Essen. Dr. Leon Windscheid hat im Interview nützliche Tipps parat. Ab Mitte Januar tourt er mit dem Infotainment-Programm „Gute Gefühle“.

35 Jahre ist Leon Windscheid alt und hat in dieser Zeit schon viel erlebt. Mit 19 ging der gebürtige Bergisch Gladbacher erste Schritte im Eventmanagement-Geschäft, ein Jahr später absolvierte er sein Abitur mit der Durchschnittsnote 1,0. Auf ein Psychologiestudium in Münster folgte eine Promotion in Wirtschaftswissenschaften. Der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde Windscheid als elfter Millionengewinner der RTL-Show „Wer wird Millionär?“ 2015. Längst veröffentlicht er Bücher, moderiert verschiedene Fernsehformate sowie Podcasts und hält Vorträge, sowohl auf Kongressen als auch vor regulärem Live-Publikum. Aktuell tourt Windscheid mit dem Programm „Gute Gefühle“. Im Interview mit Patrick Friedland verrät er, warum auch Wut und Traurigkeit für ihn dazu zählen.

Vor drei Jahren sprachen Sie mit dieser Zeitung darüber, dass Sie zu Beginn Ihrer Vorträge Ihr Publikum fragen, wer „heute erstmals bei einem Psychologen ist“. Machen Sie das immer noch?

Nein, da hat sich zum Glück einiges weiterentwickelt. Heute frage ich, wer freiwillig in die Show gekommen ist. Weil ich feststelle, dass viele, vor allem Männer, das Ticket geschenkt bekommen. Es ist immer eine schöne Situation, wenn die Männer ihrer Partnerin die Hand auf den Oberschenkel legen, ich mir dann einen herauspicke und ihn frage, ob er das Ticket selber gekauft hat. Und meistens lautet die Antwort „Nein, war ein Geschenk von meiner Frau.“ Dann lachen schon meistens alle. Und es passt zu diesem alten Stigma, wonach Männer sich eher noch zieren, wenn es um Besuche bei Psychologen geht.

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Aber die Tendenz geht doch dahin, wohl auch durch die Pandemie, dass sich immer mehr Menschen dorthin bewegen.

Ja, es scheint so, als ob die Gesellschaft aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist. Dass man eben weniger nach diesem lange Zeit in Deutschland typischen „Funktionieren, Leistung zeigen, hart wie Kruppstahl sein“ und anderen furchtbaren Ausdrücken, mit denen wir zum Teil groß geworden sind, lebt. Ich glaube, langsam fangen wir an zu realisieren, wie unmenschlich das eigentlich ist. Wir haben so viele Krisen, Katastrophen und generelle Belastung, da bleiben nicht mehr viele Körner übrig.

Dr. Leon Windscheid: „Auch Wut und Traurigkeit können gute Seiten haben“

Bei Ihnen lerne ich dann, wie ich damit besser umgehe?

Naja, ich gehe nicht auf die Bühne, um irgendwelche „Tschakkas“ oder Coaching-Sprüche loszulassen. Ich habe meine Leidenschaft, die Psychologie, auf der Bühne dabei, ich mache da Wissenschaftskommunikation. Da darf viel gelacht werden und das wird es auch. Genau so gerne mag ich aber die Momente, in denen es ganz ruhig wird. Ich spreche bei den Shows auch über Gefühle wie Wut und Traurigkeit und zeige, dass auch diese Gefühle gute Seiten haben können. Ich sehe oft das Problem, dass wir in einer toxisch positiven Welt leben.

Inwiefern?

Immer steht irgendwo „Be Happy!“, immer muss das Glas halb voll sein und man muss immer gut drauf sein. Das sagt dir der Glückscoach, dein Instagram-Feed oder dein Wandtattoo. Das ist ganz falsch, da entsteht zu viel Druck. Das ist dann so ähnlich wie beim Furzen: Wenn du zu viel Druck hast, wird’s Kacke. Das sage ich so auch auf der Bühne und gefühlt können das alle nachvollziehen. Dann wird viel gelacht, aber die Botschaft dahinter ist ernst. Dass man nicht immer nach außen hin einen lächelnden Schein wahren muss, ist ein Kernpunkt der Show.

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Wie gestalten Sie Ihre Auftritte?

Es ist ein vollwertiges Showprogramm. Mit einer Lichtshow, Spezialeffekten und vielen Einspielern, um die Themen greifbar zu machen. Ich will nicht wie an der Uni ein Referat halten, sondern dass die Forschung beim Publikum, das oft kaum Ahnung von Psychologie hat, ankommt. Deshalb gibt’s auch Live-Experimente, wo alle, die wollen, teilnehmen können. Kein „Wir klatschen jetzt mal alle in die Hände“, sondern Experimente, wo man Erkenntnisse gewinnen kann.

Leon Windscheid: „Männer trauen sich zunehmend, in Therapie zu gehen“

Zum Beispiel?

Es gibt eine Stelle, da kann man aufstehen, wenn man eine Frage mit Ja beantwortet. Ich sage den Leuten aber vorher, dass sie auch lügen dürfen. Dann frage ich, wer verliebt ist. Da entsteht bei Pärchen sofort eine interessante Dynamik. Einer steht schneller auf als der andere und schon wird diskutiert. Kurz danach stelle ich die Frage, wer schon mal fremdgegangen ist und wieder entsteht eine neue, eigene Dynamik. Dazu gibt es persönliche Geschichten. Mich treiben ja auch viele Dinge um. Vielleicht sind es ja Dinge, die auch einige Menschen im Publikum umtreiben.

Welche Fragen sind das?

Wie schafft man es, sich selbst zu mögen? Oder wie funktioniert eine gute Beziehung? Warum ist es so schwierig, einfach mal zufrieden zu sein in dieser Welt? Oder auch mit sich selbst zufrieden zu sein. Hauptziel ist es, dass das Programm dem Titel „Gute Gefühle“ entspricht. Wir machen uns da zwei richtig gute Stunden. Gerade in NRW, egal ob in Wuppertal oder in Dortmund in der Westfalenhalle oder in Köln ist die Stimmung sehr gut – die Leute kochen da regelrecht.

Der entscheidende Moment zur Million: Moderator Günther Jauch und Leon Windscheid 2015 im „Wer wird Millionär?“-Studio.
Der entscheidende Moment zur Million: Moderator Günther Jauch und Leon Windscheid 2015 im „Wer wird Millionär?“-Studio. © Produktion | Stefan Gregorowius/RTL

Kommen Gäste nach den Shows zu Ihnen und wollen über persönliche Probleme sprechen?

Über Persönliches eher nicht. Stattdessen sind viele Rückmeldungen dabei. Eine Frau war letztens zum zweiten Mal in der Show und meinte danach, dass meine Ausführungen über die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz ihren Blick auf ihre Arbeit mit Kindern verändert hätten und sie davon im Job profitiert. Sowas ist natürlich schön. Oder, und da sind mittlerweile auch zunehmend Männer dabei, die Leute sagen mir, dass sie sich getraut haben, in Therapie zu gehen, weil sie nach meiner Show ermutigt waren, den Druck endlich rauszunehmen.

Aber Sie sehen sich nicht als Therapeut im engeren Sinne?

Nein. Ich mache an dem Abend keinen Therapie-Ersatz, um Gottes Willen. Dafür gibt es die qualifizierten Therapeuten dieses Landes. Aber ich versuchen, den Leuten etwas Positives mitzugeben. Viele nehmen das sehr konzentriert auf. Ich sehe fast nie Handys im Publikum, oder dass jemand mittendrin aufsteht und geht. Das Wichtigste ist, dass die Leute eine positive Sache mitnehmen. Und wenn ihnen diese eine Sache zwei Wochen später an der Supermarktkasse einfällt.

Leon Windscheid: „Die Leute erwarten zu oft zu viel in zu kurzer Zeit“

Wo klappt das besser: In der großen Halle oder im kleinen Theater?

Ich finde es fast einfacher, je größer die Halle ist. Das Publikum hat ja oft ein gutes Gespür dafür, wann geklatscht wird. Bei den großen Shows reicht manchmal schon die Reaktionen von einer Person, um alle mitzureißen. Eine Halle, die so richtig brodelt, das ist für die gesamte Energie total schön. Wobei ich mich bei den kleinen Shows immer darüber freue, was ich dort alles entdecken kann und mit wieviel Liebe zum Detail und Mühe da Leute Kultur ermöglichen. An Orten aufzutreten, wo man noch drei Lampen ohne LED-Technik hat, macht mir auch unfassbar viel Spaß.

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Haben Sie denn noch Lampenfieber oder gibt es psychologische Tricks, um das auszublenden?

Bei der vergangenen Tour sagte ich noch: „Wenn ich irgendwann mal kein Lampenfieber mehr haben sollte, muss ich umdrehen, dann habe ich nicht mehr genug Energie.“ Mittlerweile muss ich sagen: Ich wäre gerne wieder mehr aufgeregt, für die Performance ist es aber besser, wenn ich entspannt bin. Das klappt immer besser, was ich früher nie geglaubt hätte. Früher sagte ein Kumpel „Man kann sich doch vor der Show nochmal schlafen legen“ und ich fragte mich, wie das klappen soll. Heute genieße ich die eine Stunde Dösen auf der Backstage-Couch. Irgendwie kann ich mich dann besser auf die Leute einlassen.

Eine bequeme Couch steht also auf dem Backstage-Anforderungszettel?

(lacht) Ja. Meistens ist es eine Kunstleder-/Plastik-Couch, ein Zweisitzer, wo ich mit meinen 1,94 Meter höchstens gefaltet Platz finde. Das mit dem Schlafen klappt trotzdem. Ich will auch nicht dahin, wo andere Künstler sind, die sich auf Tour backstage jeweils den kompletten Raum aufbauen lassen, sondern bleibe da eher auf dem Teppich.

Leon Windscheid: „Weniger Vorsätze für einen bestimmten Zeitraum machen!“

Kommen wir zum Ende noch auf ein aktuelles Thema: Können Sie Profi-Tipps geben, wie man gute Vorsätze für 2024 einhält?

Die Leute – und da schließe ich mich ein – erwarten viel zu oft viel zu viel in viel zu kurzer Zeit. Sie gehen bis zum 15. Januar in die bumsvollen Fitnesstudios und denken dann: Ich habe ja immer noch kein Sixpack und mein Bizeps sind immer noch aus wie ein hängender Teebeutel. Sie sind enttäuscht und brechen ab. Eine Denkweise, bei der wir sehr gnadenlos mit uns sind.

Leon Windscheid bringt das Publikum in „Gute Gefühle“ regelmäßig zum Lachen.
Leon Windscheid bringt das Publikum in „Gute Gefühle“ regelmäßig zum Lachen. © Phono Forum | Marvin Ruppert

Was sollen wir stattdessen machen?

Es würde helfen, sich weniger Vorsätze für einen bestimmten Zeitraum zu machen, sondern eher mal die eigenen Werte zu hinterfragen. Man kann sich vornehmen, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und dann ist man nach zwei Wochen enttäuscht, weil es nicht geklappt hat. Besser wäre es, grundsätzlich den Entschluss zu fassen, sich mehr um diejenigen zu kümmern, die einem wichtig sind. Ein anderes Beispiel wäre sowas wie „Ich will jetzt fünf Kilo abnehmen, damit ich im Mallorca-Urlaub einen geileren Körper habe.“ Das ist ein Vorsatz mit einem einzigen festgesteckten Ziel. Der Ansatz „Ich möchte grundsätzlich gesünder leben, mich mehr bewegen und generell meinem Körper was Gutes tun“ erscheint mir vielversprechender.

>>> INFO: Dr. Leon Windscheid live mit „Gute Gefühle“

Termine:: 17.1. Attendorn (Stadthalle), 10.2. Dortmund (Westfalenhalle 2), 17.2. Bochum (RuhrCongress), 18.2. Duisburg (Theater am Marientor), 26.3. Wuppertal (Historische Stadthalle), 24.4. Olsberg (Konzerthalle), 25.4. Düsseldorf (Mitsubishi Electric Halle), 27.4. Münster (MCC Halle Münsterland). Karten ab ca. 37 €.

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