Dortmund. Das Gericht in Münster sieht keine Bürgerkriegs-Gefahren mehr für syrische Flüchtlinge. „Das ist ein großer Fehler“, warnt Jamil Alyou.

In Syrien ist das Leben von Zivilisten nach Ansicht deutscher Richter nicht mehr ernsthaft bedroht. Das Oberverwaltungsgericht Münster sieht keine Bürgerkriegs-Gefahren für die Geflüchteten und wies deshalb die Klage eines Syrers ab. Er hatte gegen die Ablehnung seines subsidiären Schutzes in Deutschland geklagt. Das Urteil befeuert nun die Debatte über Abschiebungen – und bereitet den Syrerinnen und Syrern, die selbst nach Deutschland geflohen sind, Sorgen. „Wir sind empört“, sagt Jamil Alyou. Der 30-Jährige musste 2015 seine Heimat verlassen, weil er und seine Familie als Kritiker des Assad-Regimes dort nicht mehr sicher waren. Lesen Sie hier, warum er in dem Urteil „ein gefährliches Zeichen“ sieht:

„Wir waren alle empört, als wir von dem Urteil gehört haben. Es war sofort das Gesprächsthema Nummer 1. Ich kann die Entscheidung des Gerichts überhaupt nicht nachvollziehen, es ist ein großer Fehler. Die Lage in Syrien ist nicht sicher, sondern unmenschlich und gefährlich.

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Ich selbst musste vor fast zehn Jahren fliehen. Meine Familie war Teil der Revolutionsbewegung. Wir wurden von Schergen des Machthabers Assads bedroht und bedrängt. Mein Vater wurde sechsmal inhaftiert, das letzte Mal saß er über zwei Jahre im Gefängnis.

Syrer über Gerichtsurteil in Münster: „Ein gefährliches Zeichen“

Seitdem hat sich wenig verändert. Es werden immer noch Menschen willkürlich inhaftiert, gefoltert und umgebracht. Ich habe noch viel Kontakt zu Freunden und Verwandten vor Ort, die mir von solchen Fällen berichten. Wenn deutsche Gerichte jetzt sagen, Syrien sei sicher, relativieren sie damit das Assad-Regime. Das ist ein gefährliches Zeichen.

Das ist der subsidiäre Schutz

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) definiert den subsidiären Schutz so: Der subsidiäre Schutz greift ein, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslands nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen. Ein ernsthafter Schaden kann sowohl von staatlichen als auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen.

Als ernsthafter Schaden gilt demnach: die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

Laut Ausländerzentralregister waren zum Stichtag 30. Juni .2024 insgesamt 101.445 Personen mit einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 2 AufenthG aufgrund eines festgestellten subsidiären Schutzstatus in NRW registriert. Davon hatten insgesamt 81.554 Personen die syrische Staatsangehörigkeit.

Genauso gefährlich finde ich es, dass leider Gottes immer mehr Menschen in Deutschland antidemokratisch denken. Die jungen Menschen, die keinen Krieg miterlebt haben, haben es so gut, dass sie vergessen, wie gefährlich ein Rechtsruck ist und wie schlimm es ist, in einer Diktatur zu leben.

„Mich hat das Urteil zu Syrien nicht überrascht“

Aber so schrecklich ich das Urteil auch finde, überrascht hat es mich nicht. Ich arbeite beim Flüchtlingshilfeverein „Train of Hope“. Fast jeden Tag habe ich Syrerinnen und Syrer vor mir sitzen, die Angst haben, abgeschoben zu werden. Wir haben schon vor über einem Jahr in einem offiziellen Brief davor gewarnt, dass so etwas wie dieses Urteil passieren wird. Wir als migrantische Community sind da einfach sensibilisiert und merken viel früher, wenn die Stimmung droht zu kippen. Unsere Sorgen haben sich beim Geheimtreffen in Potsdam und bei der Europawahl leider bestätigt. Wenn die Entwicklung so weitergeht, ist das kein Deutschland mehr, in dem wir alle gerne leben.

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Es schmerzt mich, wenn ich das so sagen muss, aber es gibt viele Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund, die sich überlegen, ob sie Deutschland lieber verlassen sollten. Ich rede nicht nur von jungen Menschen, die noch die Kraft haben, sich ein neues Leben aufzubauen. Sondern auch von älteren, für die Deutschland längst zu einem Zuhause geworden ist. Ich selbst fühle mich hier schon noch heimisch und sehe mich als Nordstadtkind. Ich gebe mein Land nicht so einfach auf. Genauso, wie ich Syrien nicht aufgebe. Obwohl mich das viel Kraft kostet.“

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