Essen. Interessant, aber eher konventionell: Mariusz Hoffmanns Debüt „Polnischer Abgang“ ist einer von vier verbliebenen Literaturpreis-Ruhr-Kandidaten.
Mit der ersten polnischen Einwanderungswelle Ende des 19. Jahrhunderts kamen etwa eine halbe Million Menschen ins Ruhrgebiet. Und allen Schimanskis, Thadeuszs und Antons Kumpel Cervinski zum Trotz: Von dem einen Drittel, das nicht Anfang des 20. Jahrhunderts in die Zweite Polnische Republik zurückkehrte oder in die französischen Kohlegebiete weiterzog, ist in der Kultur des Ruhrgebiets nicht viel übriggeblieben. So sind entgegen mancher Vorurteile bis auf den auch schon fast historischen „Mottek“ (Hammer) und die „Mattka“ (beleibte Frau) kaum polnische Begriffe ins Ruhrdeutsch eingegangen. Zu groß war der Anpassungsdruck auf die oft als „Polacken“ Beschimpften, ihre Integration bestand aus Anpassung. Selbst bei den Namen – Pawlowski wurde zu Paulsen, Wichrowski zu Wichmann, Janowski zu Janfeld.
Und das mit den Namen hielt sich bis zur dritten polnischen Einwanderung, die auf die zweite der „Aussiedler“ bis 1989 folgte. Jarek Sobots Mutter Jadwiga wird von deutschen Behörden in Hedwig umgetauft und ihr Mann Arkadiusz verliert das „z“ am Ende. Der 14-jährige Jarek, der Held in Mariusz Hoffmanns Debüt-Roman „Polnischer Abgang“, will gar nicht unbedingt aus Polen weg. Aber er will zu seiner Oma Agnieska in Hannover. Seine Familie landet aber in Unna-Massen, weil das Lager Friedland überfüllt ist. Erster Wohnort wird Werne. Jarek befreundet sich mit Monika, die irgendwann mit ihm im Zug nach Hannover sitzen wird.
Eine Projektion ins Dunkel des Jaruzelski-Regimes
Da hat die Familie schon entdeckt, dass der Verrat, der sie auseinandergetrieben hat, gar nicht stattfand – sondern eine Projektion ins Dunkel des Jaruzelski-Regimes war. Die einschneidendste Erfahrung ist aber die des Fremdbleibens: Die Neu-Deutschen, die mit der zweiten, der Aussiedler-Welle nach Deutschland gegangen waren und mit großzügigen Geschenken gelegentlich die polnische Heimat besuchten, „haben natürlich mit keinem Wort erwähnt, wie lange es braucht, um hier anzukommen.“ Jarek trägt noch die falschen Klamotten, er hat noch einen Akzent, er wohnt noch in der falschen Gegend…
Es ist dieses unbeachtete Stück jüngerer deutscher Sozialgeschichte aus ungewohnter Perspektive, das Hoffmanns Roman interessant macht. Er ist allerdings so konventionell erzählt, als hätte es seit Theodor Fontane keine Weiterentwicklung gegeben. Das überrascht vor allem deshalb, weil Mariusz Hoffmann an einer der Autorenschmieden der Republik studiert hat: Literarisches Schreiben in Hildesheim. Dieses Buch dürfte unter den Nominierten zum Literaturpreis Ruhr eher eine Art Zählkandidat sein.