehr die Welt, in der ich lebe und in der ich eine Menge wunderbarer Menschen getroffen habe. Zu denen zählt auch Orville. Ich liebe seine Arbeit, was er erreicht hat und dass er ganz er selbst ist. Außerdem war es einfach mal ein etwas anderer Song.

Inhaltlich handeln die meisten Stücke von Liebe, Feiern und – in „Kiss Bang Bang“ und „Hello“ – ganz explizit von Sex. Was sagt das über Sie, wie viel von Ihnen steckt darin?

Na ja, da ist definitiv ein Augenzwinkern im Spiel – eben, weil es Zeit zum Spielen ist; zum Feiern, Spaß haben und dazu, verrückte Sachen zu machen. Würde man die Texte dagegen nur auf Papier sehen, könnte man sie ganz anders verstehen. Letztlich ist das nur Spaß – aber da spreche nicht ich persönlich.

Also ein Rollenspiel?

Genau so handhabe ich es schon mein ganzes Leben. Es ist Eskapismus und das Spiel mit Charakteren, die mir einfallen, wenn ich aufnehme oder singe. Dann habe ich immer ein Bild im Kopf – wie ein Video, selbst wenn es zu dem betreffenden Song noch gar keines gibt. Ich frage mich, wie ich einen Song bestmöglich inszenieren könnte und was ich dazu brauche. Bei „Kiss Bang Bang“ habe ich mir etwas Comic-artiges vorgestellt – als würde man eine ausgeschnittene, grafische Figur küssen und dabei jede Menge Lippenstift-Abrücke auf ihr hinterlassen. Das ist das Bild, das ich im Kopf hatte. Abgesehen davon nehme ich viel zu Hause und unterwegs auf – wo immer ich gerade bin. Insofern hat es wirklich etwas von: „Licht, Kamera, Action“. Und wenn es „Action“ heißt, sind all die Bedenken und Zweifel, die man hat, wie weggeblasen, man tut es einfach. Nach dem Motto: „Wir laufen, also los – fang an.“

Ist das Ihr Leben – sind Sie eine musikalische Schauspielerin?

In der Tat. Wobei ich mir schon wünsche, dass es öfter funktionieren würde, als es das tatsächlich tut. Aber bei Schauspielern ist es ja auch so, dass sie mehre Versuche benötigen, um einen Take hinzubekommen. Ich würde zum Beispiel gerne wissen, wie viele Anläufe Meryl Streep durchschnittlich dafür benötigt. Wie oft muss sie ihren Part wiederholen, damit er so ist, wie er sein sollte? Und wie oft macht sie etwas ganz anderes, ehe sich am Ende das Richtige ergibt? Manchmal muss ich mich auch selbst daran erinnern, dass das, was ich da tue, eigentlich eine spaßige Sache sein sollte – eben, wenn die Füße schmerzen, wenn man müde ist, friert oder schwitzt. Also die Realität bei all diesen Dingen. (kichert)

Da Sie in „Diamonds“ von heißen Clubnächten schwärmen: Wie oft ziehen Sie noch um die Häuser? Wie aktiv sind Sie da?

Ich gehe längst nicht mehr so viel aus, wie ich das mal getan habe. Aber ab und zu muss es schon mal sein, keine Frage. Und als ich das noch regelmäßig gemacht habe, war das eine tolle Zeit, die man nie vergisst. Die Erfahrungen, die ich damals, in den 90ern, gemacht habe, waren wichtig und haben mich sehr geprägt. Das war, bevor es Mobiltelefone und die sozialen Medien gab. Da empfand ich das als befreiend, auszugehen, mich selbst zu verlieren und all diese Dinge zu erleben, die in einem Club oder dieser Art von Umgebung passieren können. Nur: heute bewege ich mich da viel seltener als früher. Also singe ich zumindest gerne darüber. (kichert)

Gilt das auch für Männer? Da könnte man den Eindruck gewinnen, das wäre Ihre Achillesferse – das einzige, bei dem Sie kein Glück haben. Wie kommt’s?

Keine Ahnung – aber ich fühle mich nicht einsam. Natürlich wäre ich gerne in einer Beziehung. Aber momentan bin ich auch so sehr zufrieden. Und mehr möchte ich dazu eigentlich nicht sagen – es ist, was es ist. Vielleicht ändert sich das nächste Woche schon wieder. Nur: Ich suche nach nichts und niemandem. Und ich bin auch nicht einsam. Dafür passiert zu viel in meinem Leben.

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Im Februar gehen Sie auf Welttournee – Ihre erste seit neun Jahren. Warum die lange Pause? Haben Sie die Bühne nicht vermisst?

Ich bin in den letzten Jahren immer mal wieder aufgetreten – also hier und da. Aber dies ist meine erste richtige Tournee seit langem. Das ist etwas ganz anderes und ich bin schon wahnsinnig aufgeregt. Ich habe richtige Schmetterlinge im Bauch und bekomme gute Laune, wenn ich nur daran denke. Einfach, weil das so aufregend ist. Natürlich habe ich auch ein bisschen Angst davor, weil es heftig wird. Im Sinne von: Es sind eine Menge Orte, eine Menge Reisen und ich mache mir Gedanken, wie ich das gesundheitlich überstehe. Aber es überwiegt die Aufregung und die Vorfreude darauf. Eben wie die Setliste aussehen könnte und wie es wohl wird, meine Fans auf der ganzen Welt wiederzutreffen. Eine brillante Sache. Ich glaube nicht, dass ich je so aufgeregt war, wie diesmal. Und das ist toll.

Wissen Sie schon, wie weit sie dabei zurückgehen werden – also ob Sie auch Sachen aus den 80ern bringen, die ja derzeit wieder sehr angesagt sind?

(lacht) Lustigerweise habe ich über die Jahre unterschiedliche Versionen von „I Should Be So Lucky“ und „The Loco-Motion“ gebracht – in völlig verschiedenen Stilen. Und das nur, um mich von der Originalfassung zu lösen, die als nicht mehr cool oder nicht mehr zeitgemäß galt. Oder auch einfach nur, um es interessanter zu gestalten. Doch mittlerweile scheint es so, als wäre es wieder okay, die ursprüngliche Version von „The Loco-Motion“ zu bringen und als hätte dieser Song so etwas wie ein eigenes Leben entwickelt. Er klingt ganz anders als die meisten Stücke im Set. Und ich weiß noch genau, wie es war, als wir zum ersten Mal wieder die Ur-Version gebracht haben – nämlich wie ein doppelter Espresso. Ich fand es großartig, welche Energie er hat und ich lade das Publikum gerne dazu ein, mit mir zusammen in die 80er zu reisen. Denn ich weiß, dass die Leute das lieben und regelrecht ausflippen. Entweder kennen sie jedes einzelne Wort oder sie wussten gar nicht, dass sie es kennen und singen trotzdem mit. Außerdem bewegt es mich, dass mittlerweile ein völlig neues Publikum zu den Konzerten kommt – also die Gen Z oder einfach nur Kids. Ich habe diese umwerfende Reaktion von einer Familie bekommen, die bei meinem Auftritt im Londoner Hyde Park war. Da kannten die Kinder „Padam“, „Attention“ und „Can´t Get You Out Of My Head”. Aber sie meinten auch, sie würden diesen neuen Song lieben – „The Loco-Motion“. (lacht) Da dachte ich nur: „Wie irre ist das denn? Okay, ,The Loco-Motion‘ ist und bleibt im Set.“ Einerseits aus nostalgischen Gründen, aber auch weil die Kids es lieben. Insofern scheue ich mich nicht davor, zurückzuschauen. Mehr noch: Ich halte das für eine wunderbare Sache.

Hand auf Herz: Was ist Ihr persönlicher Lieblingssong aus den 80ern?

In den frühen 80ern stand ich total auf New Romantics und Disco – und dann auf Prince, Madonna und wie sie alle hießen: Whitney Houston, The Jacksons. Da war Pop ein echtes Wunderland. Aber ich denke, ich entscheide mich hier für einen Prince-Song – weil ich das immer tue. Für mich war er der Größte. Und der Song ist „I Would Die 4 You“ von „Purple Rain“. Einfach, weil er mich direkt zu dieser Phase meines Lebens zurückführt, in der ich mehrfach mit meinen Freundinnen ins Kino gerannt bin, um den Film zum Album zu sehen. Keine Ahnung, woher wir das Geld hatten, aber wir standen auf unseren Sitzen und haben uns die Seele aus dem Hals geschrien. Ich hatte eine Menge Idole, aber er war das prominenteste.