Dortmund. Max trägt eine Patrone als Kette – ein Geschenk seiner Mutter als Warnung vor einem Rückfall. Dennoch bleibt Crack eine Verlockung.
Max trägt unter seinem Hemd eine Kette mit einer Neun-Millimeter-Patrone daran. Die Kugel hat ihm seine Mutter geschenkt, als er aus der Suchttherapie kam. „Die kannst du dir geben, wenn du wieder richtig drauf kommst auf Koks, hat sie gesagt. Deswegen bin ich auch nicht draufgekommen. Auf Heroin schon so’n bisschen, ja. Aber nicht so krass.“
Damit widerspricht sich Max selbst. Offenbar mag er sich seinen Rückfall nicht in vollem Ausmaß eingestehen. Gerade eine Woche ist die letzte Crack-Pfeife her. Und Heroin hat Max erst vor wenigen Minuten geraucht im Dortmunder Konsumraum, er ist Stammkunde hier, im Drogenhilfezentrum Kick. „Ich fang mich gerade“, sagt er trotzdem – und vielleicht stimmt das sogar, relativ betrachtet.
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Crack macht nicht körperlich abhängig, nur der Kopf spielt verrückt. Und nicht nur Max sagt, das sei ungleich schwieriger zu kontrollieren. Auf dem Weg zum Café Kick kann man Menschen sehen, die an der Hauswand hocken wie Hüllen, die in Lumpen humpeln, die so wenig essen und schlafen, dass ihr Skelett hervortritt. Menschen, die ihren Körper vergessen und alles, wirklich alles in den Dienst dieses Rauschgefühls stellen.
Max dagegen ist normal gekleidet, redet entspannt, sieht jünger aus als Ende vierzig. Wenn er nun „nur Heroin“ nimmt und eine Woche Abstinenz von Crack geschafft hat – „mit dem Willen, den ich in der Therapie entwickelt habe“ – ist das für ihn ein Zeichen der Hoffnung, nicht so zu werden, wie die dort draußen.
Er mag das Wort „Crack“ nicht
Mehrfach korrigiert Max: „Du sagst Crack dazu, für mich ist das ,Koks aufgekocht‘.“ Lieber spricht er von „Freebase“, was eine eher technische Unterscheidung ist. Freebase ist eine Sonderform des Cracks. Dabei wird das Kokain nicht mit Backpulver aufgekocht, sondern mit Ammoniak. Dadurch wird die Droge reiner, die Rauschwirkung bleibt dieselbe. Anders ausgedrückt: Crack ist gestreckt, Freebase weniger. Wenn man die Klumpen raucht, „knackt“ Freebase genau wie Crack, von diesem Geräusch kommt der Name („to crack“). Aber Max möchte sich selbst eben nicht als Crack-Abhängigen sehen, distanziert sich von der Szene.
„Ich erkenne mein Dortmund nicht wieder“, sagt Max. „Ich war fast fünf Jahre weg, im Maßregelvollzug und in Therapie. Als ich wiederkam, bin ich in einer Katastrophe gelandet. Von den Leuten, die gerade hier im Kick sind, sind bestimmt 90 Prozent auf Crack. Von zehn Dealern rauchen heute bestimmt sieben Koks. Auf Anhieb wüsste ich keinen, der das Zeug noch schnieft. Seitdem ich das erste Mal aufgekochtes Koks geraucht habe, habe ich auch nie wieder eine Nase gezogen. Das war für mich Verschwendung.“
„Man trifft auf der Straße mehr Marokkaner, Bulgaren, Türken, alle Nationalitäten, da draußen stehen 16-jährige Mädchen mit ihren Crack-Pfeifen. Aber ich weiß nicht, ob es mehr Personen geworden sind“, sagt Max. „Es ist eher eine Suchtverlagerung. Viele kriegen Methadon als Heroin-Ersatz, aber anders als früher ziehen sie jetzt nebenbei auch Crack. Früher hätte es das auch nicht gegeben, dass die draußen stehen und offen ihre Pfeife rauchen. Das hätte das Café Kick unterbunden. Aber das können sie nicht mehr. Es ist einfach zu massiv geworden. Koks ist einfach billiger geworden und es wird jetzt auch häufiger direkt aufgekocht angeboten. Das kommt durch die Dealer.“
Was zuvor geschah
Wie es für Max angefangen hat? „Das Klischee ist wahr“, sagt er. „In der Schule habe ich angefangen mit Kiffen, da war ich 16 Jahre alt. Dann ging es in die Partydrogen.“ Anfang der Neunziger feierte er mit Technogrößen wie Sven Väth. „Da hab ich auch mal ne Nase Kokain gezogen, Speed, Ecstasy, diesen ganzen Müll halt. Und zum Runterkommen haben wir gekifft. Irgendwann hat dabei einer gesagt: Ich hab Schore. Willste auch ne Nase? Schore sagt man zu Heroin, das wusste ich damals aber nicht. Es war so ein typisches Gruppending. Im Nachhinein wünsche ich mir diesen Tag zurück, denn dann würde ich ganz vieles ändern in meinem Leben.“
„Ich habe zu der Zeit schon Gras vertickt und dachte dann: Kannst ja auch Schore verkaufen. Ich bin einfach nach Rotterdam gefahren, wusste gar nicht wohin. Dort traf ich auf der Straße einen Typen, der mir sympathisch war, zack, hatte ich da alles liegen und bin mit 200 Gramm Heroin zurück. Da war ich vielleicht 19. In den Jahren danach stand ich jeden Morgen um sieben Uhr am Flash, das ist das andere Drogencafé in Dortmund, und hab da 30, 40 Bubbles verkauft. So hatte ich meinen Eigenkonsum drin, meine Klamotten, mein Essen, mein Rauchen. Das zog sich durch mein Leben. Ein paar Jahre hatte ich mal aufgehört, als ich eine Freundin hatte, die damit nichts zu haben wollte. Eine andere Freundin ist ertrunken in der Badewanne, sie war abhängig von Tabletten.“
„Auf ,Steine‘ bin ich durch die Holland-Connection gekommen. Wenn du bei denen einkaufst, legen die dir Koks hin, auch aufgekochtes. Hört sich blöd an, aber es war wie ein Bonbon für mich. Und das Bonbon ist schnell immer größer geworden. Bis ich morgens aufgestanden bin und das Erste, was ich gemacht habe, war, Kokain zu rauchen.“
„Um 2016 fing dann die Hardcore-Dealerei an: Ich geh‘ durch die Nordstadt, mit meinen paar Gramm in der Tasche – für die Jungs hier am Kreisel wäre das schon viel gewesen. Da hält ein holländisches Kennzeichen neben mir. Drückt mir ein Päckchen Heroin in die Hand und eine Telefonnummer. Geh mal testen. Wenn du das gut findest, meldeste dich. Ich bin dann der Dealer der Dealer geworden, Business to business sozusagen. Ich hab mir dann eine Tasche ums Bein geschnallt, mit einem halben Kilo Koks und einer Waage darin. Manchmal hatte ich die Taschen so voller Geld, dass mir die Fuffies rausgeflogen sind. Aber ich habe auch Paranoia gefahren: Habe immer das Fenster aufgelassen, um abhauen zu können, so ein Schwachsinn. 2018 flog bei uns die Tür auf, ein halbes Kilo haben die gefunden.“
„Die Richterin hat mich zum Glück in den 64er geschickt.“ Damit meint Max den Paragrafen 64 des Strafgesetzbuches: Maßregelvollzug – geschlossene Therapie statt Gefängnis. Zuerst in Marsberg, dann mit Ausgang in Hagen. „Die lange Strafe war gut für mich“, sagt Max. „So offen mit mir zu reden, wäre nicht möglich gewesen ohne die Therapie. Ich reflektiere mich jetzt jeden Abend selber und erkenne, dass ich Scheiße mache. Die Knast-Androhung beim Scheitern der Therapie war auch wie eine schützende Haube. Der Druck fehlt mir jetzt. Verhaftet zu werden, hat mir geholfen. Natürlich habe ich mir das nicht gewünscht. Keiner will geschnappt werden. Aber im Nachhinein war es für mich das Richtige. Ich hätte mich tot gemacht.“
Der Rückfall
Allerdings hat Max schon wieder zwanzig Kilo abgenommen. „Nach der Therapie habe ich es zwei Monate geschafft, dann habe ich das erste Bier getrunken. Bei den „DJ Picknicks“ dann ein paar mehr. Dort hatte ein Kollege Heroin in der Tasche: Ach komm, rauch‘ eine mit. Danach hat es nur noch zwei, drei Wochen gedauert, bis ich auch ein Päckchen Koks in der Tasche hatte.“
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Max kämpft nun wieder, gegen das Crack mehr als gegen das Heroin. Er weiß, dass seine Mutter bemerkt hat, wie knochig sein Gesicht geworden ist. Auch die Urinproben, die er monatlich abgeben muss, waren zuletzt positiv. Sein Bewährungshelfer könnte ihn nun ins Gefängnis schicken. Aber wie die Mutter möchte der Helfer ihn noch nicht aufgeben, glaubt Max. Er zieht ja bald in eine neue Wohnung, weg von der Szene. Einen Verkäuferjob hat Max auch in Aussicht. Und eine Woche ist er auch schon runter vom Crack. Eine Woche!