Mülheim. Kinder zu erziehen ist ein 24/7-Job. Frauen verlieren oft sich darin. Der Roman „Ava liebt noch“ zeigt, wie man wieder in Kontakt zu sich tritt.
Die Mutterrolle: Für viele Frauen wird sie zum lebensbeherrschenden Thema, bei manchen zum Zentrum ihrer Identität. Doch was passiert, wenn die Frau aufhört, in erster Linie Frau zu sein und nur noch Mutter ist? Und kann man damit leben. Mit dieser Frage hat sich Vera Zischke, die auch als Redakteurin bei dieser Zeitung arbeitet, auseinandergesetzt – und einen Roman daraus gemacht. In „Ava liebt noch“ beschreibt sie eine Frau, die eines Tages zur Erkenntnis kommt: „Ich bin gerade mal 43 Jahre alt, zwölf davon war ich eingefroren. Ich will auf keinen Fall als die Frau alt werden, die ich gerade bin.“ Georg Howahl sprach mit Vera Zischke darüber, wie Frauen sich trotz der Mutterrolle wiederfinden können. Und welche gesellschaftlichen Zwänge es gibt, die dem entgegen stehen.
Frauen verlieren durch die Kindererziehung oft einen Teil ihrer vorherigen Persönlichkeit und ihrer Entfaltungsmöglichkeiten. Sie haben dieses Thema in einen Roman gepackt. Hätte man dazu nicht sogar ein Sachbuch zu schreiben können?
Zischke: Das habe ich mich auch selbst gefragt, es wäre sinnvoll ja gewesen, um meine persönliche Situation zu verarbeiten oder als Journalistin den Servicecharakter in den Vordergrund zu stellen. Aber als ich das Buch geschrieben habe, waren meine Kinder noch kleiner und ich habe mich selbst gern mit Romanen weg geträumt aus meinen eigenen vier Wänden. Was mir letzten Endes aber gefehlt hat, ist eine Romanheldin, mit der ich mich identifizieren kann.
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Und die haben Sie gefunden?
Ich habe eine große Liebesgeschichte gelesen, „Normal People“ von Sally Rooney. Das hat mich so begeistert, dass ich sie zweimal hintereinander gelesen habe. Die Heldin ist Anfang 20. Und dann habe ich gedacht: Ach, wie schön wäre es, solch eine bittersüße, große Liebesgeschichte zu haben mit einer Frau aus meiner Welt.
Und in diese Figur der Ava konnten Sie hineinlegen, was in anderer Form nicht so leicht auszusprechen gewesen wäre?
Dieses Buch ist meine Antwort auf den Satz: „Das hast du dir doch ausgesucht!“ Vieles sucht man sich eben nicht aus. Etwa die veränderte gesellschaftliche Stellung, die man als Mutter hat und die veränderten Chancen im Berufsleben. Man wird Mutter und muss in dieser völlig neuen Rolle ankommen. Das ist etwas, bei dem immer alle glauben, das passiert von jetzt auf gleich. Bei mir war das aber ein jahrelanger Prozess. Und dann muss man sich erst mal neu orientieren in der Welt. Und für ganz viele Frauen beginnt dann ja auch beruflich ein zweites Leben.
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Ist die totale Fokussierung auf die Kindererziehung auch eine Falle, in die sehr viele Frauen tappen?
Ich habe mich gefragt, ob das vermeidbar ist. Ich finde, das hat zwei Komponenten. Die eine Komponente ist, dass auf einmal so unheimlich viele Aufgaben auf dich einprasseln. Ich selbst habe drei Kinder in drei verschiedenen Einrichtungen. Es ist schon ein Job, das alles zu koordinieren, die Termine im Blick zu haben, die Gespräche mit Lehrern. Das frisst ja so viel Zeit. Und gerade wenn die Kinder klein sind, hat man ja auch noch das Bedürfnis, sich vieles anzulesen, zu lernen und zu verstehen, was es eigentlich bedeutet, Kinder durchs Leben zu begleiten.
Also eine Situation, in der man schnell überlastet werden kann?
Das ist ein ganz gefährlicher Moment. Wenn man dann nämlich in einer klassischen Rollenverteilung ist, dann ist es oft so, dass die Frauen diese unsichtbare Familienorganisation, diese Mental Load komplett übernehmen. Und dass man dann schnell in einer Partnerschaft lebt, in der der eine nach Hause kommt und ein Feierabendgefühl hat und der andere nicht. Weil er noch abends um zehn in irgendwelchen Eltern-WhatsApp-Gruppen etwas abklären muss.
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Also eine Situation, in der man schnell überlastet werden kann?
Das ist ein ganz gefährlicher Moment. Wenn man dann nämlich in einer klassischen Rollenverteilung ist, dann ist es oft so, dass die Frauen diese unsichtbare Familienorganisation, diese Mental Load komplett übernehmen. Und dass man dann schnell in einer Partnerschaft lebt, in der der eine nach Hause kommt und ein Feierabendgefühl hat und der andere nicht. Weil er noch abends um zehn in irgendwelchen WhatsApp-Gruppen etwas abklären muss.
Müssen Frauen also einfordern, dass der Mann große Teile dieser Arbeit übernimmt?
Das Hauptproblem bei der Mental-Load-Geschichte ist, dass diese Arbeit tatsächlich unsichtbar ist. Frauen investieren pro Tag durchschnittlich 52 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit. Diese Zeit fehlt natürlich für andere Dinge. Zum Beispiel dazu, sich selbst irgendwie weiterzuentwickeln. Warum ist es eigentlich so schwer, das in Worte zu fassen? Warum ist es so schwer, das gerecht zu verteilen? Das ist ein großer Dreh- und Angelpunkt in meinem Buch. In unserem Land, so scheint es, ist es immer noch der einfachste Weg, in die klassische Rollenverteilung reinzurutschen. Nach der Geburt des ersten Kindes kehren nur 20 Prozent aller Frauen zum alten Arbeitgeber zurück. Aber bei 85 Prozent aller Männer geht der Lebenslauf einfach so weiter.
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Für Männer bedeutet das Kind also oft keinen so harten Einschnitt?
Ein Kind ist in der Regel eine starke Zäsur in der Biografie einer Frau. Bei Männern sieht man im Lebenslauf nicht zwingend, ob sie Kinder haben oder nicht. Das müssen wir uns einfach mehr angucken. Was wir brauchen, sind Vorbilder, die uns zeigen, wie Familienarbeit wirklich gerecht verteilt werden kann. Ich wüsste gerne, wie es in anderen Familien läuft. Ich kenne auch Paare, wo es komplett umgedreht ist, wo der Mann einfach in dieser Rolle ist, die mentale Last alleine tragen zu müssen. Da ist es dann einfach nur umgekehrt. Aber eine gerechte Verteilung und auch gleiche Chancen, dazu fallen mir eigentlich nur zwei Familien ein.
Gab es Parallelen zwischen der Ava im Buch und der Vera im richtigen Leben?
Ich habe drei Kinder in fünf Jahren bekommen. Natürlich gab es eine Phase in meinem Leben, wo ich ganz in der Mutterrolle aufgegangen bin. Da ist es mir wirklich extrem schwer gefallen, mich daran zu erinnern, wer ich eigentlich bin. Diese Phase, wo ich dachte: „Ich verschwinde jetzt.“
Was haben Sie dagegen getan?
Wir machen so eine Art ständige Familienkonferenz. Wir sind einfach permanent miteinander im Gespräch, hantieren natürlich auch mit dem üblichen Google-Kalender und so weiter. Es ist schon ein kleines Familienunternehmen.
Im Roman wählt die Heldin einen radikalen Weg, um auszubrechen: Sie fängt eine Affäre mit dem viel jüngeren Kieran an. Das scheint eine relativ radikale „Lösung“ der Probleme zu sein…
Was ich da schreiben wollte, ist keine Anleitung zum Ehebruch. Ich wollte anhand von Ava, die ja wirklich eine gute Mutter sein will und alles richtig machen will, zeigen, wie schwer es ist, sich von diesem Mutterideal zu lösen.
Dieser Aspekt des Romans ist also reines Gedankenspiel?
Na klar, die Affäre von Ava mit Kieran als Mittel, sich selbst zu wiederzufinden, ist rein fiktiv. Ich selbst habe eine andere Lösung gefunden. Dieser Roman war sozusagen mein Kieran.
Vera Zischke: Ava liebt noch. Ullstein, 304 Seiten, 21,99 €. Vera Zischke geht auf Lesereise: 17.9. September bei Hilberath und Lange in Mülheim, 21.9. in der Elternschule Galla & Knaup in Essen-Werden, 1.10. im Rathaussaal in Essen-Kettwig, 4.11. Doppellesung mit Wiana Wiesmann in der Stadtteilbücherei Essen-Werden