Dortmund. Der 78-Jährige hat mit der Buchhandlung Taranta Babu in Dortmund einen Ort des kulturellen Austauschs gegründet. Jetzt wird er dafür geehrt.

So viele haben gratuliert. Kolleginnen und Kollegen, Nachbarn, Bekannte und Weggefährten von befreundeten alternativen Buchgeschäften, von denen es heute in Deutschland nicht mehr viele gibt. Als Hasan Şahin angefangen hat, Ende der 70er, schossen sie wie Pilze aus dem Boden: urige, politisch gut bestückte Läden mit angeschlossenen Literaturcafés und Kulturvereinen im Hintergrund, in denen man sich ein neues gesellschaftliches Miteinander auf die Fahnen geschrieben hatte; Bildung trifft linke Haltung und Lebensart.

Heute stehen Şahin und sein Kulturhaus Taranta Babu so ziemlich allein auf weiter Flur – und so freut sich an der Humboldtstraße in Dortmund auch einer der letzten Idealisten seiner Art: Am 12. September erhält der 78-Jährige für seine Verdienste auf dem Gebiet der Literaturförderung in Nordrhein-Westfalen den Literaturtaler des Literaturrats NRW. Sahin ist ein zurückhaltender, bescheidener Mensch. „Damit“, wundert er sich immer noch, „habe ich nicht gerechnet.“

Hasan Şahin wird für seinen unermüdlichen Einsatz geehrt

Geehrt wird er „für seinen langjährigen, unermüdlichen und außerordentlich erfolgreichen Einsatz in der Vermittlung von interkultureller Literatur im Ruhrgebiet“, lautet die Begründung. Es werde Zeit, dass der Dortmunder die Auszeichnung bekomme, sagt Jörg Albrecht, Vorsitzender des Literaturrats NRW. „Der Literaturtaler an Hasan Şahin ist ein kleiner Dank für diese große Arbeit im Sinne der Literatur, des Lesens und der Bücher in einer sich wandelnden Gesellschaft.“

Und die liegt Şahin immer noch am Herzen, wobei er dem aktuellen Wandel entsprechend skeptisch gegenübersteht: Der Rechtsruck in Europa spiegelt sich im Veranstaltungsprogramm des Taranta Babu wider wie es überhaupt alle gesellschaftlichen Entwicklungen tun, zuletzt ging es unter dem Titel „Siebter Oktober Dreiundzwanzig. Antizionismus und Identitätspolitik“ um den folgenschweren Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel.

Es ist ruhig an diesem Vormittag: Kaum ein Mensch ist im Café, nur wenige schauen hinein in die gute Bücherstube mit dem kleinen Innenhof. Şahin, grauer Bart, Brille, lässiges T-Shirt, selbstgedrehte Zigaretten, steht an der Tür. Er hat Zeit, wie er überhaupt immer ansprechbar ist. Von zehn bis 24 Uhr, wie er sagt.

Hasan Şahin: Von Istanbul über Marseille bis nach Dortmund

Şahin stammt aus Istanbul, auf der größten Prinzeninsel, Büyükada, ist er 1946 geboren. Geprägt hat ihn sein Literaturlehrer, erinnert er sich. Er legte den Grundstein für seine Liebe zu Büchern, er gab ihm den türkischen Lyriker Nâzım Hikmet zu lesen. Der ruhige Mann gerät ins Grübeln, dann zitiert er ein Gedicht: „Leben wie ein Baum, einzeln und frei, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.“ Für ihn wurde es zum Credo. „Im Grunde bin ich immer noch auf der Suche nach diesem Wald.“

Studiert hat er Fotografie, in Istanbul. Schon in jungen Jahren schloss er sich den Kommunisten an. Es kam zum Konflikt mit der Regierung – Şahin verließ die Türkei, darüber mag er nicht gern sprechen. Er ging nach Marseille, wo er sich in der alternativen Szene tummelte. Und er lernte eine nette Dortmunderin kennen und folgte ihr 1974 in ihre Heimat. Şahin fand einen guten Job als Fotolaborant in einer Druckerei. Seinem gesellschaftlichen Engagement blieb er treu. Zusammen mit Freunden aus Italien, Griechenland und Chile gründete er den ersten deutschen „Ausländerverein“.  1979 rief er dann in einem leeren Ladenlokal das Buchgeschäft Taranta Babu ins Leben, mit alternativen Verlagen wurde ein Sortiment aufgebaut. 1983 eröffnete das Café, 1985 entstand der Dach-„Verein zur interkulturellen Medienkompetenz“. Seit 2008 gibt es auch einen Veranstaltungssaal.

Im Taranta Babu in Dortmund wird das kulturelle Miteinander gelebt

Heute zählen unter anderem Attac, das Bündnis gegen rechts und der Rosa-Luxemburg-Club zu Şahins Mitstreitern, außerdem nutzen die Schreibwerkstatt und Lesekreise die Räume. Regelmäßig finden Lesungen, Vorträge und Konzerte statt. „Die Welt ist eine andere geworden“, sagt Şahin: „Es gilt, kulturpolitische Themen weiterzuentwickeln. Das ist der Kern unserer Arbeit.“ Wobei sich einiges dann doch nicht verändert hat. Immer noch spielen die Themen Arbeitslosigkeit, soziale Gerechtigkeit, Migration und Integration eine große Rolle.

Im Taranta Babu wird das kulturelle Miteinander gelebt. Eine heile Welt, vielleicht ein Mini-Wald im Sinne Nâzım Hikmets. Zehn, zwölf Sprachen werden mitunter in den Räumen gesprochen, schildert Hasan Şahin. Kürzlich war eine Gruppe Erasmus-Studenten aus Tokio da, auch Gäste aus Neuseeland hat er schon empfangen. „Der Ort hat Wurzeln geschlagen“, freut er sich. Und das macht ihn dann doch ein bisschen stolz.

Der Literaturtaler NRW wird Hasan Şahin am 12. September , 19.30 Uhr, im Taranta Babu, Humboldtstraße 44, 44137 Dortmund, übergeben. Die Laudatio hält Ayşe Kalmaz, es gibt Musik von Kemal Dinç. Der Eintritt ist frei.

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