Essen. Die Australierin Kylie Minogue wehrt sich auf ihrem neuen Album auf ihre Weise gegen Altersdiskriminierung. Ohne Facelifting und junge Toy Boys.
Es ist ein offenes Geheimnis: Alternde Pop-Diven fallen meist durch schlimme Faceliftings, jugendliche Toy-Boys oder gesteigerte musikalische Orientierungslosigkeit auf. Ganz anders Kylie Minogue: Die 55-jährige Australierin ist eine Bank in Sachen Dance-Pop. Auf ihrem neuen Album „Tension“, das am Freitag erscheint, kultiviert sie den Sound der 80er – mit überraschend frivolen Texten.
Ms. Minogue, Sie machen das seit über 30 Jahren, haben 80 Millionen Alben verkauft, alles erreicht. Warum tun Sie sich den Stress noch an?
(lacht) Gute Frage! Ich würde sagen: wegen des Nervenkitzels und des kreativen Verlangens. Denn das liebe ich. Aber ganz ehrlich: Ich frage mich das auch manchmal. Einfach, weil ich schließlich irgendwann aufhören muss. Nur: Wenn ich darüber rede, verdreht mein Manager die Augen und sagt: „Du kannst doch gar nicht aufhören.“ Und das stimmt: Mir geht es darum, etwas zu kreieren und es mit den Fans zu teilen. Das ist die eigentliche Herausforderung.
Viele ihrer Kolleginnen – allen voran Madonna – beklagen sich über Altersdiskriminierung durch die Medien, die alles ab 40 oder 50 schlichtweg ignorieren. Haben Sie damit auch schon Erfahrungen gemacht bzw. trotzen sie dem erfolgreich?
Das ist nicht die Motivation hinter diesem Album. Aber: Ich bin hocherfreut, dass „Tension“ diese Theorie auf den Kopf stellt. Nicht, dass ich aktiv danach gestrebt hätte. Doch diese Einstellung, die wirklich diskriminierend ist, muss sich ändern – und das scheint sie zu tun, was gut ist.
Also leistet „Padam Padam“, ihre erfolgreichste Single seit Jahren, da Pionierarbeit – weil sie zeigt, dass man die Pop-Charts auch noch mit 55 stürmen kann?
(kichert) Ganz genau. Dieser Erfolg hat mich wirklich überrascht – genau wie die Tatsache, dass der Song auch vom sogenannten Jugendradio aufgegriffen wurde. Und wie erfrischend ist es, dass er da kritiklos hingenommen wird. Wobei ich ohnehin der Meinung bin, dass die Jugend längst nicht so engstirnig denkt. Aber ich muss auch zugeben, dass ich selbst mit 20 sehr wohl der Meinung war: „Gott, jeder über 40 ist einfach nur alt.“ Insofern verstehe ich, wo das herkommt und dass sie davon niemand ausnehmen kann. Nur: Heutzutage sind die Kids allein deshalb viel offener, weil sie mit so viel konfrontiert werden – und weil sie wissen, dass es nicht cool ist, voreingenommen zu sein.
Warum ein weiteres Dance-Pop-Album?
Mir fällt es immer schwer, das exakt zu analysieren. Die beste Antwort, die ich da geben, ist: Mein letztes Album „Disco“ habe ich während der Pandemie aufgenommen und war deshalb nicht in der Lage, damit zu touren. Insofern fühlt es sich für mich wie Schnee von gestern an. Ich wollte also mit etwas Frischem aufwarten. Und natürlich ist da ein bisschen Realitätsflucht und Hedonismus im Spiel. Ich wollte mich einfach mal gehen lassen und durchatmen – einatmen und ausatmen. Das spüre ich auf diesem Album ganz deutlich.
Das Album-Cover ziert ein großer Edelstein, warum heißt es dann nicht „Diamond“, also Diamant?
Weil „Tension“ interessanter ist. (lacht) Und es ist der Name eines Songs auf dem Album, der zudem sehr gewagt ist. Er handelt von sexuellen Spannungen. Nur: Der Grund, warum ich ihn auch als Albumtitel gewählt habe, ist einfach der, dass er herausstach. Ich hatte erst Bedenken, ob der Begriff vielleicht zu negativ belegt sein könnte, aber als ich ihn grafisch umgesetzt habe, klang er nicht nur gut, er sah auch gut aus. Und je länger ich mich damit befasst habe, desto mehr dachte ich: „Ich mag ihn.“ Was den Diamanten betrifft: Unter Druck erschaffen wir alle Edelsteine – sprich: besondere Momente. Das spielt da noch unterschwellig hinein.
Da Sie von gewagten Texten sprechen – wie kommt es, dass Sie sich in Stücken wie „10 Out Of 10“ oder „Green Light“ so eindeutig zweideutig geben – mit Zeilen wie „wanna kiss me where the sun don’t shine“? Brechen Sie mit Ihrem Sauberfrau-Image?
Um Gottes Willen – nein!
Das klingt aber sehr nach Single-Frau in ihren 50ern, die noch einmal richtig Spaß haben will.
(zögert) Ich würde sagen, es zeugt von Selbstbewusstsein und Erfahrung. Aber ich bin nicht diese Person, die es damit gerne übertreibt oder damit hausieren geht. Das ist nicht meine Art. Ich genieße es so, wie es ist – ohne, dass ich es erklären möchte. Es ist eher: Hier ist es, und es ist nichts, worüber diskutiert werden muss. Es klingt glaubwürdig, weil es glaubwürdig ist.
Zumal es im Vergleich zur heutigen Popmusik nichts Schockierendes mehr hat. Da wirken Ihre Ausführungen fast bieder.
Ja, das hier ist wie ein netter Eisbecher – im Vergleich zu dem meisten, was es da draußen so gibt. Aber ich für meinen Teil habe Spaß damit gehabt und sehe keinen Grund, mich für irgendetwas zu entschuldigen. Ich zwinge ja niemandem etwas auf.
Ist Ihnen bewusst, dass „Padam“ im Deutschen die Kurzform von „partielle Androgendefizit des älter werdenden Mannes“ ist? Der medizinische Fachbegriff für Erektionsstörungen?
(lacht sehr) Ich hatte ja keine Ahnung! Also können Männer „Padam Padam“ haben? Das ist unbezahlbar. Einfach großartig!
Anfang November startet Ihr sechsmonatiges Engagement in Venetian Hotel in Las Vegas – was zieht Sie in die Wüste?
Ich denke, es ist ein Initiationsritus für jeden Performer, sich an diesem historischen Ort des Showgeschäfts zu beweisen. Das ist das Verlockende an Las Vegas. Wobei meine Show gar nicht so groß ausfällt, wie man vielleicht denkt. Es geht eher um die Intimität des alten Vegas - das genaue Gegenteil von dem, was ich sonst mache. Wäre es etwas Bombastisches, müssten da jeden Abend mehrere Springbrunnen abgebaut werden. Aber dem ist nicht so – und ich finde es toll, mal eine gewisse Kontinuität zu haben. Außerdem freue ich mich auf das Erlebnis an sich. Ich habe das Gefühl, es könnte eine tolle Zeit werden.
Und: Gehen Sie danach – ab Mai 2024 – wieder auf Welttournee?
Vielleicht. Ich hätte nichts dagegen. Aber ich habe da noch nichts festgemacht.
Was würden Sie sagen: Wo sind Sie heute in Ihrem Leben?
Ich habe das Gefühl, dass ich auf einer Welle reite, die großen Spaß macht. Und das ist eine gute Analogie, weil da auch eine Menge Rumpaddeln im Spiel ist. (lacht) Ich bin zwar kein Surfer, habe aber trotzdem immer Wellen im Blick, die Fragen auslösen wie: „Wird es mir diesmal gelingen? Werde ich sie erwischen? Ist sie noch groß genug, wenn sie hier bei mir ankommt?“ Doch aktuell – mit „Padam Padam“ und „Tension“ – habe ich auch das Gefühl, dass ich ganz ich selbst bin. Mehr als ich es über die Jahre war. „Golden“ war zum Beispiel eine musikalische Suche, „Disco“ wurde durch die Pandemie gestört und die bisherige Reaktion zu „Tension fühlt sich authentisch an. Das genieße ich. Und den neuerlichen Erfolg. Ich bin mir bewusst, dass das ein Moment ist – einer, den man genießen muss.