Düsseldorf. Wie käuflich ist eine Stadt, die pleite ist? Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ ist hochaktuell. Wir sahen die Premiere in Düsseldorf.
Eine Milliarde für ein Menschenleben? Das unmoralischste Angebot der Literaturgeschichte verhandelt Friedrich Dürrenmatt in seiner Schauerkomödie „Der Besuch der alten Dame“. Am Düsseldorfer Schauspielhaus macht Regisseurin Laura Linnenbaum den Versuch, dem Denkmal die Ehre zu erweisen, ohne im ungelenken Kniefall zu versinken.
Ihre sorgfältig gearbeitete Aufführung läuft zwar in konventionellen Bahnen, besitzt aber einige Schauwerte und legt großen Wert auf den Wohlklang von Dürrenmatts Sprache. Das umfangreiche Personal wird kräftig reduziert, umso feiner spielen die Übriggebliebenen alle Facetten ihrer recht holzschnittartig angelegten Figuren: vom Pfarrer (Thomas Wittmann), der nur eine Unterhose unter dem Talar trägt, bis zum Bürgermeister (Rainer Philippi), der sich in seinen umständlichen Ansprachen ganz herrlich verhaspelt.
Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ in Düsseldorf: Schauwert trifft Schrecken
Charmant zieht Linnenbaum ihre Dorfdeppen durch den Kakao, die ihre Kleinstadthymne so inbrünstig singen, als wäre sie von Sinatra komponiert worden: „Kommen Sie rein und fühlen Sie sich wohl!“ Dumm nur, dass am Güllener Bahnsteig kaum ein Zug mehr hält. Nur „der Einuhrdreizehn von Kalberstadt“ macht hier noch halt.
Das ändert sich, als die steinreiche Claire Zachanassian in der Tür steht und der verarmten Gemeinde ein Vermögen für den Kopf ihres Ex-Geliebten, des unscheinbaren Krämers Alfred Ill, bietet. Das kleine Güllen wird zu einem Abgrund an Würdelosigkeit. Claires Ankunft, mit viel Theaterzauber in Szene gesetzt, hat etwas von einer überirdischen Erscheinung: Wenn sie in feuerrotem Kleid und mit wallendem Haar auf der Bühne auftaucht, erinnert das an Botticellis „Geburt der Venus“. Rosa Enskat verleiht Claire den berechnenden Charme eines männerfressenden Vamps.
Verblüffende Bühneneffekte am Düsseldorfer Schauspielhaus
Die tragische Geschichte, die hinter ihrem plötzlichem Verschwinden vor mehr als 35 Jahren steckt, fällt bei Linnenbaum recht leichtfertig unter den Tisch. Dafür bedient sich die Regisseurin einer wirkungsvollen Optik: Auf zwei Drehbühnen, clever ausgedacht von Daniel Roskamp, gerät die Kleinstadttristesse ins Wanken. Die beiden runden Platten liegen übereinander und sind teils in gegensätzlichen Richtungen unterwegs, was den verblüffenden Effekt hat, dass sich die obere Ebene wie von Geisterhand nach vorne schiebt. Dazu Nebelwände und glitzernder Konfettiregen: Die Düsseldorfer Theatermaschinerie läuft hochtourig. Ebenso wie Heiko Raulin, der als gehetzter Ill so lange im Kreis läuft, bis er schwitzend und zitternd zu Boden sinkt. Ihm fehlt schlicht die Kraft, sich dem Offensichtlichen entgegenzustemmen. Großer Jubel!