Essen. „Tu was!“ Der CDU-Politiker hat eine Anleitung zur Demokratieverteidigung geschrieben. Die scheint nötiger denn je, zumal in den USA.

Wir sollen uns in „sozialen“ Netzwerken wie X, Instagram, TikTok und Facebook einmischen, sollen dort demokratische, vernünftige, differenzierte Meinungen und Beiträge liken, sollen auf alles verlinken, was die Demokratie stärkt, was mit interessanten, relevanten Inhalten über die gesellschaftliche Realität aufklärt. Wir sollen Leserbriefe schreiben und nicht nur wählen, sondern auch demonstrieren gehen. Wir sollen uns in der Nachbarschaft und der Gemeinde engagieren, Schöffen bei Gericht werden und bei Greenpeace, im Weißen Ring oder bei Amnesty International eintreten und sogar – in politische Parteien.

Hape Kerkeling hat gesagt: „Ich mache meinen Mund jetzt auf, koste es, was es wolle“

Das sagt Ruprecht Polenz in Marxloh.
Der frühere CDU-Generalsekretär und aktuelle Politik-Influencer Ruprecht Polenz ruft in klaren, knappen Sätzeen zur Verteidigung der Demokratie auf. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Wir sollen uns einmischen, wie Hape Kerkeling das jüngst der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte: „Ich möchte mir nicht eines Tages vorwerfen lassen, dass ich mitverantwortlich dafür gewesen bin, wenn alle die Klappe gehalten haben. Ich mache meinen Mund jetzt auf, koste es, was es wolle. Und dabei bleibt‘s auch.“ Ruprecht Polenz zitiert den ernst gewordenen Komiker, um seine Forderungen an uns zu unterstreichen, die er in seiner „Kurzen Anleitung zur Verteidigung der Demokratie“ unter dem Titel „Tu was!“ erhebt.

60 bis 70 Prozent Übereinstimmung mit einer Partei reichen, schreibt Ruprecht Polenz

Darin wirbt der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Polenz nicht dafür, in seine Partei einzutreten – sondern in eine, deren Grundsätze und generelle Ziele man teilt: „Ansonsten reicht es, mit 60 bis 70 Prozent dessen einverstanden zu sein, was eine Partei so macht.“

In solchen klaren, knappen Sätzen erklärt Ruprecht Polenz, warum er das Aushandlungs- und Kompromissfindungssystem der parlamentarischen Demokratie für zukunftstauglicher hält als jede autoritäre Herrschaft. Demokratien seinen etwa mit der Corona-Pandemie weitaus besser fertig geworden als etwa die chinesische Parteidiktatur, die ganze Millionenstädte überflüssiger Weise wochenlang abgeriegelt und schwerste wirtschaftliche Schäden damit angerichtet habe.

Annika Brockschmidt beshreibt in ihrem Buch „Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen“ die zunehmende Radikalisierung der Grand Old Party“ seit den 1940er-Jahren.
Annika Brockschmidt beshreibt in ihrem Buch „Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen“ die zunehmende Radikalisierung der Grand Old Party“ seit den 1940er-Jahren. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Demokratien, so Polenz, seien lernfähiger. Und er plädiert mit dem einstigen US-republikanischen Politiker John McCain dafür, die kleinen Fortschritte der Politik wertzuschätzen. Anstatt die eine große Lösung zu erwarten. Selbst auf offensichtlich drängenden Problemfeldern wie der Klimakrise oder der Migration.

Ruprecht Polenz: Über drei Millionen haben demonstriert, aber das reicht nicht

Lange Zeit funktionierte die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik ebenso frag- wie geräuschlos, ihr unbestreitbarer Erfolg schien ihr recht zu geben. Sie wurde selbstverständlich. Mit dem stetigen Erstarken der AfD, erst recht seit dem Bekanntwerden des rechtsextremen Deportations-Treffens in Potsdam durch das Recherchenetzwerk Correctiv, hat sich das geändert. Dass über drei Millionen Menschen in ganz Deutschland gegen die rassistischen Pläne für eine „Remigration“ und für die Demokratie demonstriert haben, deutet auf eine ganz andere „schweigende Mehrheit“ als die, die ständig von der AfD in Anspruch genommen wird. Weil sie in den „sozialen“ Netzwerken so viel Reichweite hat wie alle anderen Parteien zusammen, kann sie dort leicht diesen Eindruck erwecken.

Die Bücher, die Debatte

Ruprecht Polenz: Tu was! Kurze Anleitung zur Verteidigung der Demokratie. C.H. Beck, 108 S., 12 €.

Annika Brockschmidt: Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen. Rowohlt, 366 S., 24 €.

Beide Autoren sprechen am Dienstag, 25. Juni, in der nächsten „Lesart“-Aufzeichnung des Deutschlandfunks Kultur im Essener Grillo-Theater über ihre Bücher – mit Moderator Christian Rabhansl und WAZ-Chefreporter Kultur Jens Dirksen. Beginn: 20 Uhr, Eintritt: 8 €.

Wie wenig selbstverständlich es ist, in einer Demokratie zu leben, zeigt der „Democracy Index“ der Wochenzeitung The Economist, der unter 195 Staaten der Erde nur 21 Demokratien ausweist. Unter denen ist selbst eine der ältesten wie die der USA akut gefährdet, wie es die Journalistin Annika Brockschmidt in ihrem Buch „Die Brandstifter“ über die seit den 40er-Jahren fortschreitende Radikalisierung der Republikaner in den USA schildert.

Annika Brockschmidt: Die Republikaner radikalisieren sich nicht erst seit Donald Trump

Die „Grand Old Party“ kennt nicht erst seit Donald Trump antidemokratische Strömungen. Die bewusste Mobilisierung von rassistischen Vorurteilen begann mit dem Kampf der Konservativen gegen die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung, gegen die Gleichberechtigung der Schwarzen. Begann mit dem Wahlerfolg von Richard Nixon 1969.

Annika Brockschmidt zeigt, wie das alte Partei-Establishment der Republikaner seither immer weiter an Einfluss verloren hat, zugunsten von religiösen Fundamentalisten und Extremisten, die offen eine Vorherrschaft der Weißen anstreben. Die das politische System der USA vom Wahlrecht über die Justiz bis hin zum Regierungsapparat mit allen Mitteln dominieren wollen und eine autoritäre Präsidialmacht anstreben, in der das alte System der „checks and balances“ ausgehebelt ist. Jede weitere republikanische Präsidentschaft, egal ob mit Trump oder einem anderen, sei ein weiterer Schritt dahin.