Essen. Immer wieder werden brisante Waffenverstecke entdeckt. Nicht selten hilft den Fahndern dabei der pure Zufall.

Die vier Männer im Auto haben Spaten dabei. Sie wirken verdreckt, so, als hätten sie in der Erde gewühlt. Merkwürdig. „Was haben Sie in Polen gemacht?“, fragen die Bundespolizisten an der deutsch-polnischen Grenze an einem Tag im vergangenen Spätherbst. Spazierengehen, antwortet einer der Männer. Drüben tanken, sagt ein anderer. Die vier dürfen passieren. Aber sie bleiben im Visier der Ermittler.

Israels Behörden hatten den deutschen Kollegen einen Tipp gegeben. Am 14. Dezember 2023 lässt der Generalbundesanwalt Wohnungen und ein Restaurant in Berlin filzen. Am Tag darauf folgen Haftbefehle. Der oberste deutsche Ankläger beschuldigt darin zwei libanesische Staatsbürger, einen Ägypter und einen Mann mit niederländischem Pass, einen Anschlag auf Juden in Deutschland geplant zu haben. Zu diesem Zweck seien sie rund um den 7. Oktober 2023, dem Datum des Hamas-Überfalls auf Israelis, mehrfach nach Polen gereist, um im Auftrag der Hamas-Führung versteckte Waffen aus geheimen Depots zu holen. Das macht die Männer mit den Spaten so verdächtig.

Waffen in verschwiegenen Erddepots? Damit befassen sich deutsche Sicherheitsbehörden seit mehreren Jahrzehnten. Ob von der linksextremen RAF vergraben, von Helfern des rechtsextremen NSU versteckt oder eben von Palästinensern oder Islamisten. Zwar konnte die Polizei zahlreiche Erddepots nach Vernehmungen Verdächtiger, durch Verrat oder durch bloßen Zufall orten und räumen – aber die Fahnder vermuten, dass noch einige Waffenverstecke unentdeckt blieben. Und wie viele Koffer, Kisten und Kanister in den Wäldern vergraben sind, von denen die Ermittler gar nichts wissen, liegt völlig im Dunkeln. Zudem: Solche Spuren sind nicht immer sehr intensiv verfolgt worden.

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Der Fall Michael Krause ist einer der spektakulärsten. Am Nachmittag des 25. Mai 2008 fällt zwei Bayreuther Streifenbeamten auf, dass der 54-Jährige verdächtig an einem Fahrrad herumschraubt. Sie wittern einen Dieb bei der Arbeit und fordern den Mann auf, seinen Ausweis zu zeigen. Krause holt einen abgelaufenen Reisepass heraus, zieht dann aber eine Pistole und eröffnet das Feuer. Das Projektil verletzt einen der Beamten schwer. Die Polizisten feuern zurück, doch der Mann hebt seine Waffe und tötet sich selbst. Bei der Leiche finden die Streifenbeamten Karten, die 38 eigenhändig angelegte Erddepots darstellen – gefüllt mit funktionstüchtigen Handgranaten, Sprengstoffen, Bomben, Zündern und schwarzglänzend lackierten Schusswaffen, wie sich bald herausstellt. Die Enttarnung der Standorte ist Schwerstarbeit. Krause hat die Lage auf seinen Karten per Zahlencode verschlüsselt.

Ein Beamter auf der Suche nach Waffendepots.
Ein Beamter auf der Suche nach Waffendepots. © picture alliance / rtn - radio tele nord | rtn, peter wuest

Eine Sondereinheit des Landeskriminalamtes München bestätigte damals, man habe unter anderem einen zu einer Zehn-Kilo-Bombe umgebauten Feuerlöscher gefunden – ausreichend, ein ganzes Haus in die Luft zu jagen. Außerdem: Schussapparate und zwei Ceska-Pistolen. Das ist genau der Waffentyp, mit dem der rechtsextreme „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) bis 2007 mordend durchs Land gezogen war, was sich aber erst 2011 herausstellen sollte.

Es fand sich auch ein Sprengsatz, der dem ähnelte, den die NSUler mit Nägeln gespickt 2004 in der Kölner Keupstraße zur Explosion gebracht hatten. Verteilt waren Krauses Waffenlager über die Bundesländer Berlin, Bayern, Sachsen und Thüringen, auch in Österreich fand man Depots. Fünf der 38 verschlüsselt aufgelisteten Lager sind bisher nicht ausfindig gemacht worden.

Wer war Michael Krause mit seiner Vergangenheit in der NPD-Jugend? Mit welchen Straftaten stand er in Verbindung? Kannte er die später überführten rechtsextremen NSU-Täter Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, die neun Migranten und eine Polizistin umgebracht hatten? War er ihr Waffenlieferant? Solche Fragen sind bis heute nicht beantwortet.

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Zwei Jahrzehnte zuvor war ein anderer Vorgang unaufgeklärt geblieben. Wieder mit Spuren nach rechts. Wieder mit dem Verdacht der Terror-Unterstützung. Und erneut tötete der Verdächtige sich selbst. In der Lüneburger Heide hatte ein Waldarbeiter 1981 ein Loch in den Heideboden gegraben, als er in 40 Zentimetern Tiefe auf eine versiegelte Kiste stieß. Sie enthielt Sprengmittel. Die Polizei ahnte, wem die gefährliche Ladung zuzuordnen sein konnte, denn kurz vorher hatte man den rechtsextremen Waffennarren Karl-Heinz Lembke freilassen müssen, nachdem ihn Bundesanwälte verhört hatten.

Lembke war nicht nur bei Neonazi-Organisationen aktiv. Fahnder hatten eine Verbindung zum Attentat auf das Münchner Oktoberfest 1980 nicht ausgeschlossen. Nach dem Fund durch den Waldarbeiter wurde er erneut vernommen und gab die Anlage weiterer Depots zu.

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Die folgende Ortsbegehung legte 88 vergrabene Verpackungen mit hochexplosiven Inhalten offen: Neben 159 Kilo Sprengstoff und 13.000 Schuss Munition auch eine Wehrmachts-MP, drei Pistolen, neun Gewehre, 258 Handgranaten und 50 Granaten für eine Panzerfaust. Krause erwähnte ein weiteres „Depot 82“, wollte aber darüber nicht weiter reden. Hatte der Mann dem beim Oktoberfestattentat umgekommenen Gundolf Köhler, damals angeblich ein „Einzeltäter“, doch den Zündstoff geliefert? Nach der Verhaftung kündigte der Niedersachse an, er wolle über den rechten Untergrund auspacken. Dazu kam es nicht. Am Tag darauf fand man ihn tot in seiner Zelle. In einem Abschiedsschreiben hinterließ er einen rätselhaften Satz: „Es ist Wolfszeit“.

Anfang der 80er-Jahre, als auch der Waldarbeiter Karl-Heinz Lembkes Depot entdeckte, gab es mehrere solcher brisanter Zufallsfunde. 1982 wühlten Pilzsucher nahe dem hessischen Heusenstamm nach Trüffeln. Stattdessen stießen sie einen Meter im Boden auf Waffen, Papiere und Bargeld. Sie meldeten das der Polizei. Ermittlern wurde schnell klar: Das Versteck gehörte der RAF von Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Die Trüffeljäger hatten Depot I gefunden, das zentrale Lager der linksextremen Rote Armee Fraktion die zwischen 1972 und 1991 in Deutschland 33 Menschen getötet hatte. Oberstaatsanwalt Klaus Pflieger, damals bei der Bundesanwaltschaft, listet eindrucksvoll die Funde auf: 17 Faustfeuerwaffen, darunter auch die Pistole, mit der der Dortmunder Polizist Hans-Werner Hansen 1978 erschossen wurde. Sechs Maschinenpistolen und fünf Schrotgewehre, darunter jene, die im Herbst 1977 bei der Entführung von Arbeitgeberchef Schleyer in Köln eingesetzt war. 90 gefälschte Ausweispapiere. Polaroidaufnahmen von weiteren Terror-Tatorten. 65.000 Mark in bar, wohl aus einem Banküberfall in Bochum. Vor allem aber Hinweise auf weitere RAF-Depots samt Inhaltslisten und Wegbeschreibungen.

Nur: Die Angaben dazu waren mindestens so gut verschlüsselt wie zwei Jahrzehnte später beim Rechten Krause in Bayreuth. Wo also konnten Örtlichkeiten mit Codenamen wie „Rotkehlchen“, „Daphne“ „H1“ und „H3“ oder „Künstler“ zu suchen sein? Bundeskriminalamt-Vize Herbert Tolksdorf stöhnte: „Tage und Nächte“ habe man beim BKA daran geknabbert. Am Ende enttarnten seine Leute elf von 18 Verstecken. Die restlichen, vier alleine wohl in Nordrhein-Westfalen, sind bis heute unbekannt – eines der großen Geheimnisse der verschwiegenen Links-Terroristen.

Am 4. Februar 1974 in Frankfurt präsentiert die Polizei sichergestellte Waffen der Rote Armee Fraktion (RAF).  
Am 4. Februar 1974 in Frankfurt präsentiert die Polizei sichergestellte Waffen der Rote Armee Fraktion (RAF).   © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Roland Witschel

Dennoch verwandelte das BKA den Pilzsucher-Treffer von Hessen in einen der größten Fahndungserfolge jener Jahre. Es stellte die zentrale Grabungsstätte noch Wochen unter verdeckte polizeiliche Beobachtung. Am 11. November 1982 tauchten dort zwei Frauen auf. Brigitte Mohnhaupt, die RAF-Chefin, und ihre Komplizin Adelheid Schulz näherten sich dem Versteck. Die Polizei fasste die verdutzten Terroristinnen. So erging es eine Woche danach auch dem Top-Terroristen Christian Klar im Hamburger Sachsenwald. Er wollte zum enttarnten Depot „Daphne“ und lief den Einsatzkommandos direkt in die Arme.

Bis heute bleibt rätselhaft, wie die illegalen Arsenale zwischen 1970 und 2000 so gewaltig gefüttert werden konnten. Beschaffte sich die RAF ihre Waffen zum Teil durch Überfälle auf Waffengeschäfte wie 1984 bei Ludwigshafen und Geld über Banküberfälle, sind die gefüllten Bunker der Rechtsextremen Lembke und Krause schwer erklärlich. Immer wieder, auch in Bundestagsdrucksachen, wird über eine Quelle mit der Bezeichnung „Gladio“ gemutmaßt.

Bei „Gladio“ handelt es sich um sogenannte „Stay Behind“-Gründungen der westalliierten Besatzungsmächte, um im Fall eines sowjetischen Angriffs Untergrundwiderstand zu ermöglichen. Dafür wurden in den Nachkriegsjahren unterirdische Depots angelegt. Sie sollten bis 1972 aufgelöst werden. Völlig offen ist, wie viele solcher Arsenale es gegeben hat und wo. Konnten Lembke und Krause ihre Ausrüstung an solchen Orten abzweigen? Bis in die jüngste Zeit sind solche Depots in Wäldern immer wieder aufgeflogen. In Hamburg war das ein altes Lager der linksterroristischen Revolutionären Zellen, in Brandenburg eines der rechtsextremen Reichsbürger, bei Köln 2016 Aufbewahrungen eines Darknet-Waffenhändler-Rings. Werden Waldarbeiter oder Pilzsucher also erneut unvermutet brisante Depots ausheben?

Im Fall der Männer mit dem Spaten verdichtete sich der Verdacht, dass sie versucht hätten, ein von der Hamas in Polen angelegtes Waffendepot ausfindig zu machen. Das geht aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) hervor. Die drei Beschuldigten sollten demnach Waffen aus dem Versteck nach Deutschland bringen, um es der Hamas zu ermöglichen, dort Anschläge auf jüdische Einrichtungen zu verüben. Konkrete Anschlagspläne habe es nicht geben. Einer der Männer soll aber geholfen haben, Ziele auszukundschaften – darunter die israelische Botschaft in Berlin. Das Waffendepot wurde bis heute nicht gefunden

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