Essen. Wenn das Unheimliche immer näher kommt: Der Regisseur Tilman Singer hat mit „Cuckoo“ einen raffinierten deutschen Horror-Film gedreht.

Das kann doch jetzt nicht wahr sein! Gretchen, 17 und traumatisiert von einem Unfall, bei dem ihre Mutter starb und sie selbst schwer verletzt wurde, ist wenig entzückt. Denn ihr Vater hat gerade den Umzug nach Deutschland angekündigt, wo er mit seiner neuen Frau und Gretchens stummer Halbschwester Alma ein modernes Ferienhaus in den bayerischen Alpen beziehen wird. Chef der Wohnanlage ist ein gewisser Herr König, der Gretchen einen Job als Rezeptionistin in seinem Hotel anbietet, ihr aber auch einschärft, nicht allein nach Sonnenuntergang unterwegs zu sein.

Gretchen freundet sich mit einer amerikanischen Touristin an. Und dann sieht sie erstmalig eine unheimliche Frau mit Kapuze. Und was hat es mit den bizarren Geräuschen auf sich, die unvermittelt zu hören sind, und wieso scheinen sich dann die letzten Minuten ständig zu wiederholen? Und wieso geht von Herrn König (Dan Stevens in kontrolliert überdrehter Performance zwischen vertrauenerweckend und psychokillerisch) ein immer fieserer Einfluss aus?

„Cuckoo“ ist ein raffinierter Kinofilm über Angst

Abendländische Furcht von Wald und Bergen, Teenagerangst am Ende der Pubertät, brutalistisch unorganische Architektur inmitten natürlichem Idyll und alles durchdrungen von einem Gefühl chronischer Verunsicherung – Tilman Singer zeigt sich nach seinem phantastischen Thriller „Luz“ sichtbar gereift als Regisseur des Unheimlichen, wenn fiese Geräusche, subtiler Schrecken, aufblühende Sexualität und schließlich offener Horror auf einer ebenso aufmüpfige wie durch eine Verletzung gehandicapte Hunter Schafer niederprasseln. „Ja, das ist ein Film über Angst“, sagt der 1988 in Leipzig geborene Filmemacher, der seine Ausbildung an der Kölner Kunsthochschule für Medien bestritt und heute in NRW lebt.

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Singer inszeniert mit Blick auf große Vorbilder, ohne sich dabei Stanley Kubrick („Shining“) oder Jacques Tourneur („Katzenmenschen“), Ari Aster („Midsommar“), Dario Argento („Inferno“) oder Tomas Alfredson („So finster die Nacht“) allzu offenbar anzudienen. Singers Credo liegt darin, das Genrekino in seinen etablierten Regeln und Mustern geschickt zu variieren. Ironische Brechung ist seine Sache nicht und bekräftigt das deutlich: „Ich hasse das so sehr, wenn man sagt, nehmt es nicht ernst, ich nehme es auch nicht ernst. Weil dann nimmt niemand mehr irgendwas ernst.“

„Cuckoo“ im Kino: Tilman Singer gelingen wunderbar beunruhigende Momente

Unter dieser Maßgabe gelingen Singer wunderbar beunruhigende Momente mit einer nächtlichen Fahrt auf dem Fahrrad und einer in immer knappere Räume führenden Verfolgung in einem Krankenhaus. Sein Drehbuch kann da nicht ganz mithalten. Je klarer sich der Schrecken manifestiert, desto mehr verliert die Erzählung an Dichte. Es ist die gestalterische Klasse, das visuelle Verdichten der emotionalen Amplituden, was hier zählt. Und überhaupt, es ist ja erst Singers zweiter Film.