Essen. Die Arte-Dokumentation „Der Feind im Inneren“ beleuchtet, warum US-Veteranen die Demokratie bekämpfen wollen.
Der Schock sitzt tief, wie einfach und gewaltsam ein aufgewiegelter Mob am 6. Januar 2021 das Kapitol erstürmten konnte. Fünf Menschen starben dabei, Hunderte wurden verletzt. Vier Polizeibeamte begingen in den folgenden Monaten Suizid – traumatisiert von dem Angriff auf das Symbol der Demokratie. Dass dabei ehemalige US-Soldaten den Anschlag anführten, mag den „guten Job“ erklären, zu dem Ex-Präsident Donald Trump per Twitter gratulierte: Taktisch gut ausgebildet, nutzten sie jeden Bruch der Verteidigungslinie, um die aufgebrachte Menge zu dirigieren, wie in einem Krieg.
Zum dritten Jahrestag der Kapitol-Erstürmung zeigt Arte nun die Dokumentation „Der Feind im Inneren – US-Veteranen gegen die Demokratie“(Dienstag, 2. Januar, 22.10 Uhr), die versucht, die komplexen Hintergründe auszuleuchten. Selbst früher bei der US-Army, erhielt Filmemacher Charlie Sadoff Zugang zu ehemaligen US-Militärs. Und also auch zu der gewalttätigen rechtsextremistischen Szene, zu der staatsfeindliche Milizen wie die Proud Boys, die Three Percenters und die Oath Keepers gehören. Diese Gruppen – angeführt von hoch motivierten Militärveteranen – stellen heute die größte Bedrohung für die Demokratie in den USA dar, so das Fazit.
Nicht nur Donald Trump forderte die Proud Boys auf, sich bereitzuhalten
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie es überhaupt sein kann, dass die gleichen Männer, die einen Eid leisteten, die Verfassung ihres Landes vor Feinden zu schützen, bereit waren, sie anzugreifen. Psychologisch lässt sich das erklären: Desillusioniert und traumatisiert von den mörderischen Erlebnissen während ihrer Einsätze in Afghanistan oder Irak, finden sich viele Soldaten im zivilen Alltagsleben nicht zurecht. Gewohnte Strukturen suchen sie deshalb bei anderen „Patrioten“, die sie via Internet finden und die sie in ihrer Sorge bestärken, dass echte Amerikaner – also weiße Männer – an Einfluss verlieren und von Schwarzen, Juden und Latinos manipuliert werden.
Anders aber als beim Ku-Klux-Klan, der schon vor 100 Jahren begann, schwarze Wähler mit Mord zu bedrohen und von den Wahlurnen fernzuhalten, erhalten die neuen Rechten auch politisches Backup, ob bewusst oder nicht: Nicht nur Donald Trump forderte die Proud Boys auf, sich bereitzuhalten. Unmittelbar vor dem Sturm aufs Kapitol stellten drinnen Zweidrittel der Republikanischen Kongress-Abgeordneten das Wahlergebnis infrage.
Fehlt der politische Wille, ein Gesetz gegen „Inlands-Terrorismus“ zu verabschieden?
Das Problem ist nicht nur die wachsende Zahl an Untergruppierungen, die sich durch die Sozialen Medien leicht vernetzen, um demokratische Spielregeln auszuhebeln. Es fehle auch der politische Wille, ein Gesetz gegen „Inlands-Terrorismus“ zu verabschieden, um die rassistischen Netzwerke zu zerschlagen. Stattdessen werden nach rechtsextremistischen Anschlägen – wie beispielsweise dem Autobomben-Attentat in Oklahoma – immer wieder nur Einzeltäter verurteilt, und wenn überhaupt, dann wegen Hassrede.
Ohnehin rechnen die meisten Interviewpartner für das US-Wahljahr 2024 mit dem Schlimmsten. Selbst die Möglichkeit eines Bürgerkriegs, von dem viele Rassisten im Netz schwadronieren, schließen einige nicht aus. „Wer glaubt, der 6. Januar 2021 war schon der Höhepunkt, ist entweder ignorant oder Teil des Problems“, bringt es Michael Washington, selbst US-Veteran, auf den Punkt.
Wertung: 5 von 5 Sternen