Oberhausen. . Der Gasometer hat sich in einen der beliebtesten Ausstellungsorte in unserer Region verwandelt. Auch der Verpackungskünstler Christo entdeckte den Zauber der Tonne und lockte noch mehr Besucher nach Oberhausen. Dabei drohte dem Gasometer damals vor 20 Jahren die Abrissbirne.

Nicht einmal die 13.000 smartiebunten Fässer, die Christo im Frühjahr 1999 hier aufstapeln ließ, konnten mit dem großen Fass drumherum wirklich mithalten: der Gasometer blieb der Star. Und jetzt wurde er mit Christos Hilfe zum Weltstar. Dutzende Fernsehkameras trugen die Bilder rund um den Globus.

Dabei hätte nicht viel gefehlt, und das heute so herausragende Wahrzeichen von Oberhausen wäre plattgemacht worden, in die Tonne gekloppt. Die Abrissgenehmigung für den 1988 stillgelegten Gasometer lag längst vor, auch wenn einige Bürgerinitiativen um den Erhalt kämpften. Erst, als Karl Ganser, Chef der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA), 1993 damit drohte, sein Amt niederzulegen, setzte sich ein Umdenken durch. Der Rat der Stadt beschloss in geheimer Wahl mit 32 gegen 22 Stimmen, den Gasometer als Ausstellungsgebäude und Aussichtsturm zu nutzen – unter der Bedingung, dass der Stadt dadurch keinerlei Kosten entstehen dürfen. Das ist bis auf den heutigen Tag so geblieben, auch wenn sich das Industriedenkmal zu einem Lottogewinn für Oberhausen entwickelt hat. Fast sechs Millionen Menschen sind seit der Eröffnung hier gewesen, und die „Missfits“ mochten sich ihren Refrain auf „Oberhausen“ nicht ohne Gasometer machen.

Dabei ist dieses Mordstrumm, dessen Aufbau ab 1927 zwei Jahre in Anspruch nahm und einer Speicherkapazität von fast 350.000 Kubikmetern hat, alles andere als eine Schönheit – von außen. Schön wird es, wie so oft im Ruhrgebiet, erst innen. Das Wort von den industriekulturellen „Kathedralen der Arbeit“ wird selten so wahr wie hier, wenn man die Druckscheibe erklimmt, die früher mit 1207 Tonnen den Deckel draufhielt auf dem Gas, und den Kopf in den Nacken legt, um zum Dach emporzublicken. Das Lichtspiel, das hier strahlt, kann es ohne weiteres aufnehmen mit den Fensterrosetten in altehrwürdigen Kirchbauten der Gotik.

Die heute mit 117,5 Metern höchste Ausstellungshalle Europas wurde nach dem „Na gut“ der Stadt für 16 Millionen D-Mark umgebaut. 14,5 Millionen davon zahlte das Land, den Rest legte die Ruhrkohle AG als Eigentümerin des Gasometers dazu: Das waren die eingesparten Abrisskosten. IBA-Chef Karl Ganser schwärmte von der Einmaligkeit dieses Gebäudes für außerordentliche Ideen und Zwecke – „für Gewöhnliches“, lästerte er noch, „gibt es genügend Hallen, Museen und Galerien, eher zuviel.“

Und gleich die erste Ausstellung 1994 wurde ein gigantischer Erfolg. 460.000 Menschen strömten zu „Feuer und Flamme“, wo die Industrie- und Alltagsgeschichte des Reviers lebensecht illustriert wurde, vom abgeschabten, dünn gewordenen und schließlich gelöteten EheGoldring einer Schlosser-Frau bis zum eingeweckten Trinkwasser aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, vom Bronze-Abguss jenes Schuhs, mit dem Helmut Rahn ‘54 das „Wunder von Bern“ bewerkstelligte, bis zur Roheisentafel vom letzten Abstich am Hochofen 1 in Rheinhausen.

Seitdem folgte Ausstellung um Ausstellung, mit der aktuellen „Der schöne Schein“ sind es 14. Christo und „Feuer und Flamme“ für 200 Jahre Ruhrgebiet blieben nicht allein, es gab „Der Ball ist rund“ zum 100. Geburtstag des Deutschen Fußball Bundes im Jahr 2000 und die esoterische Video-Installation „Five Angels“ von Bill Viola, es gab die TV-Ausstellung „Der Traum vom Sehen“ und „Das Auge des Himmels“ mit faszinierenden Satellitenbildern von der Erde. Im vergangenen Jahr entwarf Christo eine zweite Innenraum-Installation am selben Ort und ließ die Menschen über die stille Anmut seines „Big Air Package“ staunen – die größte Innenraum-Skulptur weltweit.

Größe ist wichtig für Ausstellungen im Gasometer, die ausschließlich über Sponsoren- und Eintrittsgelder finanziert werden müssen: „Wir sind zum Erfolg verdammt“, sagt Gasometer-Chefin Jeannette Schmitz: „Wenn nur 50.000 Besucher kämen, was für andere Museen vollkommen in Ordnung wäre – für uns wäre es eine Katastrophe“. Sechsstellige Besucherzahlen sind Pflicht. Deshalb gibt es manche Ausstellungsidee, die fallen gelassen wurde, als sich herausstellte, dass sie zu teuer würde – wie die Schau über Weltreligionen, die man sich fürs Kulturhauptstadt-Jahr 2010 ausgedacht hatte.

Der Gasometer braucht aber auch wetterfeste Bilder: „Es wird warm im Sommer, es wird feucht im Herbst und kalt im Winter“, beschreibt Jeanette Schmitz die Herausforderungen. Anfangs habe man sich noch nicht getraut, auch im Winter zu öffnen, heute laufen die Ausstellungen meist bis zum 31. Dezember: „Die Leute kommen ja ohnehin dick angezogen hierher, da machen ihnen die Temperaturen im Gasometer auch nichts mehr aus.“ Wobei dort die Temperatur noch einmal niedriger ausfallen kann als draußen – zumindest die gefühlte.

Und einen großen Vorzug hat der Gasometer auch noch: Wer schnell mit der Ausstellung fertig ist, kann dem Zylinder mit dem 592 Stufen hohen Treppenturm auch noch (via Aufzug) aufs Dach steigen. Von hier aus bietet sich selbst bei halbgutem Wetter noch ein grandioses Panorama des westlichen Ruhrgebiets – der Blick streift den waldgrünen Norden von Sterkrade bis Schermbeck, das Oberhausener Niederrhein-Stadion, das größte Stahlwerk Europas und den Innenhafen in Duisburg, den Aquarius-Turm von Mülheim und die Skyline von Essen und bei guter Sicht auch die Schalke-Arena. Ein Blick, der Respekt, ja Hochachtung einflößt vor dieser Region.