Berlin. Eine 14-Jährige bekommt die Diagnose Borderline. Ihr Vater tut alles, um ihr das Leben zu erleichtern. Doch er kommt an seine Grenzen.
Tiefe Schnittwunden am Arm, die sich unterhalb des Shirts abzeichnen – als Markus Hoffmann die Selbstverletzungen seiner Tochter Laura im Urlaub entdeckt, erschrickt er. Der Arzt, den sie zu Hause aufsuchen, verweist die Vierzehnjährige an einen Psychiater. Die Diagnose: Borderline. Markus und Laura Hoffmann heißen eigentlich anders. Weil die psychische Erkrankung aber immer noch stark stigmatisiert wird, haben wir in diesem Artikel ihre Namen geändert.
Zunächst bemerkt Markus Hoffmann im Urlaub nur die extremen Selbstzweifel und Stimmungsschwankungen bei seiner Tochter. „Einmal haben wir uns zum Essen fertig gemacht und Laura brach vor dem Spiegel plötzlich in Tränen aus. Sie wollte nicht mehr mit, weil sie sich so hässlich fand.“ In diesem Moment habe er aber gedacht, seine Tochter sei nur aufgrund des Alters überemotional.
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Borderline: Bei welchen Symptomen Eltern Hilfe suchen sollten
Markus Hoffmann ist Vater von vier Kindern, drei von ihnen sind bereits volljährig. Auch die älteren Geschwister waren als Teenager nicht immer einfach, erinnert sich der 44-jährige Mainzer Unternehmer. Insofern habe er sich auch nicht besonders um seine Jüngste gesorgt. Die Sorge kam erst mit den Verletzungen auf dem Arm. In solchen Situationen frage man sich als Elternteil, wie man handeln soll, sagt Hoffmann. Wann sind psychische Auffälligkeiten eine Begleiterscheinung des Alters und Ausdruck der Pubertät, wann gehören Symptome behandelt?
„Es ist tatsächlich gar nicht so einfach zu unterscheiden, wann es das Erwachsenwerden an sich ist, das Teenager in eine vorübergehende – aber medizinisch harmlose – Krise wirft, oder ob dahinter eine relevante Störung liegt“, sagt Psychiater und Stressforscher Professor Mazda Adli, Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin. „Grundsätzlich sollte man Befindlichkeitsstörungen und Krisen ernst nehmen, selbst wenn dahinter keine psychische Erkrankung steckt“, sagt Adli, „man möchte das eigene Kind ja nicht leiden sehen.“ Für ihn gilt: Wenn ein auffälliger Zustand vorliegt und man merkt, dass es dem Kind nicht gutgeht, sollte man sich Rat holen.
Borderline: Diese Symptome sind typisch für die Persönlichkeitsstörung
Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung, die gekennzeichnet ist durch emotionale Instabilität:
- Betroffene haben Schwierigkeiten, ihre Impulse zu kontrollieren.
- Sie sind oft extrem in ihren Emotionen.
- Sie zeigen häufig eine Tendenz zu Streitereien und Konflikten.
- Sie neigen zu Wutausbrüchen oder Gewalt gegen sich und andere.
Ein Verhalten, das andere Menschen oft abschreckt.
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Diagnose Borderline: Die Ausbrüche ernst nehmen
Für Markus Hoffmann war die Diagnose Borderline ein Schock. „Als Vater macht man sich da natürlich sofort Vorwürfe“, sagt er. Möglicherweise, so mutmaßt Hoffmann, sei die Krankheit seiner Tochter auch erblich bedingt, denn seine Frau leide an Depressionen. „Vielleicht war die Zeit, in der meine Frau krank war, belastend.“ Auch er selbst sei damals überfordert gewesen – genau wie in der aktuellen Situation.
„Ich gebe gerade alles, um Laura das Leben leichter zu machen“, sagt Hoffmann. Er holt seine Tochter abends ab, wenn sie noch unterwegs ist, unternimmt viel mit ihr, hört zu und nimmt ihre Ausbrüche ernst, auch wenn sie mitunter nur schwer zu verstehen sind. Den Geschwistern von Laura falle das nicht immer leicht. „Wegen der fehlenden Impulskontrolle fühlen sich die anderen manchmal vor den Kopf gestoßen.“ Und er kann verstehen, dass sich die größeren Kinder teilweise zu wenig beachtet fühlen. „Ich würde für die anderen gern genauso viel da sein“, sagt Hoffmann, „aber irgendwann bin auch ich einfach nur noch ausgelaugt.“
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Wenn ein Familienmitglied an einer psychischen Krankheit leide, könne es schnell passieren, dass andere Familienmitglieder in den blinden Fleck gerieten, sagt Mazda Adli. Er rät Eltern, den Geschwisterkindern immer wieder gut zu erklären, warum ihre Aufmerksamkeit vorübergehend an anderer Stelle gefordert wird.
Therapie bei Borderline: Manche Betroffene werden langfristig gesund
Manchmal fragt sich Markus Hoffmann, ob er nicht schon vorher etwas hätte merken sollen. Früher hatten Vater und Tochter ein sehr gutes Verhältnis. Bis zur Pandemie sei Laura sehr sportlich gewesen, sie ritt und machte fünfmal die Woche Kunstturnen. Dann sei sie immer inaktiver geworden und habe auch nach Lockdown und Ausgangssperre nicht wieder mit dem Sport angefangen. Auch Freunde traf Laura immer weniger. „Vielleicht ist sie auch ein typisches Opfer der Pandemie“, sagt Markus Hoffmann.
Die Familie hat Glück: Eigentlich hätte Laura aufgrund der hohen Auslastung bei den Psychologen über ein Jahr lang auf einen Therapieplatz warten müssen. Aber aufgrund von persönlichen Beziehungen konnte die Vierzehnjährige schon nach kurzer Zeit behandelt werden. Manche Patienten können durch eine Therapie auch langfristig geheilt werden, weiß Hoffmann. Vielleicht ist das bei seiner Tochter der Fall.