Essen. Das aktuelle Buch des Erfolgsautors erzählt vom Schaffen des Filmpioniers Georg Wilhelm Pabst und von dessen Erfahrungen in der Nazi-Zeit.

Wie er so sei, erkundigt sich ziemlich am Ende des Romans einer. „Schwer zu beschreiben“, lautet die Antwort. Sie gibt die Richtung vor für Daniel Kehlmanns neuen Roman „Lichtspiel“. Der nähert sich wieder der Vermessung eines schwer zu beschreibenden Charakters. So hat er es mit Eulenspiegel gehalten, mit Gauß und Humboldt. So macht er es auf beeindruckender erzählerischer Höhe mit dem Österreicher Georg Wilhelm Pabst (1885–1967).

Der war einer der bedeutendsten Regisseure Europas. Er verhalf Asta Nielsen, Greta Garbo oder Louise Brooks zu Weltkarrieren, und nicht nur als er unter Extrembedingungen den Bergfilm „Die weiße Hölle von Piz Palü“ drehte, war auchLeni Riefenstahldabei. Als ein paar Jahre später die Nazis die Macht ergriffen, drehte er in Frankreich, dann in Hollywood. Ein Exilkünstler.

Ernst Lubitsch riet ihm, dass man in Amerika nicht nein sagen darf

Doch Daniel Kehlmann eröffnet mit seinem Film-Pabst ein Feld, wo die Geschichten noch nicht auserzählt sind. Pabst mag das ihm angebotene Drehbuch „A Modern Hero“ gar nicht, lässt sich nur herab, weil er „heimat- und hilflos“ ist mit Frau und kleinem Sohn. Und überhaupt, in Amerika darf man nicht nein sagen, hatte ihm Ernst Lubitsch geraten.

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Pabst aber spürte, dass er nicht hierher gehört, und sein Film wurde ein Flop. Da kommt ihm ein womöglich sogar fingiertes Hilferuf-Telegramm seiner Mutter gerade recht. Gegen alle Vernunft und komplett antizyklisch zu den Zeichen der Zeit geht er zurück auf sein Anwesen in der Steiermark, wo seine hilfsbedürftige Mutter mit der Familie eines nationalsozialistisch überzeugten Hausmeisters im Schloss Dreiturm wohnt.

Kehlmanns Roman wächst zu ganz großer Erzählkunst

Dort geschieht ein Unfall, der wahrscheinlich genauso fingiert ist wie das Telegramm. Pabst ist nach einem Sturz von der Leiter bewegungsunfähig und kommt nicht mehr weg. Ab hier wächst Kehlmanns Roman zu ganz großer Erzählkunst. Weil er vollkommen unverhoffte Episoden häuft, weil er das Schlingern seiner Hauptfigur zwischen den Fronten plausibel macht, weil er höchste Detailschärfe heranzoomen kann und weil seine Geschichte bis zum Schluss unvorhersehbar bleibt.

Über die Profession des Regisseurs heißt es: „Man war ein Künstler, aber man schuf nichts, sondern man dirigierte die, die etwas schufen.“ Das sind Hunderte, was sehr viel Geld verschlingt, für dessen Beschaffung der Regisseur hauptverantwortlich ist. Ergo: „Wenn man einen Film macht, ist man immer in einer Notlage.“ Nun ist die Notlage eine doppelte, denn Pabst wird von den neuen Machthabern umworben. Kollege Helmut Käutner wiegelt ab: „Sie brauchen uns mehr, als wir sie brauchen.“

Papst soll für Hitler einen Trivialroman verfilmen

Im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda wird dieser Optimismus deutlich nach unten korrigiert, wozu der Minister in seinem turnhallengroßen Büro wie beiläufig die erpresserischen Argumente hat und kein Abwiegeln zulässt. Pabst soll den Trivialroman „Die Sternengeige“ verfilmen, weil der Führer den so mag. Pabst glaubt, einen unpolitischen Film machen zu können, um dann doch von der Historie eingeholt zu werden.

„Außerhalb des Studios kann man mich zu nichts gebrauchen“, sagt Pabst. Nun aber ist er wieder drin, dreht auch in Prag, mit bis zu 800 Statisten und will Kunst machen unter den vorgefundenen Umständen, weil sie im Rückblick das einzig Wichtige gewesen sein wird.

Der Film „Der Fall Molander“ wurde nie fertig, war nie zu sehen. Er ist eines der großen Geheimnisse der deutschen Filmgeschichte. Daniel Kehlmann nimmt es als Steilvorlage für den zweiten Teil seines Romans und läuft zu Höchstform auf, wenn er von den Dreharbeiten, den Irrtümern dabei, den Lichtspielen in dunkelster Zeit und schließlich der Flucht aus Prag erzählt.