Essen. Das neue Greta Van Fleet-Album „Starcatcher“ ist ein großer Wurf. Eine kraftvolle Symbiose aus Folk, Rock und Blues mit Led Zeppelin-Anleihen.
Stirbt der Rock aus? Die altersbedingten Todesfälle in diesem Metier machen Sorgen, aber es gibt sehr wohl Nachwuchs, der an die Strahlkraft der Altmeister anzuknüpfen vermag. Bestes Beispiel: Greta van Fleet. Ein Quartett aus dem US-Bundesstaat Michigan, das seit 2018 zwei erfolgreiche Alben veröffentlicht hat, mit einem Grammy bedacht wurde und schon Arenen füllt.
Für ihr neues, drittes Album „Starcatcher“ (Universal), das heute erscheint, greift die Band auf die Hilfe von Dave Cobb zurück – derselbe Produzent, der auch „Darkfighter“, das aktuelle Meisterwerk der Rival Sons, zu verantworten hat. Kein Zufall, sagt Bassist Sam Kiszka, man habe sich in den Sound der Kollegen aus Long Beach so verliebt, dass man ihn auch haben wollte.
Das Interessante daran: Während sich die Rival Sons immer mehr von ihren übermächtigen Vorbildern entfernen und eine eigene musikalische Identität entwickeln, kultivieren die Brüder Kiszka (Josh, Jacob und Sam) sowie ihr trommelnder Schulfreund Danny Wagner weiter ihre ureigene Hommage an Led Zeppelin. Nicht als Kopisten, sondern als erklärte Fans, die aus den Klangbausteinen tatsächlich etwas aufregend Frisches und Neues kreieren. Die Mittzwanziger schreiben die besten Led-Zeppelin-Songs, die wir von der Supergroup der 70er nie zu hören bekamen.
Greta van Vleet sucht ungeniert den Eskapismus – mit kritischem Antrieb
Zehn Songs, die an der Fünf-Minuten-Marke kratzen und sich als kraftvolle Symbiose aus Folk, Rock und Blues erweisen: inklusive mächtigen Gitarren-Riffs in Jimmy-Page-Manier, polternden John-Bonham-Drums, sphärischer John-Paul Jones-Orgel sowie dem ekstatisch-sirenenhaften Gesang in der Manier des jungen Robert Plant. Josh Kiszka ist ein Vokalakrobat, der selbst die höchsten Töne exakt trifft und zu diesem Zweck Fantasy-Texte über Liebe, Glück, Selbstfindung und Erleuchtung dichtet, die vorzugsweise auf fernen Planeten und in entlegenen Galaxien verortet sind.
Dahinter steckt ungenierter Eskapismus: Eine Flucht aus einer Realität, mit der die Band – ohne ein großes, politisches Statement im Sinn zu haben – alles andere als glücklich ist.
So verbirgt sich hinter „Meeting The Master“ der Wunsch nach Führungspersonal, das wirklich nur das Beste für die Menschheit, nicht aber für sich selbst will. Und „The Archer“, ein Symbol für Gerechtigkeit, basiert auf dem Wunsch nach einer besseren, umsichtigeren Rechtsprechung durch US-Gerichte – zumal durch den parteipolitisch geprägten Obersten Gerichtshof, der die Rechte der LGBTQ-Bewegung ins Fadenkreuz nimmt. Subtile Kritik mit kleinen Geschichten voller starker Metaphern bringen das Kopfkino des Hörers zum Glühen.
Greta van Vleet leuchtet sämtliche Facetten aus, die wir von Led Zeppelin kennen
Das untermauert auch die Musik, die zwischen laut und leise, sanft und heftig, akustisch und elektrisch, minimalistisch und geradezu opulent variiert. Die mit dem kraftvollen „Fate To The Faithful“ startet, in „Waited All Your Life“ plötzlich ganz ruhig und verhalten anmutet, mit einem kurzen Blues-Intermezzo namens „Runaway Blues“ überrascht und in „The Archer“ in Richtung Psychedelic tendiert, ehe „Farewell For Now“ ein grandioses, hymnisches Finale liefert.
Was bei alledem auffällt: „Starcatcher“ ist deutlich (20 Minuten!) kürzer als sein Vorgänger „Battle At Garden’s Gate“ von 2021. Zudem ist die Produktion nicht ganz so cineastisch, so überladen und erst recht nicht so perfekt wie die von Mainstream-Hase Greg Kurstin. Das Ganze mutet deutlich rauer, ungeschliffener und kantiger an. Fast mehr Live-Aufnahme als Studio-Produktion. Die Herren Page, Plant und Jones dürften ihre wahre Freude daran haben – erklärte Greta-Fans wie Elton John oder Metallica sowieso.