Bis dass der Tod uns scheidet. Dieser Satz gilt schon lange nicht mehr für alle Ehen. Trotzdem kennen viele Menschen einen treuen Weggefährten, einen Helfer in der Not, der da ist und der bleibt, in der frühen Kindheit bis ins hohe Alter. Was gute Freunde von Bekannten unterscheidet .

Ich bin mit Hannelore befreundet, weil sie seit 50 Jahren einfach zu meinem Leben gehört. Sie ist immer an meiner Seite. Auch als meine Eltern starben, war sie eine große Stütze für mich. Jedes Hoch und Tief in meiner Ehe erlebten wir gemeinsam. Ganz wichtig für mich: Bei Hannelore kann ich mich fallen lassen und immer so herzhaft lachen. Jeden Abend telefonieren wir und wünschen uns eine gute Nacht.“ Brigitte Grieswald (57), Bochum

Wer 1870 heiratete, tat das meist aus Vernunftgründen. Weil die Eltern das so beschlossen hatten, um gesellschaftlich aufzusteigen, versorgt zu sein oder Besitz zu vermehren. Eine solche Ehe hielt im Durchschnitt 28,2 Jahre. Heute darf man aus Liebe heiraten. 2013 lag der statistische Mittelwert bei 14 Jahren und acht Monaten. Bis zur Scheidung. Bei einer Partnerschaft droht das „Aus“ sogar schon nach zwei Jahren und neun Monaten. Und: Deutsche bringen es lebenslang im Schnitt auf 6,3 Sexualpartner. Vorausgesetzt, die Befragten waren ehrlich, was das angeht.

Freundschaften hingegen haben gute Chancen, ein Leben lang zu halten. Weil sie unabhängig von Hormonen funktionieren, aber dennoch von Zuneigung, Vertrauen und Interesse füreinander getragen werden. Manchmal sind sie dicker als Blut. Für den besten Freund oder die besten Freundin geht man durchs Feuer und mit ihm oder ihr durch dick und dünn. Die Liebe kann schwinden. Die Freundschaft bleibt. Für immer und ewig.

Gehirn ist für 150 Individuen angelegt

Ein hehrer Anspruch. Der in Zeiten der digitalen Schnelllebigkeit, von Online-Freundschaftsangeboten wie Facebook, StayFriends und MySpace scheinbar verwässert, weil er inflationär wird. Kann man tatsächlich mit mehreren hundert Menschen befreundet sein? Der Psychologe Robin Dunbar, der in der Erforschung sozialer Netzwerke als ausgewiesener Fachmann gilt, hat schon 1992 festgestellt, dass das menschliche Gehirn für eine Gruppe von etwa 150 Individuen angelegt ist.

In der Realität schwankt diese sogenannte Dunbar-Zahl zwischen 100 - 250. Wobei das, laut Dunbar, in Schichten funktioniert. Im Schnitt haben Menschen fünf sehr enge Freunde, inklusive der Familie. Hinzu kommen 15 enge Freunde und 50 gute Freunde. Der Rest sind bloß Bekannte. Das sieht bei Facebook nicht anders aus: Auch hier zählen nur wenige Menschen zum „inner circle“, zum innersten Kreis. Zwar wertet es auf, möglicht viele Internet-Freunde zu haben, weil es nach außen Beliebtheit und Attraktivität signalisiert. Soziale Kontakte mutieren so zum Statussymbol. Vordergründig. Aber zwischen dem Trainingspartner aus dem Tennisclub, der Kollegin aus dem Büro und der Freundin aus dem Heimatort werden immer Unterschiede gemacht. Man teilt nicht alles mit allen. Und Quantität ist nicht gleich Qualität.

Aber was macht die Qualität einer Freundschaft überhaupt aus? Wieso wurden Winnetou und Old Shatterhand Blutsbrüder? Was band Schiller an Goethe? Und warum vertraut Beyoncé ausgerechnet Gwyneth Paltrow Dinge an, die sie sonst niemandem erzählt? Während für Aristoteles die Freundschaft vor allem dem Gemeinwohl dient und idealerweise auf Wesensgleichheit beruhen sollte, wird sie in den höfischen Epen des 12. und 13. Jahrhunderts als Verpflichtung verstanden, sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Der Philosoph Michel de Montaigne (1533-1592) lässt nur Etienne de La Boétie gelten, den einen, einzigen, wahren und echten Freund.

Freundschaft war lange Zeit eine Männerdomäne 

Alle anderen angeblichen Freundschaften seien „nichts weiter als Bekanntschaften und Vertraulichkeiten, die durch irgendwelche Anlässe und Bequemlichkeiten angeknüpft sind.“ Also rein auf den Nutzen hin ausgerichtet. In der Romantik dürfen erstmals auch die Frauen mitmischen. Und wenn 1801 zwischen den befreundeten Dichterinnen Bettina von Arnim (16) und Karoline von Günderrode (21) mehrmals am Tag Boten hin und her pendeln, um Briefe quer durch Frankfurt zu befördern – in denen Sätze wie „Ich werde dich begleiten, überall hin, kein Weg ist mir zu düster“ stehen – dann hat das beinahe E-Mail-Qualität. Und birgt den Vorgeschmack einer Zeitenwende.

Gemeinsame Wege und Kämpfe

Freundschaft, ursprünglich geboren aus Nährwert und Nähe, gemeinsamen Wegen und Kämpfen, war lange Zeit eine reine Männerdomäne. Und selbst als sich, jenseits des ganzheitlichen Daseins auf Äckern, Schlachtfeldern oder in Studierstuben, ein Privatleben entwickelte, galten Frauen als geistig viel zu unterbelichtet, um mitmischen zu dürfen. Frauenfreundschaften, so sie denn überhaupt wahrgenommen wurden, hielt man für minderwertig, überspannt und zweitklassig. Frauen wurden zwar solche Eigenschaften wie Fürsorglichkeit, Warmherzigkeit und Hilfsbereitschaft zugeschrieben, aber die befähigten sie allenfalls dazu, gute Mütter, Erzieherinnen oder Pflegende zu sein. Und nicht ernstzunehmende Freunde.

Inzwischen sind Frauenfreundschaften akzeptiert. Und auch der berühmte Satz, den Harry zu Sally im Filmklassiker sagt: „Männer und Frauen können keine Freunde sein!“ ist widerlegt. Laut einer Allensbach-Umfrage (Jacobs-Studie) vom Juni 2014 gelten solche Frau-Mann-Freunde eher als Dolmetscher fürs andere Geschlecht.

Klischeehafte Zuweisungen

Dafür leiden Freundschaften unter Männern bis heute unter klischeehaften Zuweisungen. Da ist die Rede von „Kollegen, Kumpeln und Komplizen“, von Kerlen, die Männersachen machen, und vor allem nur eins im Kopf haben, es zusammen richtig krachen zu lassen und die frauenfreie Zeit zu genießen. Ganz anders liest sich da, was Leser Karl-Heinz Bendorf (82) aus Duisburg schreibt: „Ich bin mit Werner seit 43 Jahren befreundet, weil er ein grundanständiger Mensch ist. Weil er stets für schwächere Menschen da war. . . Wir freuen uns des Lebens, sind schöngeistig ausgerichtet und nehmen regen Anteil am politischen Geschehen.“

In „Wahre Freunde. Von der hohen Kunst der Freundschaft“ hält Autor Martin Hecht, der für „Psychologie heute“ schreibt, die Teilnahme am Schicksal des anderen, Offenheit und Vertrautheit sowie Augenhöhe für nötig, damit eine Freundschaft funktioniert: „Echte Freunde sind einander ebenbürtig – nicht auf jedem Gebiet, nicht in jeder Disziplin und sicher nicht in jedem Moment, aber auf jeden Fall in ihrer Persönlichkeit.“

Er sieht Freundschaft als etwas, das nicht immer so bleibt, wie es ist, sondern – ebenso wie Beziehungen von Paaren – Krisen erleben kann. Die sich aber bewältigen lassen. Wenn man weiß, wie’s geht. Dass auch Freunde mal eine Auszeit voneinander brauchen, hält Hecht für ebenso wichtig, wie die Zeit, die man ganz bewusst miteinander verbringen soll: „Zeit, in der Freundschaft gestaltet wird oder wir etwas Besonderes zusammen unternehmen, ist viel mehr geeignet, die Einzigkeit einer Freundschaft auszudrücken, als wenn wir sie nur gemeinsam totschlagen würden.“

Vier von fünf Kindergartenfreundschaften enden frühzeitig

Auch Lebensabschnitte und die damit einhergehenden Veränderungen spielen eine wichtige Rolle. Wie eine am University College Dublin erstellte Studie zeigt, überleben etwa vier von fünf Kindergartenfreundschaften die Einschulung nicht, von fünf Grundschulfreundschaften werden drei danach an der höheren Schule fortgeführt. Eine Übersichtsanalyse, die ein Forscherteam 2013 im „Psychological Bulletin“ veröffentlichte, ergab, dass sich durch Berufsstart, Heirat oder einen neuen Job der Freundeskreis vergrößert.

Durch Elternschaft hingegen wird er kleiner. Weil das Kind plötzlich im Mittelpunkt steht, was Freunde ohne Nachwuchs mitunter nervig finden. Auch Scheidungen, der Tod eines Familienmitglieds oder des Partners können zu Verlusten im Freundeskreis führen, wobei sich hier die Spreu vom Weizen trennt. So schrieb uns ein Leser, der vor Kurzem schwer krank geworden ist, dass er „überrascht war, wer da auf der Matte steht oder auch nicht.“

Mehr Menschen, weniger Freunde

Fazit: Wir lernen zwar immer wieder neue Menschen kennen, aber der Kreis derer, die wir Freunde nennen, wird kleiner. Ab Anfang 30 verliert man durchschnittlich alle fünf Jahre einen Freund. Übrig bleiben die, die einem wirklich nahestehen und für einen da sind. Auch in harten Zeiten. Die, mit denen man durch schöne Geschichten und schlimme Erlebnisse verbunden ist. Ein Leben lang.

Meine beste Freundin ist tot. Meine Gefährtin und Spielkameradin seit Kindertagen, seitdem wir als I-Dötzchen in der Hegelschule eingeschult wurden, die damals noch Volksschule war, meine Schulfreundin, mit der ich Hausaufgaben besprach, meine Teenager-Freundin, mit der ich allen Jungmädchen-Spaß teilen konnte, meine Beraterin und patente Ratgeberin in allen Lebenslagen als junge Erwachsene, meine Trösterin in meinem fortgeschrittenen Leben bei Schicksalsschlägen – Tod der Eltern, Verlust des Arbeitsplatzes –, mein steter Fels in der Brandung, meine Seelenverwandte. Unsere Freundschaft währte bis zu ihrem Tode 44 Jahre, für manch andere eine lange Zeit, für mich viel zu kurz, denn ich habe mir immer gewünscht, dass unsere besondere und tiefe Freundschaft bis ans Ende aller Tage währen möge.“ Sigrid Raatz (60), Oberhausen