Haltern. Hofläden sind beliebt bei Verbrauchern, die Lage für die Bauern wird immer schwieriger. Heinz Hagedorn ist ein Pionier der Direktvermarktung.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als meine Schwester Andrea und ich mit den Eltern im VW-Käfer von Gelsenkirchen zu Bauer Hagedorn nach Lavesum fuhren. Heinz Hagedorn ging mit uns in den Sauenstall, wo wir besondere Freude an den quiekenden Ferkeln hatten. Unterdessen füllte der Bauer die mitgebrachte Plastikwanne mit frischem Schweinefleisch. Ein Sack Kartoffeln wurde auch ins Auto geladen. Dann ging es in die große Diele des Wohnhauses, wo Luise Hagedorn in adretter weißer Schürze Schinken verkaufte. Das war gegen Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre.
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Solche Bauernhof-Erinnerung teile ich mit vielen Ruhrgebietlern, von denen nicht wenige bis heute treue Kunden des Hofs Hagedorn geblieben sind. Von der damaligen Bauernhof-Idylle ist indes nicht mehr viel übrig. Der Schweinestall ist längst Geschichte. Die große Diele heißt nun Schinken-Tenne: ein moderner Verkaufsraum für Fleisch, Wurst und Backwaren. In der Gemüse-Scheune warten Kartoffeln, riesige Kohl- und Wirsingköpfe, knackfrischer Grünkohl und vieles mehr, das am Morgen noch auf dem Acker stand, auf Kunden. Im nagelneuen Hofcafé mit verschiedenen Räumen und Terrassen finden bis zu 190 Gäste Platz, die sich an Frühstück, hausgemachten Kuchen und warmen Speisen laben.
Die alten Zeiten vermisst offenbar niemand. In Verkaufsräumen und Café geht es sehr entspannt, ja familiär zu. Noël Schulte, Juniorchefin des Hofs, lächelt zufrieden: „Wir vermitteln ein Landgefühl. Das ist unsere Philosophie. Wir verkaufen Produkte aus eigenem Anbau und von Bauern der Region. Regional und frisch direkt vom Hof. Verkostet werden kann auch gleich vor Ort.“ Die 36-Jährige ist verheiratet mit Benedikt, dem Enkel von Heinz und Luise Hagedorn, deren Tochter Elke und Heinz Schulte den Betrieb leiten.
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Altbauer Heinz Hagedorn zählt zu den Pionieren des Direktvertriebs. Mitte der 60er-Jahre begann er mit dem Verkauf von Kartoffeln, Schinken und Schweinefleisch, weckte damit den Wunsch vieler Menschen nach frischen Produkten vom Land. Erst Jahre später, 1989, ließen Bauernverbände und Landwirtschaftskammern den Begriff Einkaufen auf dem Bauernhof beim Patent- und Markenamt eintragen, um landwirtschaftliche Direktvermarktung von anderen Einkaufsstätten zu unterscheiden.
Schnell ging die Bezeichnung Hofladen in den allgemeinen Sprachgebrauch ein. Offiziell erfasst ist die Zahl der Hofläden nicht. So lässt sich auch nicht genau feststellen, wann der Boom begann. „Es existiert keine Statistik, da Hofläden weder an- noch abgemeldet werden müssen. Es gibt auch keine genaue Definition für Hofläden. Fakt ist, dass sich Verbraucher zunehmend für Regionalität interessieren, weil sie wissen wollen, wo Lebensmittel erzeugt werden. Hofläden sind in“, erläutert Jan-Malte Wichern, Sprecher der Landwirtschaftskammer NRW. Der Einkauf im Hofladen vermittle den Kunden ein gutes Lebensgefühl.
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Für Hagedorn war der Verkauf an den Endverbraucher damals zunächst ganz pragmatisch. „Die Leute sollten kommen, kaufen und wieder gehen. Das war seine Devise“, erzählt Noël Schulte. Da hatte der Senior die Rechnung allerdings ohne die Kunden gemacht. Denn denen gefiel, dass der Bauer quasi direkt vom Feld verkaufte. „Die Nachfrage nach Fleisch und Gemüse zu den Kartoffeln stellte sich rasch ein. Und das Angebot wurde erweitert. Bis heute orientieren wir uns an den Kundenwünschen“, so Noël Schulte.
Die stete Entwicklung des Hofladens begann. Heute werden fünfzehn Hektar Land bewirtschaftet, mehr als 20 Kulturen angebaut. Hoch im Kurs stehen bei den Kunden nach wie vor die Kartoffeln. Darüber hinaus gedeihen fast alle Kohlsorten und Dicke Bohnen. Selbst Erdbeeren, Kürbisse, Rhabarber, Zucchini, Rote Beete und Kräuter wachsen heran. Längst ist der Ausflug aufs Land nicht mehr nur Einkaufen auf dem Bauernhof. „Es ist ein Ziel, ein Erlebnis. Bei uns gibt es das Rund-um-Paket. Einkaufen, Kaffee und Kuchen, Mittagsessen, im Sommer was Leckeres vom Grill, Spazierengehen, Menschen treffen und plaudern. Wir setzen dabei auf Nachhaltigkeit und Regionalität und versuchen, ein Landgefühl zu bieten. Auch wenn die Bilder aus der Kindheit längst nicht mehr da sind“, sagt Noël Schulte.
„Wir setzen dabei auf Nachhaltigkeit und Regionalität und versuchen, ein Landgefühl zu bieten. Auch wenn die Bilder aus der Kindheit längst nicht mehr da sind.“
Senior Heinz Hagedorn, der gerade seinen 85. Geburtstag feierte, blickt zufrieden auf sein Lebenswerk. Es macht ihn stolz, dass das, was er einst angefangen hat, von seinen Kindern und Kindeskindern weiter entwickelt wurde. „Viele Hofläden und auch Bauernhöfe schließen mittlerweile, weil es keine Nachfolge mehr gibt. Ich bin glücklich, dass das bei uns anders ist.“
Bäuerliches Landleben ist harte Arbeit und zunehmend eine Herausforderung. Eine heile Welt Bauernhof gibt es nicht mehr. Die Lage für die Landwirte wird schwieriger, in Deutschland, Europa und auf der Welt. Der Klimawandel fordert ein Umdenken bei Anbaumethoden und Viehwirtschaft. Die Äcker werden durch die steigenden Temperaturen trockener. Immer häufiger auftretender Starkregen macht zum Beispiel der Kartoffel zu schaffen, lässt sie faulen. Die Ernteerträge sinken und damit das Einkommen der Bauern. Landwirtschaftliche Produkte werden teurer.
Die Klima-Problematik wird auch auf dem Hof Hagedorn nicht unter den Tisch gekehrt. Noël Schulte: „Wir halten unsere Ackerböden durch vielfältige Fruchtfolgen gesund. Das Fleisch, das wir anbieten, können wir mit gutem Gewissen verkaufen. Und die Milch kommt von Kühen, die auf der Weide stehen.“ Durch die direkte Abgabe an den Endverbraucher kommen Gemüse und Früchte feldfrisch auf den Tisch. Einkaufen auf dem Bauernhof – egal ob es ein Klein- oder Großbetrieb ist – ist auf jeden Fall mehr als nur eine Illusion von gesunder Ernährung.
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Ist bei Hagedorns und vergleichbaren Hofläden das Ende der Fahnenstange erreicht, oder kann weiter expandiert werden? „Keine Ahnung“, sagt Noël Schulte. „Ob die Leute irgendwann auf Fleisch verzichten? Ich glaube nicht.“ Auch wenn sie und ihr Mann Benedikt den Hof einmal an ihre Kinder übergeben wollen, machen sie sich jetzt nicht allzu viele Sorgen. „Das Leben hier macht uns Spaß, und wir sind alle mit Herzblut bei der Sache. Jedes Familienmitglied hat seine Aufgabe. Wenn es voll wird in Läden und Café packen alle mit an.“ Die Hagedorns und Schultes schätzen die Gespräche mit den Kunden. Noël Schulte: „Ich mag besonders die Menschen aus dem Ruhrgebiet. Die sind so direkt und sagen, ohne um den heißen Brei herum zu reden, was sie wollen.“
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