Oberhausen. Bald steht Midge Ure bei „Rock Meets Classic“ in Oberhausen auf der Bühne. Eine Ultravox-Reunion erscheint nach dem Tod des Bassisten unmöglich.
Zu Beginn der 80er-Jahre waren Ultravox wahre Hitlieferanten: „Hymn“, „Vienna“ oder „Dancing With Tears In My Eyes“ gehen mit auf das Konto von Sänger und Gitarrist James, besser bekannt als Midge Ure. Als Teil von Ultravox und auch Visage („Fade To Grey“) schrieb der Schotte Synthpop-Geschichte. Nun musste Ure den Tod von Bassist Chris Allen (bekannt als Chris Cross) verkraften, den er in seinem Abschiedspost auf Instagram als „geliebten und vermissten alten Freund“ bezeichnet. Die Todesursache ist zunächst unklar. Viel Zeit zum Trauern bleibt Ure nicht: Im April ist der 70-Jährige zum dritten Mal Teil der Show „Rock Meets Classic“, bei der bekannte Rocksongs aus sechs Jahrzehnten von einer Band und einem Orchester neu interpretiert werden. Über seine Erinnerungen an die vergangenen beiden Male und die Vorfreude auf ein Kennenlernen mit den weiteren Stars der Show sprach er mit Patrick Friedland.
Sie waren bereits 2014 und 2016 Teil von „Rock Meets Classic“, neben Stars wie Alice Cooper, Joey Tempest oder Kim Wilde. Welche Erinnerungen haben Sie an die Touren?
Nur gute. Es ist immer interessant, ein Programm zu spielen, bei dem du mit Menschen zusammenspielst, mit denen du dies sonst nicht tust. Aber obendrauf kommt dieses fantastische Orchester und diese Rockband. Das passiert nicht oft, das kreiert besondere Momente. Du hörst, wie deine Songs auf ein anderes Level gehievt werden. Sehr faszinierend.
Midge Ure: Das Orchester nimmt ihm fast die ganze Arbeit ab
Wie schwierig ist es für Sie, sich auf diese alternativen Versionen einzulassen?
Och, eigentlich habe ich fast gar nix zu tun. Für die Arrangements, die du bei der Show hörst, sind andere verantwortlich. Mir werden die Orchesterparts in den Wochen vor der Tour übermittelt und ich muss nur sagen, ob ich damit zufrieden bin. Was in der Regel der Fall ist, das sind alles top eingespielte Profis. Wenn ich dann am Konzertabend auf die Bühne komme, bin ich die am schlechtesten vorbereitete Person, weil die anderen die ganze Arbeit geleistet haben (lacht).
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Bei den vergangenen Touren durften Sie vier Songs spielen – wie viele werden es diesmal?
Wohl wieder so viele, vier oder fünf – und wohl auch wieder dieselben wie damals (lacht). Wenn man diese Multi-Artist-Events betrachtet, kommt nicht unbedingt jeder, um dich zu sehen. Also spielst du die Lieder, die die meisten aus dem Radio kennen.
Midge Ure: Bei „Rock Meets Classic“ will er nicht den „Synthie-Guy“ spielen
Was ist mit „Fade To Grey“? Der fehlte damals …
Wäre eine Option, aber ich glaube, das würde die Leute verwirren. Die kommen nicht zu „Rock Meets Classic“, um einen Synthesizer-Typen zu sehen. In erster Linie bin ich ja auch immer noch Gitarrist und Sänger. „Dancing With Tears In My Eyes“ oder „Hymn“ sind im Kern ja Rocksongs, auch wenn sie heute zum Synthpop-Genre gezählt werden.
Wie sind Sie denn mit dem Werk von Tarja Turunen und den anderen teilnehmenden Künstlern vertraut?
Was Nightwish angeht, gibt es eine witzige Verbindung. Mit deren britischen Gitarristen Troy Donockley habe ich über die Jahre immer mal wieder zusammengearbeitet und sie haben ja generell auch schon diese organische Verbindung zu orchestralen Klängen. Die andere Person, wo ich mich sehr auf die Auftritte freue, ist Russ Ballard. Weil er so ein brillanter Songwriter ist. Letztlich sind wir ja alle Musik-Fans und machen Musik, die von anderen beeinflusst ist. Und bei ihm ist es fast unmöglich, sich nicht von seinen Songs beeinflussen zu lassen.
Aber persönlich kennen Sie ihn nicht?
Wir haben uns noch nie getroffen. Das ist auch so ein ewiger Irrtum, dass immer alle denken, dass sich die Stars im Backstage treffen, ewig miteinander rumhängen, zusammen trinken und essen. So läuft das nicht. Immer noch treffe ich Menschen zum ersten Mal und hoffe, es dass es zwischenmenschlich funktioniert.
Wie lief das mit Kim Wilde oder Alice Cooper?
Kim kenne ich ewig, das läuft alles wunderbar. Alice ist einer der nettesten Menschen, die ich je traf. Er ist extrem entgegenkommend und freundlich, ein angenehmer, unkomplizierter Gesprächspartner, der über meinen Werdegang gut Bescheid wusste.
Midge Ure: „Ultravox werden wohl nie wieder etwas zusammen machen“
Zuletzt tourten Sie solo mit den alten Ultravox-Alben. Wie fühlte sich das an?
Es war ein interessanter Prozess. Weil ich im Hinterkopf hatte, dass Ultravox sehr wahrscheinlich nie wieder zusammenkommen. Aber die Musik kommt immer noch bei neuen Leuten, dem Nachwuchs, an. Sei es über Videospiele, Netflix oder Ähnliches. Da entstand eine große Hörerschaft, die Ultravox nie live sehen konnte. Es gab oft Nachfragen nach solchen Touren. Mir fiel auf, dass manche Songs auf den Aufnahmen wirklich richtig „alt“, aus der Zeit gefallen klingen. Live hörte sich aber alles wieder frisch an. Zeitlos. Ich hatte echt vergessen, wie kraftvoll das war, was wir damals veröffentlichten.
Ihr letztes Studioalbum erschien 2014. Arbeiten Sie an neuer Musik?
Ja. Und ich habe keine gute Rechtfertigung, warum es so lang dauert (lacht). Eigentlich ist es für mich nicht so schwer, Songs zu schreiben und fertigzustellen. Aber: Alles, was ich jetzt mache, muss mir das Gefühl geben, besser zu sein, als das, was ich vorher veröffentlicht habe. Blödes Statement, weil das alle Musiker sagen. Aber ich will nichts rausbringen, was für mich nicht gut genug ist. Und: Anders als früher gibt es heute nicht den großen Druck von Plattenfirmen. Also kann man theoretisch bis in alle Ewigkeit Zeit für ein Album nehmen.
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Bei Ihnen reicht es aber vermutlich auch, wenn Sie nur mit den alten Hits touren.
Das ist aber nicht das, was ich will, immer nur Altes spielen. Ich weiß, dass die Fans auf den Konzerten die Hits hören wollen, dass ich sie nicht mit neuem Zeug überschütte. Es dauert eben eine Weile, bis sie sich an die Songs gewöhnen. Man muss da also vorsichtig sein, eine Balance finden, das versuche ich auch.
Etwas noch Älteres: Es ist nicht mehr so lange hin, bis sich Ihr erster Auftritt in Deutschland zum 50. Mal jährt. Am 16.9.1976 standen Sie bei der „Bravo Super Disco“ mit ihrer Ex-Band Slik vor Suzi Quatro und AC/DC auf der Bühne der Duisburger Rhein-Ruhr-Halle. Sie sollen laut Bravo sogar eine Elvis-Parodie gezeigt haben …
(lacht laut) An den Auftritt an sich erinnere ich mich leider nicht mehr. Aber damals spielten wir mit Slik oft ein Cover des Songs „Leader Of The Pack“, ein typischer 60er-Jahre-Rocksong. Dazu trug ich auf der Bühne oft einen für die Zeit typischen Anzug und hatte den entsprechenden Haarschnitt – als ich noch Haare hatte. Wahrscheinlich kam das für manche rüber wie eine Elvis-Parodie.
Sie sind seither sehr regelmäßig in Deutschland live zu sehen. Was gefällt Ihnen hier besonders?
Nicht nur das Essen, das Bier, die Menschen. Sondern das große Ganze. Ich genieße den kulturellen Austausch. Der leider, seitdem wir diesen lächerlichen Wahnsinn namens Brexit haben, immer weniger wird, weil es sich britische Kreative kaum noch leisten können, auf dem europäischen Festland zu touren. Die Möglichkeit für mich als junger Musiker, problemlos in Deutschland auftreten zu können, brachte mich zu einigen der wichtigsten Punkte meines Lebens. Ich hätte nie mit Conny Plank in dessen legendärem Studio arbeiten können, nie mit Eberhard Schoerner. Jetzt können wir nicht mehr einfach spontan rüberkommen und auftreten. Aber wir werden dafür kämpfen, dass sich die Situation in Zukunft wieder ändert.
Rock Meets Classic: 16.4. Oberhausen (Rudolf Weber-Arena). Karten ca. 82 €.
Hinweis: Das Interview mit Midge Ure wurde vor dem Tod von Chris Cross geführt.
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